Angriffslust statt Wahlfrust Die FPÖ deutet ihre Niederlage um
04.12.2016, 23:48 Uhr
Wurde von der Heimat am Ende dann doch im Stich gelassen: Norbert Hofer
(Foto: picture alliance / dpa)
Unerwartet klar gewinnt der Grüne Alexander Van der Bellen die Präsidentschaftswahlen in Österreich. Doch der Schock bei den Rechtspopulisten der FPÖ währt nicht lange. Die Parteielite gibt sich demonstrativ gelassen und liest das Ergebnis positiv - denn die nächsten Wahlen kommen bestimmt.
Nein, das N-Wort wollte bei der FPÖ niemandem über die Lippen gehen. Reichlich Tränen waren im Parlamentsklub in Wien geflossen, als der Balken für Norbert Hofer schon bei 46,4 Prozent stoppte. Viele rauften sich die Haare, weil der Traum von der Hofburg zum zweiten Mal geplatzt war, der Grüne Alexander Van der Bellen zum nächsten Bundespräsident gewählt wurde. "Unendlich traurig" zeigte sich der Wahlverlierer Hofer in einem ersten Statement. Aber von einer Sache wollte die FPÖ heute nicht reden: von einer Niederlage.
"Ich bin nicht einmal enttäuscht", sagt Anton Mahdalik mit entschlossenem Blick. Der 50-Jährige gehört zur Führungsriege der Wiener Freiheitlichen, er ist professionell genug, um gleich in die Offensive zu gehen. "Wir haben uns eine Basis geschaffen in diesem Wahlkampf. Und dann schauen wir mal auf die nächste Nationalratswahl, die ist wichtiger." Auch wenn viele Gesichter leer und müde wirkten nach diesem überlangen Wahlkampf, die FPÖ versuchte, sich an dieser Botschaft aufzurichten: Das war erst das vorletzte Gefecht. Am deutlichsten formulierte es Parteichef Heinz-Christian Strache im ORF: "Das System hat sich noch einmal durchgesetzt." Noch ein letztes Mal, sollte das heißen.
"Der Wahlkampf hat sich auf jeden Fall gelohnt"
Alexander Van der Bellen verdankte seinen Sieg offenbar vor allem seinem Anti-Hofer-Wahlkampf. Eine Wahltagsbefragung des Sora-Instituts ergab, dass 42 Prozent den Grünen nur wählten, um Hofer zu verhindern. Nur jeder Dritte Van-der-Bellen-Wähler empfand den grummligen Starkraucher, der in seinen Reden selten mitreißt, als sympathisch. Allerdings stand er für einen proeuropäischen Kurs, der von der Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher bevorzugt wird. Damit konnte er rund 170.000 Wählerinnen mobilisieren, die bei der ersten Stichwahl noch zu Hause geblieben waren.

Ist Hofers Niederlage nur der Auftakt für seinen großen Triumph? FPÖ-Chef Strache ist sich dessen jedenfalls sicher.
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Außerdem hatte Van der Bellen in einem Kraftakt eine Allianz aus Bürgermeistern kleinerer Städte und Gemeinden geschmiedet, die ihn unterstützten und ihm zu mehr Stimmen auf dem Land verholfen, wo er in der ersten Stichwahl noch massive Schwächen hatte. Auch der Großteil der SPÖ-Spitze und einige ÖVP-Granden hatten nach langem Zögern eine offene Wahlempfehlung für Van der Bellen ausgesprochen.
"Es war wie bei den Musketieren", sagt Wolfgang Jung. "Nur eben nicht alle für einen, sondern alle gegen einen." Der FPÖ-Veteran hat sich im Parlamentsklub ein Glas Weißwein geholt, er lächelt milde. "Vor elf Monaten hätte doch keiner gedacht, dass wir in so eine Stichwahl kommen können, geschweige denn über 40 Prozent holen", sagt er. In seinen ersten Wahlkämpfen in den 60er Jahren, erinnert sich der Wiener Landtagsabgeordnete, hätten sie noch um die 5 Prozent gezittert. Da werde er wegen 46 Prozent nicht trauern. "Die jungen Leute in der Partei haben einfach zu viel erwartet." Jung rechnet damit, dass einige, die heute FPÖ gewählt haben, dies auch in Zukunft tun werden. Und die Partei, in den Sonntagsumfragen seit fast zwei Jahren mit über 30 Prozentpunkten stärkste Kraft, langfristig profitiert. "Der Wahlkampf hat sich auf jeden Fall gelohnt."
Die nächste Wahl kommt bestimmt
In der Hofburg, wo Norbert Hofer eigentlich in den nächsten sechs Jahren residieren wollte, haben die großen TV-Sender ihre mobilen Studios aufgebaut. Experten geben ihre Schnellanalysen ab, Kameraleute warten gelangweilt auf die Ankunft des neuen Bundespräsidenten und des Verlierers. Mittendrin, wie immer emsig wie der getriebene Märzhase aus "Alice im Wunderland", hastet Stefan Petzner in die Zigarettenpause. Der 35-Jährige war einer der engsten Begleiter von Jörg Haider, auf der legendären Pressekonferenz nach dessen Tod nannte er ihn seinen "Lebensmenschen". Mittlerweile stellt sich Petzner als überparteilich dar und analysiert das politische Geschehen im Land. Er sieht den Ausgang der Wahl sehr wohl auch als Niederlage Hofers. "Er hat sich zuletzt zu aggressiv präsentiert", sagt er und spielt damit auf das letzte TV-Duell an, in denen der FPÖ-Kandidat van der Bellen immer wieder als "Lügner" beschimpft hatte, obwohl er sich sonst stets als ruhig und freundlich inszenierte. "Dieser Wechsel von besonnen zu angriffslustig, das wirkte nicht authentisch, das hat die Leute vielleicht skeptisch gemacht."
Trotz dieses Fehlers, sagt Petzner, hätten fast 50 Prozent der Wähler ihr Kreuz bei der FPÖ gemacht. "Deswegen brauchen sich vor allem SPÖ und ÖVP gar nichts drauf einbilden." Die Große Koalition hängt quasi seit ihrem Antritt 2013 in den Seilen, im ersten Wahlgang zu den Präsidentschaftswahlen waren ihre beiden Kandidaten krachend gescheitert, danach musste Kanzler Werner Faymann gehen. Nun führt Christian Kern die Koalition, die sich im Großen und Ganzen auf gar nichts einigen kann - nicht einmal auf Neuwahlen. Erst deutete alles auf vorgezogene Wahlen schon im Mai 2017 hin, nun signalisierte die SPÖ, dass sie bis Herbst 2018 ausharren will. "Van der Bellens Wahlsieg schiebt die Neuwahlen auf, aber sie werden kommen, wahrscheinlich im Sommer", prophezeit dagegen Stefan Petzner. Dann wird es kein Bündnis gegen die FPÖ geben, dann kämpfen die Parteien wieder für sich allein. "Und die FPÖ verfügt jetzt zusätzlich zu ihren 30 bis 35 Prozent noch einmal über ein riesiges Stimmenpotenzial an Menschen, die heute für sie gestimmt und mit ihr verloren haben." Und dann könnte sich die Niederlage um den Einzug in die Hofburg in einen viel größeren Erfolg verwandeln.
Quelle: ntv.de