Politik

Wenn aus der Großen Koalition nichts wird Das ist der Plan B

Bundespräsident Gauck ist dafür bekannt, dass er sich gern in die Politik einmischt. Im Ringen um eine neue Bundesregierung könnte er bald eine größere Rolle einnehmen.

Bundespräsident Gauck ist dafür bekannt, dass er sich gern in die Politik einmischt. Im Ringen um eine neue Bundesregierung könnte er bald eine größere Rolle einnehmen.

(Foto: REUTERS)

CDU, CSU und SPD befinden sich im Schlussspurt. An den drei Parteien wird die Große Koalition wohl nicht scheitern, womöglich aber an den SPD-Mitgliedern. In diesem Fall gäbe es vier Notfall-Szenarien. Dabei könnten die Grünen, aber auch Bundespräsident Gauck noch wichtig werden.

Martialischer geht's nicht. "Die Nacht der langen Messer" so wird die letzte große Runde der Koalitionsverhandlungen auch genannt. Was nichts anderes heißen soll als: In dieser Nacht muss man sich einigen und fertig werden. Ohne Rücksicht auf Empfindlichkeiten. Und natürlich auch ohne Messer. Auf Union und SPD wartet allerdings noch viel Arbeit. Mindestlohn, Maut, Doppelpass - die Liste der ungeklärten Themen ist lang.

Und doch spricht viel dafür, dass sich die Parteichefs in dieser Woche auf eine Koalition einigen. In der Vergangenheit war das in der Regel der Moment, in dem sich die Unterhändler entspannt zurücklehnen konnten. Doch diesmal ist es anders. Das Schicksal der Großen Koalition liegt nicht in den Händen der Politiker. Die 473.000 SPD-Mitglieder entscheiden im Dezember über den Koalitionsvertrag.

Über die Stimmung der Basis gibt es keine aktuellen Umfragen. Ende September, kurz nach der Bundestagswahl, kam Forsa zu einem eindeutigen Bild: Für 70 Prozent der Mitglieder war das Festhalten an den eigenen Grundsätzen und Zielen wichtiger als die Option, die Macht zu haben, die eigenen Vorstellungen umzusetzen. Heißt: Die Mehrheit würde lieber in der Opposition bleiben. Zuletzt hatten selbst prominente SPD-Mitglieder, wie die beiden Schriftsteller Günter Grass und Bernhard Schlink, öffentlich davon abgeraten, für die Große Koalition zu stimmen.

Grüner Notnagel oder R2G?

Der Ausgang der Abstimmung ist also unberechenbar. Für die SPD-Spitze wäre ein Nein der Basis der Super-Gau. Mal abgesehen von der schwierigen Lage der Sozialdemokraten stellt sich dann aber noch eine andere Frage: Was passiert eigentlich, wenn es nichts werden sollte mit der Großen Koalition? Theoretisch sind vier Szenarien möglich.

Im Oktober führten die Grünen bereits Sondierungsgespräche mit Union und SPD.

Im Oktober führten die Grünen bereits Sondierungsgespräche mit Union und SPD.

(Foto: picture alliance / dpa)

Wenn die Große Koalition platzt, hieße die erste Variante wieder Schwarz-Grün. Union und Grüne hatten im Oktober bereits sondiert. Die Gespräche wurden von Teilnehmern als erstaunlich harmonisch beschrieben, doch am Ende stiegen die Grünen aus. Auf die schwarz-grüne Option angesprochen, betont Fraktionschef Anton Hofreiter beharrlich, seine Partei werde nicht "den Notnagel für Frau Merkel geben", man werde sich aber "keinem Gespräch mit Demokraten verschließen". Wenn die SPD-Mitglieder die Große Koalition scheitern ließen, stünden neue Gespräche unter ganz anderen Vorzeichen. Plötzlich hieße es: Schwarz-Grün oder Neuwahlen? An Attraktivität gewinnt ein mögliches Bündnis also vor allem im Vergleich zu den möglichen Alternativen. Dazu kommt, dass die CDU und Grüne in diesen Tagen auch in Hessen über eine Koalition verhandeln. Die Wahrscheinlichkeit auf Schwarz-Grün im Bund sinkt dadurch sicher nicht.

Zumindest auf dem Papier ist die SPD nicht aus dem Spiel, wenn das Mitgliedervotum negativ ausfallen sollte. Bei Rot-Rot-Grün könnten die Sozialdemokraten gleichzeitig den Kanzler stellen und Angela Merkel ablösen. Programmatisch wäre vieles einfacher als mit der Union. Auf einen Mindestlohn, Steuererhöhungen, die Abschaffung des Betreuungsgeldes und den Doppelpass würde man sich schnell einigen. Doch unterm Strich spricht viel gegen ein Linksbündnis. Die SPD hat eine Koalition mit den Linken zuletzt explizit ausgeschlossen. Die auf dem Parteitag in Leipzig besiegelte Öffnung zur Gysi-Partei bezieht sich auf das Jahr 2017. Käme "R2G" schon jetzt zustande, würde die SPD ihren Beschluss ad absurdum führen und ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen. Noch unwahrscheinlicher ist die Variante, dass sich eine rot-grüne Regierung von den Linken tolerieren ließe. SPD und Grüne kommen gemeinsam nur auf etwa 40 Prozent der Sitze. Eine stabile Bundesregierung sieht anders aus.

Kanzler von Gaucks Gnaden

Mit 311 von 631 Sitzen hat die Union eine absolute Mehrheit nur knapp verpasst. Sollten die Große Koalition und die Gespräche für Schwarz-Grün scheitern, bliebe die Möglichkeit der Minderheitsregierung. Die Kanzlerin würde dann mit wechselnden Mehrheiten regieren. Eine Minderheitsregierung gab es zuletzt bis 2012 in NRW unter Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, aber noch nie im Bund. Demokratietheoretisch mag dieses Szenario verlockend sein, aber ob Merkel ein solches Wagnis eingehen würde? Ohne die rot-rot-grüne Bundesratsmehrheit könnte sie kaum ein Gesetz durchbringen. Für ihre Wiederwahl bräuchte die Kanzlerin fünf Stimmen aus der Opposition. Erhielte sie in zwei Wahlgängen keine absolute Mehrheit, käme Bundespräsident Joachim Gauck ins Spiel und könnte einen Minderheitskanzler vorschlagen. Das könnte statt Merkel auch ein SPD-Kandidat sein, dem Gauck zutraut, sich eine einfache Mehrheit organisieren zu können. Sollte dies gelingen, müsste er ihn innerhalb von sieben Tagen zum Kanzler ernennen.

Kommt keine Bundesregierung zustande, hat der Präsident nur noch eine Möglichkeit. Er kann nach Artikel 63 des Grundgesetzes den Bundestag auflösen. Innerhalb von 60 Tagen müssten Neuwahlen stattfinden. Voraussichtlich im Frühjahr, also ein halbes Jahr nach der letzten Bundestagswahl, würden die Wähler erneut an die Urne treten. Laut einer Umfrage von Infratest dimap wäre das 43 Prozent der Deutschen sogar lieber als eine Große Koalition, Schwarz-Grün oder eine Minderheitsregierung. Im Bund gab es 2005 auf Initiative des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder vorgezogene Neuwahlen. Dass infolge gescheiterter Koalitionsverhandlungen neu gewählt werden muss, wäre allerdings ein Novum in Deutschland. SPD-Chef Sigmar Gabriel warnte die Mitglieder zuletzt bei einer Regionalkonferenz in Bruchsal: Bei Neuwahlen könnte seine Partei sogar unterhalb die 20-Prozent-Marke rutschen. FDP und AfD, die im September am Einzug in den Bundestag gescheitert waren, dürften dann hingegen wieder hoffen. Vor allem für Sozialdemokraten könnte eine weitere Horrorvorstellung wahr werden: Sollten die Liberalen bei den Neuwahlen die Fünf-Prozent-Hürde schaffen, würde Schwarz-Gelb wohl weiterregieren.

Quelle: ntv.de

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