Politik

"Nach den Volksparteien" Die Grünen wollen bündnisfähiger werden

Die Parteichefs Baerbock und Habeck haben derzeit gut lachen. Ob die Basis ihnen folgt, wird sich in Berlin zeigen.

Die Parteichefs Baerbock und Habeck haben derzeit gut lachen. Ob die Basis ihnen folgt, wird sich in Berlin zeigen.

(Foto: picture alliance/dpa)

40 Jahre nach ihrer ersten Wahl feiern die Grünen einen neuen Mitgliederrekord und wollen sich ein neues Grundsatzprogramm geben. Weg vom Image der Verbotspartei, hin zu neuen Bündnissen, lautet das Motto. Doch auf einem Konvent in Berlin dürfte es Streit um diese flexible Politik geben.

Fest in den Zielen, flexibel auf dem Weg dorthin: So wollen die Grünen in Zukunft neue Wählergruppen binden und politische Partner gewinnen. Sie verstünden sich als "Bündnispartei", deren Politik sich an alle Bürger richte, heißt es in einem Zwischenbericht, den die Parteispitze heute Abend in Berlin vorstellen will.

Leitlinie der grünen Politik in allen Bereichen soll demnach das "Wissen um die planetaren Grenzen" sein. "Im Mittelpunkt unserer Politik steht der Mensch mit seiner Würde und Freiheit", lautet der erste Satz des Textes. Einige Positionen in dem 65-seitigen Papier dürften bei der Basis Protest hervorrufen - aber damit rechnet die Parteispitze auch.

Parteichef Robert Habeck schrieb anlässlich des "Grundsatzkonvents", die Grünen hätten bewiesen, dass sie "in unterschiedlichen Bündnissen die gleichen Ziele verfolgen können". Der Blick habe sich über das angestammte Milieu hinaus geweitet. Es gehe darum, "gesellschaftliche Bindekraft zu entfalten" und "handlungsfähig zu werden für die Zeit nach den Volksparteien". Er warb dafür, "neue Bündnisse zu schmieden, basierend auf Grundwerten und mit klaren Zielen".

"Unser aktuelles Grundsatzprogramm von 2002 ist in die Jahre gekommen. Die Zuspitzung der ökologischen Krisen, Digitalisierung und eine geänderte Rolle Europas in der Welt machen neue Antworten nötig", sagte Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner der "Rheinischen Post". Zugleich solle der Programmprozess auch die vielen neuen Mitglieder stärker einbinden. Kurz vor dem Konvent erreichten die Grünen die neue Rekordzahl von 77.777 Mitgliedern.

Image der Verbotspartei ablegen

Die Grünen regieren in neun Bundesländern mit CDU, SPD, FDP und Linken in unterschiedlichen Koalitionen. Seit sie im Bund mit Union und FDP über eine Jamaika-Koalition verhandelt haben und Habeck und Annalena Baerbock im Januar 2018 als Parteichefs gewählt wurden, ging es in den Umfragen nach oben - derzeit steht die Partei bei 17 bis 20 Prozent. Bei der Bundestagswahl 2017 erreichte man noch 8,9 Prozent.

Der Zwischenbericht mit dem Titel "Veränderung in Zuversicht" ist nach Angaben der Parteispitze kein Entwurf, sondern soll die Grundlage für eine weitere Debatte der Basis sein. Ein Entwurf soll erst im Sommer 2020 stehen und im Herbst auf einem Parteitag verabschiedet werden. Baerbock und Habeck, dem aktuellen ZDF-Politbarometer zufolge der beliebteste unter den zehn wichtigsten deutschen Politikern, bringen sich selbst stark ein in den Prozess, aber auch die Basis darf mitreden.

Breiten Raum nehmen in dem 65 Seiten umfassenden Papier die Bereiche Ökologie und Gerechtigkeit ein. Dabei verzichten die Grünen auf detaillierte Forderungen etwa zu konkreten Abschaltterminen für Kohlekraftwerke, im Vordergrund stehen grundlegende Werte und langfristige politische Linien.

Das Image der Verbotspartei wollen die Grünen endgültig ablegen - und interpretieren Umwelt- und Klimaschutz als Schutz der Freiheit. "Eine Politik, die die natürlichen Lebensgrundlagen schützt, erhält die Möglichkeit zur Selbstbestimmung für uns und künftige Generationen", heißt es im Zwischenbericht. Umwelt-, Natur- und Klimaschutz seien "nicht nur oder noch nicht einmal zuallererst um der Natur selbst willen geboten, sondern um das Leben der Menschheit in einem vollen Sinn zu bewahren".

Frieden statt Gewaltfreiheit

Als die fünf übergeordneten Werte grüner Politik werden in dem Papier "Ökologie, Gerechtigkeit, Selbstbestimmung, Demokratie und Frieden" genannt. Im Vergleich zum bisher gültigen Grundsatzprogramm aus dem Jahr 2002 ersetzt "Frieden" damit die Gewaltfreiheit und Menschenrechte als Grundwerte der Partei. Stärker als bisher stellen die Grünen Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit in den Vordergrund, die Polizei etwa loben sie als "Hüterin und Verteidigerin von Rechtsstaat und Demokratie".

Zudem bemühen die Grünen sich um eine aufgeschlossene Haltung gegenüber technischen Neuerungen. Zum Streitthema Gentechnik steht im Zwischenbericht, alte und neue Verfahren seien "in der Welt" - es brauche "differenzierte Maßnahmen zur Regulierung" der neuen Gentechnik, strenge Zulassungsverfahren und eine Orientierung am Vorsorgeprinzip.

Auf dem Grundsatzkonvent wollen Baerbock und Habeck sprechen. Zudem steht eine Diskussion mit der Klima-Aktivistin Luisa Neubauer von Fridays for Future, der Journalistin und Migrationsexpertin Ferda Ataman und der Digital-Expertin Katharina Borchert auf dem Programm. Am Samstag sind Gruppendiskussionen über den Programmtext vorgesehen, der unter Mitwirkung zahlreicher Akteure inner- und außerhalb der Partei entstand.

Die Grünen feiern in Berlin aber auch ihr 40-jähriges Bestehen. Zur Europawahl im Juni 1979 waren sie erstmals mit einer eigenen Liste angetreten, damals noch als Wählervereinigung. Im selben Jahr entstanden erste Landesverbände, 1980 dann die Bundespartei, die 1983 den Sprung in den Bundestag schaffte. Nach der Wiedervereinigung schlossen sie sich mit dem in der Endphase der DDR entstandenen Bündnis 90 zur heutigen Partei Bündnis90/Die Grünen zusammen. Dessen "Bündnis-Tradition" soll der neue Programmtext verstärkt aufgreifen.

Quelle: ntv.de, mli/dpa/AFP

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen