Berlin Tag & MachtDas Gespenst der Uckermark schreckt die Verliererkoalition auf
Marie von den Benken
Die Ampel ist Geschichte, die VerKo regiert das Chaos: Döner statt Kanzleramt, Selfies statt Strategie. Die Nation wartet auf Führung, aber bekommt Chaos und eine politische Comedy-Show. Wen überrascht da noch die aufkeimende Merkel-Nostalgie? Na, fast alle!
Wie der Volksmund sagt: Wer die Vergangenheit versteht, kann die Zukunft gestalten. Genau darum blicke ich diese Woche zurück - auf einen Zeitraum, der mehr als die üblichen vergangenen sieben Tage umfasst, auf 1,5 Jahre politischer Irrungen und Wirrungen. Spätestens im Sommer 2024 war klar: Die Ampel-Koalition, 2021 mit hohen Erwartungen und einer Vorschusslorbeeren-Plantage gestartet, war am Ende. Stolperfallen wie Wärmepumpen, unterschiedliche Interpretationen der Schuldenbremse und das Haushalts-Urteil des Bundesverfassungsgerichts hatten ihren Tribut gefordert.
Als der inzwischen in die Niederungen des KFZ-Sekundärmarkts desertierte Ex-Finanzminister Christian Lindner die Ampel im D-Day-Wahn offiziell dem Gebrauchtwagenmarkt übergab, folgten Neuwahlen. Und mit ihnen das Aus für die Koalition. Die Grünen zahlten ihren Misskommunikations-Preis. Die Turbokapitalismus-Spaßpartei FDP wurde sogar bis in die Bezirksliga der außerparlamentarischen Opposition durchgereicht.
Wir regierungsunbeteiligten Normalsterblichen dagegen wurden mit einem zur VerKo (Verlierer-Koalition) abgestraften Schwarz-Rot-Bündnis abgespeist. Was seither in Berlin passiert, ist weniger Regierungsarbeit als politische Impro-Show. Mit wechselnder Besetzung, aber gleichbleibend mittelmäßigem Drehbuch. Eine Inszenierung, die in erster Linie von Krawall, überbordenden Egos und gegenseitigem Ausbremsen lebt.
Merkel-Nostalgie und Söder-Selfies
Als erste Langzeit-Reaktion auf das seit Mai in der deutschen Spitzenpolitik den Dirigentenstab schwingende Merz-Klingbeil-Orchester zeigten Umfragen diese Woche Überraschendes: Ein Viertel der Wähler wünscht sich Angela Merkel zurück. Interessanterweise oft jene, die sie nie gewählt hatten. Verblüffend ist dieser nostalgische Impetus nach weiteren 16 Jahren rautengesteuerten Stillstands dennoch. Eine Renaissance der "Wir schaffen das"-Ära des kontrollierten Aussitzens hatten die meisten seriösen Politikbetrieb-Beobachter nicht erwartet. Und ich auch nicht.
Innerhalb der CDU ist der Wunsch nach der Rückkehr der Königin deutlich schwächer. In der merzgeprägten Partei steht man Frauen aus der Uckermark misstrauisch gegenüber. Selbst Merz-Kritiker im Konrad-Adenauer-Haus sehnen sich eher nach Armin Laschet. In Bayern hingegen wünscht sich Markus Söder traditionell nur eines: sich selbst.
Statt das Kanzleramt zu übernehmen, bekommt er immerhin eine eigene Döner-Marke. Gammelfleisch statt Regierung - auch ein schöner Titel für seine Memoiren. Die wären ein weiterer Bestseller nach seinem Gen Z-Kochbuch #SöderIsst (erschienen im Instagram-Selfie-Verlag). Dieses Standardwerk für Nahrungsmittel-Verzehr-Fotografie gilt als Hommage an koronare Herzkrankheiten mit der Söder-Hauptmessage: "Veganer sind doof!" Mein eigenes Buch "Das Leben ist kein Kinderwunschkonzert" vermittelt da eine klarere Botschaft: "Macht mehr Kinder, die später nicht AfD wählen!"
Wie schlimm ist es, wenn Merkel die Lösung wäre?
Richtig rund läuft es in der Regierung also nicht. Wenn sich bereits ein Viertel Merkel zurück ans Regierungspult wünscht, gäbe es vermutlich auch zweistellige Zustimmung für ein Comeback von Olaf Scholz. In Boulevard, Talkshows, Social Media Kommentarspalten, Hauptstadtpresse und an den Stammtischen der Nation erwarten die Bürger endlich klare Linie, Innovationsimpulse und die Einhaltung von Wahlversprechen - gepaart mit personellen Konsequenzen.
Erstaunlich ist dabei: Erste Auflösungserscheinungen zeigen sich nicht nur in der Regierung, sondern auch auf der Oppositionsbank. Nicht bei der FDP natürlich, die darf ja gar nicht mehr mitmachen. Aber Grüne und Linke wirken aktuell eher wie ein Tic Tac Toe-Abklatsch als eine Einheit konstruktiv-kritischer Opposition. Fast kann man Jan van Aken im politischen Theaterstück der parteiinternen Nahostkonflikt-Zerreißprobe hören, wie er Petra Pau zubrüllt: "Das wäre alles gar nicht passiert, wenn wir wirklich Freunde wären!" Wirkliche Oppositionsarbeit sieht anders aus.
Linke Dissonanzen und grüne Selbstgespräche
Derweil sind Gregor Gysis und Heidi Reichinneks Linkspartei sowie die Grünen damit beschäftigt, Gras über die nach dem 7. Oktober 2023 aus ihren Parteibasen über sie hereinbrechenden Antisemitismus-Wellen und Genozid-Narrativ-Beibehaltungsverhandlungen wachsen zu lassen. Hinsichtlich der Kufiya-Dichte, die sich durch die PR-Arbeit der Israel-Dämonisierungsindustrie in der Partei-Kleiderordnung etablieren konnte, wird das vermutlich misslingen.
Währenddessen erlebt das BSW seine eigene Krise: Sahra Wagenknecht kündigt ihren Abschied als Parteivorsitzende an. Passend zur Abschieds-Tournee der Fantastischen Vier ist Wagenknecht jetzt also demnächst weg, weg, und Putin ist wieder allein, allein. Ausgerechnet die Partei, die sie persönlich gegründet und sicherheitshalber nach sich selbst benannt hatte, steht nun ohne sie da. Bald wird das "B(SW)" also nur noch "B" sein. Oder das "SW" wird umgewidmet. "Bündnis Ständiges Waterloo" wäre beispielsweise passend für seine latente politische Bedeutungslosigkeit.
Verlorene Buchstaben als Metapher für verlorene Werte
Andererseits hat das Weglassen prominenter Elemente des Parteinamens ja inzwischen Tradition. CDU und CSU fehlt mittlerweile sogar der Startbuchstabe. Das "C" ist über den Fraktionsbüros der Union zwar noch nicht abmontiert. Als sonderlich "christlich" wird die Friedrich-Merz-Edition der einst gottesfürchtigen Volkspartei jedoch kaum mehr wahrgenommen. Vielleicht passt Nächstenliebe aktuell einfach nicht ins (C)DU-Stadtbild.
Wobei die Union mit der Eigenphilosophiefrage nicht allein ist. Koalitionspartner SPD etwa residiert nach wie vor im Willy-Brandt-Haus. Obwohl die aktuelle Sozialdemokratie nach der Anbiederungs-Offensive an woke-hysterisch aufgeladene Social Media Bubbles, die sich weitestgehend auf Identitäts- und Kulturfragen konzentrieren, mit Willy Brandt nur so viel zu tun hat, wie Modern Talking mit dem Weltkulturerbe.
In der klingbeilisierten SPD sind neue Themenschwerpunkte wie Diversität, Gender- und Minderheitenrechte gesetzt. Inzwischen wird in der SPD-Neukölln sogar Clan-Kriminalität verharmlost, um nicht versehentlich zu wenig Engagement im Kampf gegen antimuslimischen Rassismus gezeigt zu haben. Da rotiert Helmut Schmidt rauchend im Grabe.
Deutschland wirkt derzeit wie ein Land, das politische Führung nur noch aus Dokus kennt. Und mal wieder auf die nächste, hoffentlich bessere Staffel wartet. Von Regierung bis Opposition herrscht Chaos, während die Wähler zunehmend nach alten Größen und klaren Signalen verlangen. Wer als Erster wieder zu klarer Linie findet, bleibt abzuwarten. Sicher ist nur: In Berlin wird derzeit zu wenig regiert und zu viel improvisiert. Ob Helmut Schmidt in der kommenden Woche trotzdem wieder etwas zur Ruhe kommt und die Grünen womöglich sogar beginnen, konstruktive Oppositionspolitik zu gestalten? Ich bleibe dran!