Keine Reue trotz des "bitteren" schwarz-roten Kurses Für Grüne gilt: Erst die Partei, dann das Land
21.11.2013, 08:49 Uhr
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Beim Klimaschutz oder den Bürgerrechten hätte ein schwarz-grünes Bündnis mehr erreicht als eine Große Koalition. Die Ökopartei hat eine Chance verpasst, Deutschland zu verändern. Reue zeigt sie trotzdem nicht. Nur ein Grüner übt Selbstkritik.
Liebevoll gehen Union und SPD nicht miteinander um. SPD-Chef Sigmar Gabriel nennt CDU-Politiker in der Großen Runde der Koalitionsverhandlungen "Rotzlöffel". CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt unterstellt den Genossen "fiese Tricks". Und sein Parteichef Horst Seehofer droht mit Neuwahlen. Aber das ist so gut wie sicher: Am Ende wird die Große Koalition stehen.
Die Bürger haben sie sich gewünscht. Doch sie ist nicht wirklich das Beste für das Land. Zumindest aus Sicht eines Grünen. Die Ökopartei muss sich darum jetzt den Vorwurf gefallen lassen, einen Fehler begangen zu haben, als sie die Sondierungsgespräche mit CDU und CSU scheitern ließ. Reue ob der verpassten Chance ist in der sonst so tugendhaften Partei allerdings ein rares Phänomen.
Energiewende statt Kohle-Kraft

Boris Palmer bricht aus der Argumentationslinie der Partei aus: "Für mich steht außer Frage, dass wir mit der CDU das Land besser regieren würden als die Große Koalition."
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In den Koalitionsverhandlungen zeichnet in den Kategorien eines grünen Weltbildes eines ab: Union und SPD schlagen einen verheerenden Kurs in der Klimapolitik ein. Mit der SPD erhält die Union die Kohlekraft in Deutschland künstlich am Leben. In einer Koalition mit den Grünen wäre es dazu nicht gekommen.
In einer schwarz-grünen Bundesregierung hätte es auch abgesehen vom Klimakiller Kohle ambitioniertere Reformen in der Energiepolitik gegeben. Ein Beispiel ist die Erneuerung des kränkelnden europäischen Emissionshandels. Union und SPD haben sich auf eine einmalige Kürzung des Angebots an CO2-Zertifikaten geeinigt. Danach geht es weiter wie bisher. So ist es fraglich, ob es gelingt, langfristig einen angemessenen Preis für den Treibhausgasausstoß zu sichern.
Ein Gegengewicht zur Lachnummer Friedrich
Der Umgang von Christ- und Sozialdemokraten mit den Bürgerrechten zeigt ebenso, dass mit einer schwarz-grünen Koalition mehr möglich gewesen wäre. Die Ökopartei strotzt hier vor Ehrgeiz. Der Geheimdienstexperte der Partei, Christian Ströbele reist nach Moskau, um persönlich mit dem Whistleblower Edward Snowden über sein Asylgesuch in Deutschland zu sprechen. Bei Schwarz-Rot dagegen keine Spur von Ehrgeiz. Das entlarvte die Sondersitzung des Bundestages zur NSA-Affäre Anfang der Woche.

Nah beieinander, wenn es um den NSA-Skandal geht: Innenminister Friedrich (l.) und Innenexperte Oppermann.
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Innenminister Hans-Peter Friedrich verharmloste die Enthüllungen des Informanten derart, dass im Parlament Gelächter ausbrach. Aus jeder Silbe des CSU-Politikers sprach die Angst, das Verhältnis zu den USA zu trüben. Trotzdem war von der SPD nur zahme Kritik zu hören. Und am Ende der Sitzung stimmten die Genossen dann artig mit dem Koalitionspartner in spe dagegen, das Parlamentarische Kontrollgremium für die Geheimdienste schon vor dem Ende der Koalitionsverhandlungen einzusetzen. In einer schwarz-grünen Koalition hätte es diese Eintracht wohl nicht gegeben.
Vermutlich hätten die Grünen der Union auch in anderen Punkten mehr abtrotzen können als die Roten. Die Sozialdemokraten sind bekannt dafür, im Zweifel zum Wohle der Nation und erst dann zum Wohle der Partei zu handeln. Jedem in der Union ist daher klar, dass die Genossen den Bürgern keine Neuwahlen und damit eine unnötig lange regierungslose Zeit zumuten würden. Selbst SPD-Anhänger sehen CDU/CSU laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa darum in den Verhandlungen klar im Vorteil.
Bei den Grünen erscheint das nicht so eindeutig. Und allein die Möglichkeit ungeachtet der Konsequenzen für Deutschland Nein sagen zu können, hätte die Partei in eine bessere Verhandlungsposition versetzt.
Verantwortung oder Integrität
Jetzt allerdings ist es genau das, was die Partei angreifbar macht. In den Sondierungen mit der Union war für die Grünen-Spitze klar: Eine Koalition ist nicht möglich. Weil die nötigen Kompromisse zu groß erschienen. Und weil die Spitzenkandidaten Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt in Wahlkampfzeiten unermüdlich predigten, dass sie keine Koalition mit der Union eingehen würden. Es ging um die grüne Glaubwürdigkeit.
Zwar kann man das nicht verteufeln, zumindest wenn dahinter wirklich die Sorge um die Integrität und nicht um die politische Zukunft der Partei steckt. Und doch stellt sich angesichts der schwarz-roten Koalitionsverhandlungen spätestens jetzt die Frage: Hätten die Grünen als verantwortungsvolle, erwachsene Partei nicht den Unwägbarkeiten zum Trotz zum Wohle des Landes handeln müssen?
Grüne Ausreden?
Die Mehrzahl der Grünen will sich dieser Frage überhaupt nicht wirklich stellen und manifestiert damit umso deutlicher, dass für sie gilt: Erst die Partei, dann das Land.
"Die Verhandlungen der Großen Koalition zementieren den Kohlekurs jetzt endgültig - das ist bitter für die erneuerbaren Energien und für den Klimaschutz", sagt Steffi Lemke n-tv.de. Laut der früheren Parlamentarischen Geschäftsführerin hätten aber auch die Grünen in einer Regierung mit der Union "das Kleben an Kohle und Öl" nicht verhindern können. "Deshalb muss man nichts bereuen", so Lemke.
Auch die Abgeordnete Kerstin Andreae, die eigentlich für ihre Offenheit für Schwarz-Grün bekannt ist, sieht das so: "Angesichts der bisherigen dürftigen Ergebnisse aus den Koalitionsverhandlungen bezweifle ich mehr denn je den Reformwillen der Union. Klimaschutz und Gleichstellung homosexueller Partnerschaften sind für uns aber nicht verhandelbar." Der bayerische Landeschef Dieter Janecek stimmt in den Chor mit ein. "Wir hätten gerne in der Regierung aktive Klimaschutzpolitik betrieben. Mit der Union war aber diesmal leider kein Zusammenkommen möglich."
Das bequeme Haus grüner Gewissheiten bröckelt
Wir hätten auch nicht mehr herausholen können, so das Credo. Doch das ist nur eine Ausrede.
Wer einen genauen Blick auf den Verlauf der Koalitionsverhandlungen wirft, stellt fest: Es war nicht die Kohlepolitik der Union, die Umweltschützern und Klimaaktivisten Sorge bereitete. Zwar bremsen CDU und CSU bei den Zusagen für einen Anteil erneuerbarer Energien am Strommix. Als Hauptgefahrenquelle für eine Renaissance des Klimakillers Kohle machten sie aber die Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft, aus, eine Sozialdemokratin.
Vielleicht auch vor diesem Hintergrund sprengt ein Grüner die Argumentationslinie seiner Partei: der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer. n-tv.de sagt er: "Der Koalitionsvertrag verstößt, so weit er bisher bekannt ist, so elementar gegen grüne Prinzipien wie Generationengerechtigkeit in der Rente oder Vorrang für erneuerbare Energien vor den Interessen der Kohlekonzerne, dass für mich außer Frage steht, dass wir mit der CDU das Land besser regieren würden als die Große Koalition." Palmer fügt hinzu: "Nochmal dürfen wir uns nicht in das bequeme Haus grüner Gewissheiten zurückziehen und das Land in die falsche Richtung laufen lassen."
Quelle: ntv.de