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Gutachten empfiehlt Korrekturen Die Energiewende wird auch unter Reiche teuer

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Katherina Reiche versicherte, sie wolle die Klimaziele erreichen - aber zu einem vernünftigeren Preis.

Katherina Reiche versicherte, sie wolle die Klimaziele erreichen - aber zu einem vernünftigeren Preis.

(Foto: picture alliance/dpa)

Sie wollte eine "Neuausrichtung der Energiewende", bestellte aber erst einmal eine Bestandsaufnahme: Bundeswirtschaftsministerin Reiche hat ihr mit Spannung erwartetes Gutachten vorgestellt. Rückenwind für einen Kurswechsel bringt ihr das Papier nicht - aber Kritik vom Koalitionspartner.

Eines immerhin weiß Katherina Reiche jetzt ziemlich sicher: Die Energiewende sei "wirklich verdammt komplex und verdammt herausfordernd", sagt die Bundesministerin für Wirtschaft und Energie am Montag bei der Vorstellung des von ihrem Haus beauftragten Gutachtens mit dem Titel "Energiewende. Effizient. Machen." Der sogenannte Monitoringbericht zum Stand des Umbaus der deutschen Energieversorgung auf ausschließlich Erneuerbare bis zum Jahr 2045 soll Grundlage für den weiteren Kurs der Bundesregierung sein. Doch die von Reiche verlautbarten Vorhaben und der Inhalt des Gutachtens passen nur stellenweise zusammen. Zudem provozieren die Schlussfolgerungen der CDU-Politikerin umgehenden Widerspruch, sogar aus den Reihen des schwarz-roten Regierungsbündnisses.

Die Autoren der Studie waren beauftragt, Potenziale zu identifizieren, wie die Dekarbonisierung der Energieversorgung kostengünstiger gelingen könnte, ohne die Versorgungsstabilität oder die Erreichung der Klimaziele zu gefährden. Gefunden haben die beteiligten Wissenschaftler so einiges. Doch maßgeblich für alle weiteren Handlungen ist die Leitfrage: Wie viele Terawattstunden sollen es denn sein? Die Kosten der Energiewende hängen ganz wesentlich davon ab, wie hoch der Strombedarf der Zukunft angesetzt wird. Je niedriger er ausfällt, desto geringer die Kosten für den Anlagen- und Netzausbau. Wird der Bedarf aber zu niedrig angesetzt, verfehlt Deutschland die Klimaziele und ein Nachjustieren wäre umso teurer.

Reiche: Eher 600 als 750 Terawattstunden

Im laufenden Jahr liegt der deutsche Stromverbrauch laut Reiche bei 510 Terawattstunden. Das noch unter dem grünen Amtsvorgänger Robert Habeck veränderte Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) beziffert den Bedarf für 2030 mit 750 Terawattstunden. Die von Reiche beauftragten Gutachter haben keine eigene Bedarfsanalyse erstellt, sondern vorhandene Studien zusammengefasst und gewichtet. Im Ergebnis kommen sie auf eine Bandbreite von 580 bis 700 Terawattstunden, wobei bei dieser festgestellten Bandbreite explorative Studien dominieren, also die weitere Entwicklung der Nachfrage vom Ist-Zustand aus hochgerechnet wird.

Reiche aber hält selbst diese Bandbreite für eher großzügig angesetzt. Sie gehe davon aus, "dass wir in der Bandbreite eher am unteren Ende liegen", sagt die Ministerin. Reiche sieht sich durch das Gutachten in ihrer schon zuvor vielfach geäußerten Ansicht bestärkt, die bisherigen Bedarfsplanungen von 750 Terrawatt seien zu hoch angesetzt - und damit unnötig teuer für Unternehmen, Verbraucher und den ohnehin arg strapazierten Bundeshaushalt. Bliebe es bei den bisherigen Ausbauzielen, beliefe sich der Investitionsbedarf in den kommenden 15 Jahren auf "700 bis 850 Milliarden Euro", sagt Reiche.

Die Gutachter - und noch stärker Reiche selbst - gehen in ihren Annahmen aber davon aus, dass Deutschlands Elektrifizierung schlichtweg nicht so schnell vorankommt, wie es politisch einmal gewollt war. Elektroautos, Wärmepumpen, Elektrolyseure zur Wasserstoffproduktion und Rechenzentren setzen sich demnach nicht in der vormals prognostizierten Geschwindigkeit durch. Auch stelle die Industrie nicht so schnell von Gas auf Strom um - oder verschwinde gleich ganz aus Deutschland. Damit falle auch der Bedarf 2030 niedriger aus.

Das Ziel von 80 Prozent Erneuerbaren Energien bis 2030 aber werde erreicht, sagt Reiche. Auch die Gutachter zeigen sich diesbezüglich optimistisch. 2025 liegt der Erneuerbaren-Anteil bei immerhin 60 Prozent. Das Ausbauziel binnen fünf Jahren ist dennoch ambitioniert: Bei der Solar-Energie ist Deutschland zwar im Plan, die Windenergie aber hängt bei den Ausbauzielen etwas hinterher. So oder so: Ein hohes Tempo halten die Gutachter auf beiden Feldern weiter für geboten.

Die Dekarbonisierung des Stroms ist zudem nicht isoliert zu betrachten: Für Deutschlands Gesamtemissionsziele reichten auch 80 Prozent Erneuerbare beim Strom nicht, wenn weiter in signifikanten Mengen Gas und Öl verheizt und verfahren werden. Dass Deutschland insgesamt bis 2045 klimaneutral sein könne, wie es Gesetz und Koalitionsvertrag vorsehen, hält Reiche aber ohnehin für kaum realistisch - und kann sich dabei der Zustimmung von Bundeskanzler Friedrich Merz gewiss sein.

Kritik von SPD und Grünen

Sollte die Bundesregierung das Erneuerbare-Energien-Gesetz wie von Reiche angekündigt novellieren und darin den jährlichen Strombedarf um eine dreistellige Terawattstunden-Zahl nach unten schrauben - die Kosten für den Ausbau des Stromnetzes würden schlagartig um eine hohe Milliardensumme sinken. Doch beim kleinen Koalitionspartner SPD regt sich Widerstand, bei den Grünen sowieso. Durch Elektromobilität und strombasiertes Heizen werde "der Bedarf deutlich wachsen", wenn Deutschland seine Klimaziele in den Sektoren Verkehr und Wohnen erreichen wolle, teilt Bundesumweltminister Carsten Schneider von den Sozialdemokraten mit. "Wir dürfen uns keinesfalls künstliche Hürden bei der soliden Versorgung mit erneuerbarer Elektrizität für Industrie, Verkehr und Wärme aufbauen."

Reibung zwischen Reiche und den Sozialdemokraten gibt es auch in der Frage des Photovoltaik-Ausbaus auf Dächern, zumeist auf Wohngebäuden. Deren Förderung will die Bundesministerin einstellen. Es rechne sich für den Verbraucher auch ohne staatliche Förderung, sich eine Photovoltaikanlage aufs Dach und einen Stromspeicher ins Haus zu stellen. Staatliche Zuschüsse seien daher "nicht notwendig". Ausgerechnet das Gutachten warnt aber vor den Folgen einer geringeren Dynamik beim Zubau von PV-Aufdachanlagen. Die klimapolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Nina Scheer, fordert, dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Auch die Grünen und der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) warnen vor einer Abbruchkante beim Solarzubau.

Runter mit den Kosten

Doch Scheer und Reiche scheinen ohnehin unterschiedliche Berichte gelesen zu haben. "Ein Plus an Kosteneffizienz ist nicht mit absoluter Kostenreduktion zu verwechseln", hält Scheer fest. Und: "Insgesamt zeichnet das Monitoring ein positives Bild von der Energiewende." Reiche dagegen sieht die Energiewende an einem "Scheidepunkt". Die ausufernden Kosten belasteten die Wirtschaft, die Verbraucher und den Staat über Gebühr. Sie will runter mit den Kosten - und erhält für diese Ansage deutliches Lob vom Verband der Chemischen Industrie und vom Bund der Deutschen Industrie.

Allein 40 Milliarden könnten mit der Anpassung der Ausbauziele für Windenergie auf See erreicht werden. Den Offshore-Betreibern will Reiche wiederum für bestehende und verbindlich geplante Anlagen Rentabilität zusichern, was beim Branchenverband BWO auf ausdrückliche Zustimmung trifft. Ein weiterer Ansatzpunkt für Reiche sind die Netzengpässe, die immer wieder durch ein Überangebot an Sonne- und Windenergie entstehen. Hierfür gibt das Gutachten auch klare Empfehlungen ab: Der künftige Zubau soll sich durch entsprechende Anreize stärker am Übertragungsnetz orientieren. Zudem dürfte Reiche die Anbieter der Erneuerbaren, die am bestehenden Fördersystem gut und teils sehr gut verdienen, künftig an den Kosten des Stromnetzausbaus beteiligen.

Weniger strittig ist das Ziel, die Energiewende stärker zu digitalisieren, insbesondere durch den Einsatz von Smartmetern. Diese intelligenten Stromzähler erfassen und übermitteln den Stromverbrauch automatisch und in Echtzeit, wodurch sie eine effizientere Netzauslastung ermöglichen, beim Energiesparen helfen und flexible Tarife sowie eine transparente Abrechnung unterstützen.

Eher keine "Neuausrichtung"

Aus dem Gutachten gehen weitere, eher kleinteilige Anpassungen hervor, die die Energiewende beschleunigen und effizienter machen würden. Eine "Neuausrichtung der Energiewende", die Reiche noch im Frühjahr versprochen hatte, ist das aber nicht - eher ein Update. "Ihr eigener Monitoringbericht empfiehlt Katherina Reiche, im Wesentlichen die erfolgreiche Energiewendepolitik ihres Vorgängers fortzuführen", stellt der energiepolitische Sprecher der Grünen, Michael Kellner, fest. Er war Staatssekretär unter Reiche-Vorgänger Habeck.

Zwei weitere Herzensanliegen von Reiche erfahren durch das Gutachten ebenfalls nur bedingt Rückenwind: der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft und der Zubau von Gaskraftwerken für Dunkelflauten, also für Zeiten ohne ausreichend Strom aus Solar- und Windenergie. Zwar kommen die Autoren genauso wie Reiche zu dem Schluss, dass für den Hochlauf einer Wasserstoffwirtschaft nicht nur aus Erneuerbaren Energien gewonnener Wasserstoff zum Einsatz kommen darf. Doch dass die Erdgas-Alternative Wasserstoff die von Reiche viel zitierten Gesamtkosten senke, können die Gutachten nicht bestätigen. Auch eine breite Etablierung von Wasserstoff werde umfangreich staatliche Subventionen brauchen, von denen Reiche ja wegkommen will.

Ähnlich verhält es sich beim Thema Gaskraftwerke, die das Stromsystem wetterfest machen sollen: Wie von Reiche schon im Vorfeld gefordert, befürworten auch die Gutachter die Schaffung eines Kapazitätsmarktes. In diesem System würden Stromanbieter dafür bezahlt, jederzeit Energie liefern zu können, wenn sie gebraucht wird - unabhängig davon, ob diese Kapazitäten tatsächlich abgerufen werden. Das Gutachten sieht in solch einem Markt aber eine Vielzahl unterschiedlicher Anbieter, die die Absicherung von Dunkelflauten übernehmen könnten. Neben Gaskraftwerken sind das vor allem Stromspeicher, die zunehmend verfügbar und immer leistungsfähiger werden. Sie können zudem die Überproduktion von Erneuerbaren sinnvoll auffangen.

Reiche will den Zubau von Gaskraftwerken auch durch das Abscheiden von CO2 erleichtern, das dann entweder als Rohstoff genutzt (CCU) oder unterirdisch eingelagert (CCS) wird. Der Klimanutzen von CCS und CCU ist umstritten. SPD und Grüne sind dennoch offen für einen begrenzten Einsatz, etwa in der Zementindustrie. Eine Verwendung für weniger CO2-intensive Gaskraftwerke sieht SPD-Klimapolitikerin Scheer durch das neue Gutachten nicht gerechtfertigt. Dieses enthalte "keine Empfehlung für den Einsatz von CCS im Strommarkt".

Quelle: ntv.de

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