Politik

Exporteure des Terrors Die Attentäter des IS

In Nizza gedenken Menschen der Anschlagsopfer. Ob der Täter Kontakte zum IS hatte, ist bislang nicht bekannt.  Das ist aber auch nicht nötig, meint Psychologe und Islamismusexperte Mansour.

In Nizza gedenken Menschen der Anschlagsopfer. Ob der Täter Kontakte zum IS hatte, ist bislang nicht bekannt. Das ist aber auch nicht nötig, meint Psychologe und Islamismusexperte Mansour.

(Foto: dpa)

Fast 14.000 Luftangriffe hat die US-geführte Koalition in Syrien und im Irak gegen die IS-Terrormiliz geflogen. Der Islamische Staat schrumpft geografisch. Aber eine regionale Niederlage des Kalifats ist nicht das Ende des Netzwerks - im Gegenteil.

Trotz ihrer Erfolge gegen die Terroristen des Islamischen Staates (IS) dürfte sich die Feierlaune bei der Anti-IS-Konferenz in Washington in Grenzen halten. Das Herrschaftsgebiet der Dschihadisten im Nahen Osten ist nach Angaben des Pentagon zwar drastisch geschrumpft - um 45 Prozent im Irak und 20 Prozent in Syrien - doch der IS verlagert den Krieg und exportiert den Terror in den Westen.

Dafür brauchen die Dschihadisten nicht einmal mehr Bomben und auch kein Maschinengewehr. Ein Führerschein reicht, wie der Anschlag von Nizza auf den Nationalfeiertag der Franzosen zeigt. Als Mohamed Lahouaiej-Bouhlel mit dem weißen Lastwagen über die Promenade des Anglais raste und mindestens 84 Menschen zu Tode fuhr, wusste die IS-Führung im fernen Kriegsgebiet vermutlich nichts von der Tat. Zwei Tage später verbreiteten die IS-nahe Nachrichtenagentur Amak und der IS-Radiosender Al-Bajan aber die Nachricht, der 31-jährige Tunesier sei "ein Soldat" des Kalifats gewesen. Der IS reklamierte den Anschlag für sich, ohne weiteres Insiderwissen preiszugeben.

Kleine Attentate mit großer Wirkung

In Nizza gedenken Menschen der Anschlagsopfer. Ob der Täter Kontakte zum IS hatte, ist bislang nicht bekannt. Das ist aber auch nicht nötig, meint Psychologe und Islamismusexperte Mansour.

In Nizza gedenken Menschen der Anschlagsopfer. Ob der Täter Kontakte zum IS hatte, ist bislang nicht bekannt. Das ist aber auch nicht nötig, meint Psychologe und Islamismusexperte Mansour.

(Foto: dpa)

Deutlich wird dadurch vor allem, dass die Dschihadisten ihr terroristisches Repertoire in den letzten Jahren erweitert haben. "Al-Kaida wollte immer große Anschläge verüben", schreibt Terrorismusforscher Peter Neumann vom King's College in London. "Ihnen ging es um ein zweites 9/11 oder zumindest um etwas Vergleichbares, wie die Anschläge in London und Madrid." Der IS verstehe es im Gegensatz Al-Kaida deutlich besser, dass selbst kleine Attentate für große Furcht in der Bevölkerung sorgen.

Terrorattacken durch Einsame Wölfe haben einen ungeheuren psychologischen Einfluss auf den Westen. Im September 2014 rief IS-Sprecher Abu Mohammed al-Adnani in einer 42-minütigen Ansprache Anhänger überall auf der Welt dazu auf, Anschläge zu verüben. Die Propaganda des IS läuft auf allen Kanälen: In sozialen Netzwerken, auf Youtube oder in geheimen Chatgruppen. Oft dürften die Urheber selbst gar nicht wissen, wo ihr radikales Weltbild auf offene Augen und Ohren stößt.

"Menschen mit ungeheurem Hass"

"Diese Menschen sind in einer Krise, sind unzufrieden und suchen nach einem Platz, wo sie sich wohlfühlen", sagt der Berliner Psychologe und Programmdirektor der European Foundation for Democracy, Ahmed Mansour, der früher selbst in radikal-islamistischen Kreisen unterwegs war. "Es sind Menschen, die einen ungeheuren Hass auf die Menschen, ihre Werte und die Gesellschaft haben, wo sie nie angekommen sind."

Die verschiedenen Terrorgruppen würden unterschiedliche Typen von Anhängern anziehen, ist sich Mansour sicher. Beim IS seien es vor allem Menschen, die schon mal Gewalt ausgeübt haben oder mit dem Gesetz in Konflikt standen. "Während die Gesellschaft das nicht akzeptiert, werden sie von der Ideologie des IS sogar noch für ihre Gewaltaffinität belohnt. Genauso wie von ihrem nächsten Umfeld - und letztlich sogar von Gott."

"Nur mit einer Ideologie zu erklären"

Die Vorgehensweise der Einzeltäter oder "Einsamen Wölfe", wie sie von Experten auch genannt werden, ist jedoch nicht neu. In der Vergangenheit haben bereits radikale Palästinenser zum Beispiel Baustellenfahrzeuge gekapert und bei Amokfahrten viele Menschen getötet. Hausfrauen und Jugendliche griffen mit Messern Soldaten in der Jerusalemer Altstadt an. Als die Hamas die Macht im Gaza-Streifen übernahm, stürzte sie politische Gegner von Hausdächern. Neu ist nur, dass diese Taktiken jetzt auch den Westen treffen. Die Klaviatur der weltweit operierenden Terroristen ist breiter geworden. Ob der Attentäter von Nizza, Mohamed Lahouaiej-Bouhlel, direkte Kontakte zum Terrornetzwerk hatte, ist den französischen Behörden bislang nicht bekannt. Das ist aber auch nicht nötig, meint Psychologe und Islamismusexperte Mansour: "So eine Tat, so eine Aggressivität und Menschenverachtung kann man nur mit einer Ideologie erklären."

Die Attentäter versuchten, ihre Tat religiös-ideologisch zu rechtfertigen. Eine Studie des University College London untersuchte 2014 mehr als 100 Taten von Einsamen Wölfen. Demnach standen viele Täter unter hohem Stress, hatten ihren Job verloren, private Probleme oder waren sozial isoliert. Die Studie zeigte aber auch, dass Einsame Wölfe häufig gar nicht so einsam waren.

Asymmetrische Kriegsführung

Die Dschihadisten passen ihre Terror-Strategie der Umgebung an: Im Irak große Autobombenanschläge gegen Schiiten, um die "Abtrünnigen" zu töten. Der IS hat dort das Personal und die Logistik vor Ort, ein chaotischer Sicherheitsapparat macht es den Terroristen leicht. In Ägypten war es möglich, eine Bombe an Bord eines russischen Flugzeuges zu schmuggeln, versteckt in einer Getränkedose. Der IS bekannte sich später zu dem Anschlag, der das Flugzeug mit 224 Menschen Bord über der Sinai-Halbinsel zum Absturz brachte.

Im Westen ist es eine Mischung aus komplexen Operationen, die mutmaßlich von der Führung beauftragt worden sind - wie etwa den koordinierten Angriffen in Paris im November vergangenen Jahres - und der Taten Einzelner, die sich wie in Orlando im Nachhinein auf den IS beziehen oder die in die Propagandastrategie des IS passen und daher später als Tat der Terrormiliz reklamiert werden. Es ist eine asymmetrische Kriegsführung, die überall zuschlagen kann. Je stärker das Kalifat geografisch im Nahen Osten immer stärker unter Druck gerät, desto mehr verlagert der IS den Kriegsschauplatz in den Westen. Ähnlich wie der Konkurrent Al-Kaida entwickelt sich der IS immer mehr zu einem globalen Netzwerk.

Quelle: ntv.de, Simon Kremer, dpa

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