Endlich kann jeder den TTIP-Entwurf lesen. Doch leider nicht ganz: Entscheidende Passagen haben es nicht an die Öffentlichkeit gebracht.
Auf dem Pariser Platz in Berlin steht nun ein Glaskasten, in dem Jedermann schauen darf, worüber die Vertreter von EU und USA miteinander sprechen, wenn sie sich zu den TTIP-Verhandlungsrunden treffen. So soll es zumindest aussehen. Doch die Dokumente, die es auch frei im Internet gibt, werfen mehr Fragen auf, als dass sie Antworten liefern.
Keine Aussage über Schiedsgerichte
Der vielleicht kritischste Punkt im geplanten TTIP-Abkommen ist die neue Form von Justiz, die beide Seiten miteinander vereinbaren wollen. Sie würde Unternehmen aus dem Ausland eine zusätzliche Möglichkeit verschaffen, gegen Staaten zu klagen - und somit heimische Unternehmen benachteiligen. Bisher werden solche Gerichte privat betrieben und sind kaum kontrollierbar. Die Europäer haben vorgeschlagen, sie neu aufzustellen: mit einem Schiedsgerichtshof, mit verschiedenen Berufungsinstanzen und mit öffentlich bestellten Richtern. Die USA lehnen das offensichtlich ab.
Nur findet sich im geleakten Vertragsentwurf kein einziger Paragraph, der das beschreibt. Nur eine interne Notiz der EU-Unterhändler von März 2016 (doc16.pdf) ist enthalten. Und dort heißt es, bisher sei es vor allem darum gegangen, die "Sichtweisen auf die jeweiligen Vorschläge auszutauschen" mit dem vorrangigen Ziel, "die jeweiligen Ansätze zu verstehen". Die US-Seite habe hauptsächlich Verständnisfragen in Bezug auf die Absichten der EU gestellt.
Es gibt also offenbar konkurrierende Vorschläge, die beide Seiten einander mitgeteilt haben. Nur wurden sie weder den Bundestagsabgeordneten zu lesen gegeben, noch wurden sie mit den anderen Dokumenten geleakt.
In der Notiz heißt es außerdem: "Andere Bestimmungen wie das Gericht erster Instanz und die Berufungsinstanz wurden in der Verhandlungsrunde nicht angeschnitten."
Veraltete Dokumente
Um Vertragstexte nicht zu überlasten, werden wesentliche Bestimmungen oft in Anhänge ausgelagert. So ist es auch bei TTIP. Zum Beispiel will die EU ihren Dienstleistungssektor zwar für US-Unternehmen öffnen. Sensible Bereiche wie die Wasserversorgung, so sagt sie, will sie aber aussparen. Die Staaten sollen weiterhin das recht haben, in diesen Branchen eigene Angebote zu machen und andere Unternehmen auszuschließen. (Siehe doc3.pdf, Article X.6)
Das ist im Prinzip ein richtiger Ansatz. Doch in den entscheidenden Absätzen verweist der Entwurf des Vertragstextes auf einen Anhang. Dort soll offenbar geregelt sein, welche Branchen unter welchen Bedingungen einbezogen sind. Dieser Anhang aber ist nicht Teil des Leaks und kann von den Abgeordneten auch nicht im Lesesaal eingesehen werden.
Das Kapitel zu Gütermärkte (doc1.pdf) ist voller Verweise auf nicht veröffentlichte Anhänge.
Damit sich die Öffentlichkeit wirklich in die aktuelle Diskussion einmischen und die Verhandlungen beeinflussen kann, muss sie den aktuellen Verhandlungsstand kennen. Die Dokumente stammen aber offenbar zu einem großen Teil aus dem November 2015, sind also ein halbes Jahr alt. Die neusten Vertragstexte sind von Januar, die Notiz der EU von März.
Zeitplan kaum noch zu schaffen
Die wichtigste Botschaft der neuen Veröffentlichungen ist darum, wie weit beide Seiten noch auseinander liegen – beziehungsweise wie weit sie vor einigen Monaten offenbar noch auseinander lagen. Das betrifft zum Beispiel die regulatorische Zusammenarbeit. Durch gemeinsame Gremien soll sichergestellt werden, dass keine der Seiten im Alleingang neue Vorschriften erlässt. Das sehen viele Bürger kritisch, weil es den USA ein Mitspracherecht bei EU-Gesetzen einräumt und andersherum. Im entsprechenden Dokument (doc9.pdf) gibt es allerdings keinen Abschnitt, auf den sich die Seiten schon geeinigt hätten. Wie weit sie damit bei der jüngsten Verhandlungsrunde, die am Freitag geendet hat, gekommen sind, geht aus den Dokumenten nicht hervor.
Wenn man bedenkt, dass die TTIP-Verhandlungen schon seit fast drei Jahren laufen und offenbar zentrale Fragen noch kaum angesprochen wurden, erscheint es unwahrscheinlich, dass der Vertrag schon Ende dieses Jahres fertig sein soll.
Quelle: ntv.de