Politik

SPD-Fraktionsvize macht Druck "Der Verkehrsminister erzählt viel und leistet wenig"

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Verkehrsminister Andreas Scheuer von der CSU bei einem Termin in Dresden.

(Foto: dpa)

Wenige Tage vor dem nächsten Treffen des Klimakabinetts macht die SPD Druck: Die Revisionsklausel aus dem Koalitionsvertrag und die Klimapolitik der Bundesregierung stünden in einem "sehr, sehr engen Zusammenhang", sagt Fraktionsvize Matthias Miersch. Soll heißen: Hier muss die Union endlich liefern.

n-tv.de: Vor zwölf Jahren ließ sich Bundeskanzlerin Merkel in Grönland vor einem Gletscher fotografieren, damals galt sie als Klimakanzlerin. Der Ruf ist verflogen, Deutschland verfehlt seine Klimaziele. Was hätte Merkel anders machen müssen?

Matthias Miersch: Die Energiepolitik hätte von Anfang an mehr Verbindlichkeit und Planbarkeit gebraucht. Stattdessen haben wir uns mit Laufzeitverlängerungsdiskussionen in Sachen Atomkraft herumgeschlagen. Das ist der Grund, warum wir nicht auf einen stringenten Kurs gekommen sind.

Der Fehler lag vor Fukushima, als Schwarz-Gelb den Atomausstieg rückgängig gemacht hat?

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Matthias Miersch ist Vizechef der SPD-Fraktion und unter anderem zuständig für Umwelt und Energie.

(Foto: picture alliance/dpa)

Damit fingen die Probleme an. Frau Merkel hat nie einen klaren Kompass entwickelt, wo es hingehen soll. Teile von CDU und CSU haben daher immer gegen den Ausbau der Erneuerbaren gekämpft und tun es bis heute.

Derzeit scheint die Kanzlerin das Thema wiederentdeckt zu haben. Ist das nur Show oder würde Merkel, wenn sie könnte, eine bessere Klimapolitik machen?

Ich nehme ihr ab, dass sie den Klimaschutz neben der humanitären Seite ihrer Flüchtlingspolitik ganz oben auf ihrer persönlichen Agenda ansiedelt. Nicht umsonst hat sie den Vorschlag der SPD aufgegriffen und ein Klimakabinett eingerichtet. Mit ihrer Richtlinienkompetenz kann sie in den nächsten Wochen und Monaten zeigen, dass sie es ernst meint.

Auf Grönland war auch der damalige Umweltminister Sigmar Gabriel dabei. Als Wirtschaftsminister später interessierte ihn das Thema nicht mehr so.

Ein Wirtschaftsminister hat eine andere Rolle als ein Umweltminister. Richtig ist, dass die Frage des Kohleausstiegs damals nie wirklich geklärt wurde. Aber wir haben Konsequenzen daraus gezogen und in der Kohlekommission alle Seiten an einen Tisch gebracht. Auch dem Wirtschaftsministerium wurde von diesem Gremium ein klarer Plan vorgelegt, der jetzt zeitnah gesetzgeberisch umgesetzt werden muss.

Aber ist die Einschätzung falsch, dass die SPD sich in der Regel für Arbeitsplätze entscheidet, wenn sie sich zwischen Klimaschutz und Jobs entscheiden muss?

In der SPD war dieses Thema viele Jahre hoch umstritten. Ich streite heute noch mit Sigmar Gabriel, in welchem Verhältnis Ökologie, Ökonomie und soziale Gerechtigkeit stehen. Für mich ist der Klimaschutz eben nicht gleichwertig. Wir müssen akzeptieren, dass wir mit dem Planeten nicht verhandeln können. Umso mehr müssen wir ökonomische und soziale Fragen klären, die sich aus dem Klimaschutz ergeben.

Umweltministerin Svenja Schulze plant ein Gesetz, das CO2-Einsparziele für einzelne Sektoren verbindlich machen soll. Ist es sinnvoll, Ziele festzuschreiben, wenn der Weg noch gar nicht klar ist?

Die organisierte Unverantwortlichkeit war ein Grund, warum die Bundesregierung bei der CO2-Reduktion in den vergangenen Jahren in Schwierigkeiten geraten ist. Deshalb ist es dringend geboten, durch feste Sektorziele klare Verantwortlichkeiten festzulegen. Die Ressorts müssen liefern - das haben sie in den vergangenen Jahren unzureichend getan, vor allem die Bereiche Verkehr, Landwirtschaft und Gebäude. Wenn wir Sektorziele festlegen, können sich die verantwortlichen Ministerinnen und Minister nicht mehr wegducken.

In welchem Sektor ist der Handlungsdruck am größten?

Vor allem die Verkehrsminister haben in den letzten Jahren viel erzählt und wenig geleistet. Wir haben uns jedoch auf völkerrechtlich bindende Reduktionsziele verpflichtet. Wenn wir die reißen, drohen uns Milliardenzahlungen.

Inwiefern?

Verkehr, Landwirtschaft und Gebäude sind nicht vom europäischen Emissionshandelssystem erfasst. Bei diesen Sektoren haben wir auf der Basis des sogenannten Effort Sharing Zahlungsverpflichtungen: Wir müssen Verschmutzungsrechte von anderen Staaten kaufen, wenn wir die Ziele verfehlen. Das kann in die Milliarden gehen.

Die drohenden Milliardenzahlungen sind neben Fridays For Future vermutlich der Hauptgrund, warum aktuell über die Bepreisung von CO2-Emissionen diskutiert wird. Warum hält die SPD eine CO2-Steuer für sinnvoller als eine Ausweitung des Emissionshandels?

Debatten über eine Ausweitung des Emissionshandels auf Verkehr und Gebäude dienen nur als Verschiebebahnhof: Da soll etwas suggeriert werden, was in absehbarer Zeit niemals kommen wird. Notwendig wäre eine Änderung der Emissionsrichtlinie auf europäischer Ebene. Zudem hat es im Energiesektor viele Jahre gedauert, bis der Emissionshandel eine Wirkung entfaltete. Aber auch die CO2-Bepreisung ist in keiner Weise als Allheilmittel geeignet.

Gilt das auch für die CO2-Steuer?

Ja. Die CO2-Steuer ist lediglich ein Baustein, um mehr Nachhaltigkeit in das Steuer- und Abgabensystem zu bekommen. Aber: Letztlich ist sie ein rein marktwirtschaftliches Instrument, das allein keine ökonomische oder soziale Lenkung hat. Natürlich kann man Leute über einen CO2-Preis zwingen, ihre Öl-Heizungen auszutauschen. Aber das wäre unsozial. Sinnvoller ist es, massive Förderprogramme aufzulegen, verbunden mit ordnungsrechtlichen Vorgaben.

Vorgaben?

Die Festlegung auf ein konkretes Einsparziel, das mithilfe der Förderung in einer festgelegten Zeitspanne erreicht werden muss.

Würde das auf ein Verbot von Ölheizungen hinauslaufen?

Zwänge führen zu Abwehrreaktionen - daher halte ich auch den Zwang über die CO2-Bepreisung nicht für sinnvoll.

Was haben Sie gegen die CO2-Bepreisung als marktwirtschaftliches Instrument?

Nehmen Sie den Kohleausstieg. Man könnte den Emissionshandel so gestalten, dass Kohleförderung und Kohlekraftwerke sich in Deutschland irgendwann nicht mehr rechnen - so argumentiert die FDP. Aber dann gäbe es einen eiskalten Strukturbruch. Genau das wollte die Kohlekommission nicht. Sie hat sich darauf verständigt, den betroffenen Regionen über die nächsten zwanzig Jahre 40 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen, um den Übergang zu gestalten und Brüche zu vermeiden. Für die anderen Sektoren muss das genauso gelten. Flankierend hat der CO2-Preis seine Berechtigung - mehr nicht.

Warum wird dann so vehement über die CO2-Bepreisung gestritten?

Offensichtlich geht es um ein Symbol und für Teile in der Politik auch darum, letztlich nicht über andere Maßnahmen diskutieren zu wollen. Noch einmal: Die CO2-Bepreisung ist ein gutes Instrument, um Bewusstsein zu schärfen. Durch eine Rückerstattung wie beim Schweizer Modell können diejenigen belohnt werden, deren CO2-Ausstoß gering ist - das sind häufig sozial Schwächere. Das hat eine Bewusstseinswirkung, aber keine Lenkungswirkung. Beispiel Spritpreis: Eine moderate Anhebung durch eine CO2-Steuer hielte ich für sinnvoll, verbunden etwa mit einem Ausbau des ÖPNV. Aber wir können Benzin und Diesel nicht so teuer machen, dass bestimmte Gruppen sich das Fahren nicht mehr leisten können.

Am 29. Mai trifft sich das Klimakabinett zum nächsten Mal. Was erwarten Sie von der Sitzung?

Es ist dringend notwendig, dass ein fester Zeitplan aufgestellt wird, welches Gesetz wann erarbeitet und beschlossen wird. Wir haben nicht umsonst in den Koalitionsvertrag geschrieben, dass wir bis 2019 eine Klimaschutzgesetzgebung verabschieden wollen. Das ist genau der Zeitpunkt, an dem wir prüfen wollen, ob der Gang in die Große Koalition sinnvoll war oder nicht.

Die sogenannte Revisionsklausel im Koalitionsvertrag.

Ich sehe beides in einem sehr, sehr engen Zusammenhang. Umfragen zeigen, dass das Thema Klimaschutz in der Bevölkerung ganz oben angesiedelt ist. Eine Große Koalition, die beweisen will, dass sie Zukunft gestalten und Zukunftsfähigkeit herstellen kann, muss sich an diese Abmachung halten. In den Bereichen Mobilität, Gebäude und Landwirtschaft habe ich da bislang gar nichts gesehen.

Das sind alles unionsgeführte Ressorts.

Und wir müssen den weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien vorantreiben. Bis 2030 wollen wir einen Erneuerbaren-Anteil von 65 Prozent haben. Auch das wird von weiten Teilen der Union bislang blockiert. Vom Klimakabinett erwarte ich, dass es eine klare Struktur gibt, eine Ansage der Kanzlerin, damit wir noch 2019 sagen können: Wir haben geliefert.

Wie wichtig wird die Klimapolitik sein, wenn die SPD eine Bilanz der GroKo zieht?

Ich halte das für ein entscheidendes Thema.

Wird diese Ansicht in der SPD-Spitze allgemein geteilt?

Inzwischen, anders als noch unter anderen Parteivorsitzenden, ist allen klar, dass Klimaschutz von entscheidender Bedeutung ist: für den Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen sowie für den Erhalt des sozialen Zusammenhalts, global und national. Ich glaube, dass alle an der Parteispitze diesem Thema allerhöchste Priorität geben.

Würden Sie für ein Ende der Koalition plädieren, wenn es Ende 2019 keine Klimaschutzgesetzgebung gibt?

Jeder in der Großen Koalition muss sich darüber im Klaren sein, dass die Erwartungshaltung - vor allem in der jüngeren Generation - an die Politik riesengroß ist, die großen Zukunftsfragen zu klären. Nicht umsonst hat die SPD durchgesetzt, dass die Klimaschutzgesetzgebung im Jahr 2019 erstmals in Deutschland verbindlich das Erreichen des Klimaziels 2030 gewährleisten soll. Ich bin ein positiv eingestellter Mensch, so dass ich die feste Hoffnung habe, dass sich die Koalitionspartner an diese glasklaren Vereinbarungen halten. Alles andere wäre ein massiver Glaubwürdigkeitsverlust, den keiner wollen kann.

Mit Matthias Miersch sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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