Politik

Drohung gegen Prinzen-Sänger Der rechte Mob kriegt uns nicht klein

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
"Alle müssen etwas tun", schreiben Springfeld und Krumbiegel.

"Alle müssen etwas tun", schreiben Springfeld und Krumbiegel.

(Foto: picture alliance / Frank May)

Kürzlich erhält der Leipziger Sebastian Krumbiegel rechte Drohungen vor einer Veranstaltung. Im März lungern Neonazis am Ort einer Lesung des Zwickauer Aktivisten Jakob Springfeld. Hier berichten sie, wie es ihnen dabei ging - und warum sie sich weiter gegen rechts engagieren.

Vergangenen Freitag las ich, Sebastian, im "Boddenhus" in Greifswald aus meinem Buch. Wenige Tage zuvor hatte ich rechte Drohungen erhalten. Auch von einer rechten Demonstration vor dem Veranstaltungsort war die Rede. So etwas kenne ich schon aus der Vergangenheit. Jetzt aber stand die Überlegung im Raum, die Veranstaltung abzusagen. Das war für mich eine neue Dimension.

Im März las ich, Jakob, in Bautzen aus meinem Buch. Kurz vor Beginn stand ungefähr ein Dutzend Neonazis, in Teilen vermummt, vor dem Jugendzentrum. Die Lesung konnte nur unter Polizeischutz durchgeführt werden. Ich wurde am Ende von Security zum Bahnhof eskortiert, damit ich sicher nach Hause komme.

Springfeld und Krumbiegel engagieren sich gegen rechte Gewalt.

Springfeld und Krumbiegel engagieren sich gegen rechte Gewalt.

(Foto: Privat)

Wie sich das anfühlt? Nach Deutschland im Jahr 2023. Nämlich bedrohlich. Und gefährdet sind wir nur, weil wir uns gegen das Erstarken ultrarechter Parteien im Land engagieren. Unser Anliegen ist es zu zeigen, dass im Osten nicht nur Neonazis wohnen, sondern eine Zivilgesellschaft existiert, die dagegenhält.

Das mulmige Gefühl

Uns trennen ein paar Jahrzehnte an Lebenserfahrung. Bedrückt müssen wir immer wieder feststellen, dass sich unsere Erlebnisse trotzdem erschreckend ähneln: Der Ältere von uns beiden (57) hat in Leipzig die Baseballschläger-Jahre Anfang der Neunziger erlebt, der Jüngere (21) Gewalt von Neonazis in Zwickau, der Stadt, in der die rechtsextreme Mörderbande NSU vor ihrer Enttarnung zuletzt untergetaucht war.

Wir kennen das mulmige Gefühl beim Wegrennen vor rechten Schlägern, die Angst in den Knochen, wenn es im Kopf rattert, was passieren könnte, wenn … Aber wir beide wissen auch, wie es ist, Stunden später oder am nächsten Tag zu sagen: Nö, wir lassen uns nicht unterkriegen.

Seit Langem kämpfen wir - jeder auf seine Weise - gegen extrem rechts und für Demokratie, Menschenrechte und eine plurale Gesellschaft in Sachsen und anderswo. Und das werden wir auch weiter tun. Auch wenn es oft weh tut und, wir müssen es so sagen, gefährlicher wird. Und ja, es ist alles andere als schön, in dieser ständigen Bedrohungslage zu wirken - ob in Form von Musik, Lesungen oder politischer Arbeit.

Hass ist keine Meinung

Aber wenn wir uns vom rechten Mob vorschreiben lassen, was wir Demokraten tun oder eben nicht tun, dann wäre das der Anfang vom Ende unseres Landes, wie wir es kennen. Es geht hier um nicht weniger als das hohe Gut der Kunst- und Meinungsfreiheit. Es geht darum, an welcher Kreuzung unsere Demokratie abbiegt und ob sie das kommende Jahr in allen Teilen dieses Landes übersteht. Denken wir an die Umfragewerte der AfD und anderer weit rechts stehender Parteien zu den drei Landtagswahlen im Osten, wird uns ganz anders.

ANZEIGE
Unter Nazis. Jung, ostdeutsch, gegen Rechts
61
14,99 €
Zum Angebot bei amazon.de

Die Bedrohungslage vor und während einiger unserer Lesungen ist nur die Spitze des Eisbergs. Wir sind dankbar dafür, dass uns die Öffentlichkeit Schutz bietet, auch und gerade durch die Medien. Andere haben nicht so viel Glück in diesen hasserfüllten Zeiten, sie gehen in der Masse unter. Angriffe auf Geflüchtete nehmen zu. In diesem Jahr gab es schon deutlich mehr als 2022, wie eine Polizeistatistik zeigt. Zeitgleich erleben wir Attacken auf Synagogen und einen ausufernden Antisemitismus. Hass auf Menschen jüdischen Glaubens macht sich breit.

Gerade jetzt müssen wir dabeibleiben und immer wieder klarmachen: Hass ist keine Meinung. Hass ist und führt zu noch schlimmeren Verbrechen. Wer die Intoleranten toleriert und sie mit Demokraten gleichsetzt, der hat keine Ahnung von Geschichte oder hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Oder ist im schlimmsten Fall selbst ein Feind unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung.

Ostdeutschland als Ort der Demokratie

Viele, die das hier lesen, werden nun denken: AfD-Politiker werden ja auch angegriffen. Aber wir, die diesen Beitrag geschrieben haben, kriegen nun mal den Hass von rechts ab. Immer wieder. Wir wissen von der blutigen Spur rechter Gewalt seit der Wiedervereinigung bis heute. Sie zeigt eine Kontinuität, die sich zunehmend einschüchternd und frustrierend anfühlt: gerade für Leute, die sich im ländlichen Raum engagieren, besonders in Gegenden Sachsens, wo einer Wahlstimme für die Grünen Dutzende für scharf rechte Parteien gegenüberstehen. Doch Aufgeben kommt nicht infrage. Nicht mal und gerade nicht in Sachsen.

Wir verteidigen Ostdeutschland als Ort der Demokratie. Auch dort, wo die AfD mehr als 30 Prozent Zustimmung erhält, ist nicht alles rechts. In Zwickau, Leipzig, Magdeburg, Schwerin, Prenzlau, Greifswald, Erfurt - überall im Osten gibt es viele Leute mit dem Herzen am richtigen Fleck. Leute, deren Arbeit im öffentlichen Diskurs oft zu kurz kommt. Leider.

Damit all jene, auch wir zwei, uns weiter engagieren können und damit wir in den kommenden Jahren nicht ständig "blaue Wunder" erleben, müssen wir die Bedrohung beim Namen nennen und endlich viel, viel, viel mehr demokratische Akzente auf die Marktplätze, in die Kulturzentren und in die Städte bringen. Und wir appellieren an alle, uns und die Demokratie zu schützen. Es reicht eben nicht, nur zu denken: Die AfD ist schrecklich. Alle müssen etwas tun.

Wir jedenfalls werden uns nicht verbiegen lassen und weiter aus unseren Büchern lesen, musizieren und Protest organisieren. Ob in Greifswald oder Bautzen: Wir rennen nicht weg. Wir bleiben da. Und wenn nötig, kommen wir wieder.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen