Politik

Mehr Willy Brandt gewagt Das klare Ja hilft der SPD - erst einmal

Daumen hoch? Die SPD-Spitze geht mit Zuversicht in die Große Koalition.

Daumen hoch? Die SPD-Spitze geht mit Zuversicht in die Große Koalition.

(Foto: dpa)

Drei Monate nach der Wahl kann endlich regiert werden. Die klare Zustimmung zur Großen Koalition gibt der SPD das Selbstvertrauen zurück. Auch weil sie einen berühmten Satz ihrer Geschichte mit Leben füllen kann.

Es sei ein "außerordentlich ehrliches Ergebnis", sagte Sigmar Gabriel, als er Mitte November beim Parteitag in Leipzig an das Podium trat. Die SPD-Delegierten hatten ihren Vorsitzenden gerade mit 85 Prozent im Amt bestätigt. Kein schlechtes Ergebnis, aber eben auch kein gutes. Mit Abstimmungen ist das in der Politik so eine Sache. Wie unterschiedlich Prozentzahlen psychologisch wirken können, zeigt sich genau einen Monat nach Gabriels Wiederwahl.

Viele hätten ein so klares Ja der SPD-Basis nicht erwartet.

Viele hätten ein so klares Ja der SPD-Basis nicht erwartet.

(Foto: dpa)

Beim Votum über den Eintritt in ein Bündnis mit der Union stimmen knapp 76 Prozent der SPD-Mitglieder mit Ja. Die strittige Koalitionsfrage hatte die Partei wochenlang vor die Zerreißprobe gestellt. Viele bezweifelten, ob die Neuauflage der Großen Koalition richtig ist. Dass sich die Genossen so deutlich zu dem ungeliebten Bündnis durchringen, ist deshalb umso überraschender. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht den Anschein hat: Es ist also ein richtig gutes Ergebnis.

Das Ja der Basis ist ein Vertrauensvorschuss, allerdings nicht auf unbestimmte Zeit. Die Garantie, dass die Partei 2017 als Sieger aus der Koalition hervorgeht, bietet das Votum nicht. Das Misstrauen bleibt. Ob Manuela Schwesig, Andrea Nahles oder Heiko Maas: Die SPD-Minister müssen liefern in ihrer Regierungszeit, womöglich sogar mehr als die Union. Die Mitglieder werden deshalb ganz genau hinschauen.

Der Mut ist zurück

Das SPD-Mitgliedervotum
  • 474.820 SPD-Mitglieder waren stimmberechtigt
  • 369.680 von ihnen haben abgestimmt (77,86 Prozent)
  • 256.643 haben mit Ja gestimmt (75,96 Prozent)
  • 80.921 Mitglieder stimmten mit Nein (23,95 Prozent)
  • 31.800 der eingesandten Stimmzettel waren ungültig
    Quelle: dpa

Umso wichtiger ist, dass es jetzt anders läuft als während der letzten Großen Koalition. Vor allem Gabriel und Steinmeier, die zwischen 2005 und 2009 schon dabei waren, sollten wissen: Jetzt gilt es zu zeigen, dass die SPD nicht nur für das Zustandekommen einer Koalition, sondern auch im Regierungsalltag wirklich gebraucht wird. Hier hat Gabriel eine klare Ansage gemacht. Die 24 Prozent, die mit Nein gestimmt haben, will er in den nächsten vier Jahren davon überzeugen, dass "die 76 Prozent Recht haben". Gelingt dies nicht, droht am Ende erneut der Absturz in der Wählergunst.

Knapp drei Monate nach der Bundestagwahl bringt die Abstimmung der SPD Gewissheit. Manchen Bürger wird es freuen, dass jetzt endlich regiert und nicht mehr nur darüber gesprochen wird. Auch für die Seele der SPD dürfte der klare Ausgang des Votums Balsam sein. Er gibt der am Wahlabend erschütterten Partei ein bisschen vom verloren gegangenen Selbstvertrauens zurück. Denn so groß der Widerwille auch gewesen sein mag: Die SPD-Mitglieder sind bereit, das Abenteuer Schwarz-Rot zu wagen. Das zeugt von einem Mut, den viele den Sozialdemokraten gar nicht mehr zugetraut hatten.

Als nächstes der Kanzlerkandidat?

Das Mehrheits-Ja der SPD ist auch deshalb so viel wert, weil die Zustimmung und Wahlbeteiligung so bemerkenswert hoch sind. Der umstrittene Gang in die Große Koalition wird dadurch demokratisch legitimiert. Wie disziplinierend eine Abstimmung auf Skeptiker wirken kann, zeigt der Volksentscheid über Stuttgart 21. Seit im November 2011 knapp 60 Prozent für die Beibehaltung der Landesfinanzierung des Bahnhofprojektes stimmten, ist der Protest spürbar abgeflacht. Übertragen auf Schwarz-Rot heißt das: Die Skeptiker hatten ihre Chance, aber sie sind deutlich gescheitert.

In ihrer Außenwirkung könnte das Mitgliedervotum den Genossen auch langfristig helfen. In den vergangenen Wochen erhielt die SPD plötzlich die Aufmerksamkeit, die sie im Wahlkampf oft nicht erreichen konnte. Auch viele Mitglieder anderer Parteien schauten etwas neidisch herüber. Für die SPD, der oft das Bild des Verkrusteten und Unmodernen anhängt, ist das ein Etappensieg auf dem Weg zum Imagewechsel. Möglicherweise setzt man die Basis-Beteiligung künftig häufiger ein und macht sie damit zum neuen Markenkern. In drei Jahren ließe sich zum Beispiel über den nächsten Kanzlerkandidaten abstimmen.

Das Mitgliedervotum hat großen Anteil daran, dass das Jahr 2013 für die Sozialdemokraten am Ende doch noch ein erfolgreiches wurde. Pünktlich zum 150. Parteijubiläum und zum 100. Geburtstag Willy Brandts hat die SPD mehr Demokratie gewagt. Dass die Partei heute noch Assoziationen zu ihrem ersten Bundeskanzler weckt und dessen Erbe sogar aktiv lebt, kann ihr gewiss nicht schaden.

Quelle: ntv.de

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