Sieger und Verlierer bei der FDP Der feine Unterschied
11.03.2013, 12:03 Uhr
Wolfgang Kubicki und Dirk Niebel - Konkurrenten und ähnliche Typen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Der "Quartalsirre" Wolfgang Kubicki kommt im Olymp der FDP, im Präsidium, an. "Störenfried" Dirk Niebel verliert seinen Posten als Beisitzer. Der eine steigt auf, der andere stürzt ab - dabei sind sich beide ziemlich ähnlich. Eine Geschichte von Kriegsspielern und Kriegern, von unendlich selbstbewussten Männern, die auf einem schmalen Grat spazieren.
Dirk Niebel faltet seine Hände und lässt sie auf die Tischplatte sinken. Sein Blick erstarrt. Der FDP-Politiker sitzt im großen Saal des Estrel Convention Centre in Berlin, beim Bundesparteitag der Liberalen. Parteikollegen umringen Niebel, klopfen ihm auf die Schulter oder auf den Rücken. Sie suchen Augenkontakt, pressen ihre Lippen zusammen und nicken ihm zu. Der liberale Entwicklungsminister hat gerade erfahren, dass er künftig nicht mehr Beisitzer im Präsidium der Partei sein wird. Nicht einmal jeder vierte Delegierte stimmte für den 49-Jährigen.
Nur ein paar Tischreihen entfernt steht Wolfgang Kubicki. Auch der schleswig-holsteinische Fraktionschef faltet hin und wieder seine Hände. Auch ihm klopfen Kollegen auf die Schulter oder auf den Rücken und nicken ihm zu. Für Kubicki allerdings gab es gute Nachrichten: Gut zwei Drittel der Delegierten stimmten für den 61-Jährigen als Beisitzer.
Sieg und Niederlage liegen oft nah beisammen. Vielleicht nutzen Menschen deshalb die gleichen Gesten, wenn sie sich Gewinnern und Verlierern zuwenden. Auf dem Bundesparteitag der FDP war das oft zu beobachten. Parteichef Philipp Rösler etwa zählt zu den Gewinnern, er kann sein Amt nun gestärkt fortführen. Birgit Homburger dagegen darf sich nicht mehr stellvertretende Vorsitzende nennen. Doch Niebel und Kubicki stechen hervor. Denn der Mann, der am vergangenen Wochenende besonders tief stürzte, hat mit dem, der aufstieg, so viel gemein, dass man sich die Frage stellen muss: Was macht den Sieger zum Sieger und was den Verlierer zum Verlierer?
Selbstbewusste Kerle aus dem Norden
Niebel und Kubicki sind Nordlichter. Der Entwicklungsminister hat seine politische Heimat zwar in Baden-Württemberg, doch er kam in Hamburg zur Welt und wuchs dort auf. Kubicki stammt aus dem niedersächsischen Braunschweig, siedelte später nach Schleswig-Holstein über. Bei ihrer Herkunft hören die Gemeinsamkeiten nicht auf.
Beide strotzen vor Selbstbewusstsein. Niebel wollte seine Niederlage nach der Beisitzerwahl überhaupt nicht wahrhaben. Im Gespräch mit n-tv.de sagte er beim Blick auf die Parteitagsbühne: "Ich gehe gleich da oben hin, setze mich auf meinen Präsidiumsplatz als Bundesminister und werde später als Spitzenkandidat in Baden-Württemberg einen fulminanten Wahlkampf aufziehen, der dem Rest der Bundespartei den Weg öffnet für die Bundesregierung." Dass er seinen Sitz im Präsidium verliert, wenn er nach der Wahl kein Minister mehr sein sollte, blendete er aus. Für ihn ist ohnehin klar, dass die FDP bei der Bundestagswahl im September ein zweistelliges Ergebnis einfährt.
Auch Kubicki glaubt an die 10 Prozent plus X der Wählerstimmen. Der schleswig-holsteinische Fraktionschef machte wie Niebel deutlich, dass er nun aus der "Mitte des Präsidums" heraus Strategie und Wahlkampf der Partei mitbestimmen wolle. Nebenbei erwähnte er, dass er so viele Einladungen zu Vorträgen und Diskussionsrunden habe, dass er "in den nächsten drei Jahren jeden Tag irgendwo auftreten könnte".
Kriegsspiele und Landsermützen
Im Privaten offenbaren sich noch mehr Parallelen. Niebel und Kubicki verbindet eine ungewöhnliche Vorliebe: das Martialische. Niebel diente bis in die 90er Jahre hinein als Zeitsoldat. Er war Fallschirmjäger. Als Entwicklungsminister fiel er vor allem auf, weil er in Entwicklungsländern gern mit einer Gebirgsjägermütze auftrat. Im vergangenen Jahr fing er damit an, diese Mützen zu Hauf auch an seine Gesprächspartner zu verschenken.
Für Kubicki ist das Militärische eher eine Sache, die sich in seinem Kopf abspielt. Der FDP-Politiker ist derart in Kriegsfilme vernarrt, dass ein Reporter der "Zeit" im vergangen Jahr mit ihm eine Nacht vor dem Fernseher verbrachte. Es galt, kurz vor dem Landtagswahlkampf in Schleswig-Holstein eine Dosis "Band of Brothers" aufzusaugen. In dem Artikel "Der Scharfschütze" wird Kubicki unter anderem mit dem Satz zitiert: "Ich gucke mir die (Kriegsfilme) nicht an, ich spiele da mit." Totale Identifikation, die bis in die Verkörperlichung hineinreicht (Schweißausbrüche). Aber vielleicht gehen diese Gemeinsamkeiten zu weit ins Private, um sich den Gründen für den Sturz des einen und den Aufstieg des anderen zu nähern.
Die am weitesten verbreitete Lesart zu Niebels Niederlage ist, dass er abgestraft wurde, weil er Parteichef Rösler immer wieder in Frage gestellt hat. Doch unterscheidet er sich da wirklich von Kubicki?
Spaziergang auf einem schmalen Grat
Als Rösler das Amt des Parteichefs im Mai 2011 übernahm, dümpelte die Partei im Umfragetief. Und auch unter seiner Führung erholte sie sich nicht. Etliche FDP-Politiker hofften darum insgeheim, dass ihr Chef Platz für einen anderen machen würde. Im Gegensatz zur großen Mehrheit der Liberalen wagten sich Niebel und Kubicki mit ihren Bedenken an die Öffentlichkeit. Sie wagten einen verbalen Spaziergang auf einem schmalen Grat.
Niebel sagte noch beim Dreikönigstreffen in Stuttgart, ihn "zerreiße es innerlich", wenn er sich die FDP anschaue. Er forderte jenen vorgezogenen Parteitag in Berlin, bei dem er nun seinen Beisitzerposten verlor. Sein Ziel: die Führungsfrage klären und ein starkes Team aufstellen. Noch am Tag der Landtagswahl in Niedersachsen Ende Januar wiederholte er diesen Anspruch.
Kubicki stand Niebel in nichts nach. Im August des vergangenen Jahres lobte er zunächst den neuen stellvertretenden FDP-Chef Christian Lindner als "geborenen neuen Bundesvorsitzenden". Mitte Januar, nur ein paar Tage vor der Niedersachsenwahl, fügte er hinzu, die Diskussion darüber, wie die optimale personelle Aufstellung der Partei für die Bundestagswahl aussehe, sei mit der Landtagswahl in Niedersachsen sicher nicht zu Ende.
Es kam anders: In Niedersachsen holte die FDP fast 10 Prozent, der so gestärkte Rösler gilt mittlerweile als unumstrittene Nummer Eins der Partei.
Kampf mit offenen Visier
Im Gespräch mit n-tv.de beteuerten Niebel und Kubicki beim Bundesparteitag, dass sie stets für ihre Meinung einstehen. Auch das ist eine Gemeinsamkeit. Niebel nannte das einen "Kampf mit offenen Visier", Kubicki erklärte, er würde alles, was er anderen in der Öffentlichkeit zumutet, den Betroffenen auch "ins Gesicht" sagen. Und wenn die beiden das so behaupten, lügen sie nicht. Sie sind für ihre offenen Worte bekannt. Niebel wurde von Medien darum wiederholt als lautstarker "Störenfried" tituliert, Kubicki als "Quartalsirrer" und "Querulant". Wenn es bei der FDP echte "Klare-Kante-Politiker" gibt, dann sind sie es.
Und so sagte Niebel am Wochenende dann auch, dass er der Partei mit seiner Forderung nach dem vorgezogenen Parteitag einen Dienst erwiesen habe. "Wir haben damit die Personaldebatte um zwei Monate verkürzt und haben den Kopf frei für die Programmdiskussion beim Programmparteitag im Mai."
Kubicki war nur ein wenig diplomatischer. Er sagte, er habe sich nie kritisch zum Parteichef geäußert, er habe sich aber auch nicht hinter ihn gestellt, er habe wie immer bloß seine Meinung gesagt. Dann machte er deutlich, dass seine Bedenken in Sachen Rösler von gestern sind. "Er hat heute gezeigt, dass er zu seiner alten Form zurückgekehrt ist, so wie wir ihn gemocht und geliebt haben."
Die arme Sau
Bei ihrer Kritik gibt es zwischen Niebel und Kubicki eigentlich nur einen feinen Unterschied: das Timing. Niebel wagte es ein wenig länger, nämlich bis zum Tag des Triumphs der FDP in Niedersachsen, die Öffentlichkeit an seinem Zweifeln an Rösler teilhaben zu lassen - es waren vielleicht die entscheidenden Tage für die Wahlkämpfer in Hannover. Und so blieb er als der Mann in Erinnerung, der den Erfolg der FDP in Niedersachsen und damit im Bund gefährdete. Kubicki kam hingegen mehr als glimpflich davon.
Eine These, die Kubicki, darauf angesprochen, selbst stützt: Die Partei habe Niebel nicht abgewählt, weil er ein kantiger Charakter sei, sagte er, sondern "weil er in bestimmten Phasen der Partei öffentlich Kritik geäußert hat". Ist der entscheidende Unterschied zwischen dem "Quartalsirren" Kubicki und dem "Störenfried" Niebel das Gespür dafür, wann ein deutliches Wort angebracht ist und wann es die eigene Position gefährdet?
Niebel will von dieser Theorie offenbar nichts wissen: Für ihn haben Kubickis Sieg und seine Niederlage einen ganz anderen Grund: "die super-brillante Rede" Kubickis vor der Beisitzerwahl. Die fiel tatsächlich auf. Doch es ist zumindest fraglich, ob Kubicki mehr als doppelt so viele Stimmen bei den Delegierten einheimste, nur weil er die "Stern"-Reporterin Laura Himmelreich vor mehr als 600 Delegierten verspottete und Peer Steinbrück eine "arme Sau" nannte, weil der nun SPD-Kanzlerkandidat sein müsse.
Quelle: ntv.de