Politik

Krise im Nahen Osten Die Hamas siegt - doppelt

(Foto: REUTERS)

Eigentlich sollen die Palästinenser noch 2014 eine neue Führung wählen. Umfragen deuten darauf hin, dass die Hamas dann die Quittung für eine gescheiterte Politik kriegt. Doch wahrscheinlich wird alles anders kommen.

Seit sieben Jahren regiert die Hamas den Gazastreifen. Und die Lage der Palästinenser ist schlechter denn je. Droht der radikalislamischen Bewegung dafür die Quittung an der Wahlurne? Vieles spricht dafür. Nahostexperten glauben trotzdem nicht daran.

2006, bei den letzten Wahlen im Gazastreifen, holte die Hamas noch die absolute Mehrheit. Die Palästinenser waren nach Jahrzehnten des Nahostkonflikts frustriert und entschieden sich für die Radikalen. Doch verbessert haben die antiisraelischen Islamisten die Situation nicht. Im Gegenteil. Heute warten mehr als 40.000 Staatsbedienstete im Gaza-Streifen vergeblich auf ihren Lohn. Viele streiken. Die Bewohner des Gebietes sind vollkommen isoliert, alle Grenzen sind zu, auch die nach Ägypten. Die Militärs, die in Kairo die Herrschaft übernommen haben, zeigen deutlich weniger Solidarität mit den Palästinensern als noch die Muslimbrüder. Kurzum: Das öffentliche Leben im Gazastreifen ist schon lange vor der jüngsten militärischen Offensive erstarrt. Und seit knapp drei Wochen kommen auch noch massive Luftangriffe und zuletzt auch eine Bodenoffensive hinzu. Schon mehr als 600 Palästinenser haben ihr Leben verloren.

Das öffentliche Leben im Gaza-Streifen ist längst zum Erliegen gekommen.

Das öffentliche Leben im Gaza-Streifen ist längst zum Erliegen gekommen.

(Foto: REUTERS)

Die Stimmung im Gazastreifen ist entsprechend trüb. Kürzlich veröffentlichte die konservative Denkfabrik Washington Institute eine Umfrage: Mehr als 70 Prozent der Palästinenser bemängeln darin Kriminalität und Korruption. Die Umfrage lässt auch den Schluss zu, dass viele Palästinenser wenig vom militanten Kurs der Hamas halten. Die Hamas spricht Israel nicht nur das Existenzrecht ab. Der militärische Arm der Bewegung feuerte seit Amtsantritt auch eine fünfstellige Zahl an Raketen ins Nachbarland. 70 Prozent der Palästinenser im Gazastreifen sind laut der Umfrage wiederum für einen Waffenstillstand und glauben, dass eine friedliche Form des Widerstandes sich positiv auswirken würde. Auch vom Hamas-Führungspersonal halten sie demnach wenig. Der Chef der gemäßigten Fatah, Mahmud Abbas, erfreut sich dort großer Beliebtheit. Mehr als 30 Prozent der Befragten sprechen sich dafür aus, dass er Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde bleibt. Die meisten Hamas-Führer schafften kaum den Sprung über die Zehn-Prozent-Marke. Mit 11,7 Prozent schneidet Ismail Haniyya noch am besten ab.

Das Washington Institute hat die Palästinenser im Gaza-Streifen Mitte Juni befragt. Noch in diesem Jahr soll es Wahlen geben. Dass die Hamas dann schmerzliche Verluste verkraften muss, ist trotzdem unwahrscheinlich. Zumindest laut Nahost-Experten.

Wenig Spielraum für liberale Parteien

"Es gibt viel Kritik an der Politik der Hamas. Aber sollte es wieder freie Wahlen geben, wird ein erheblicher Teil der Palästinenser in ihrer Verzweiflung wieder die Hamas unterstützen", sagt der Politik- und Islamwissenschaftler Michael Lüders. "Die Lebensbedingungen dort lassen liberalen Parteien wenig Spielraum."

Laut Lüders glaubt die Mehrzahl der Palästinenser, dass Israel den Gazastreifen weiterhin angreifen wird - unabhängig von der Politik dort. Und ein Blick in die Geschichte des Nahost-Konflikts scheint ihnen Recht zu geben. "Die Palästinenser sagen sich deshalb: Dann können wir auch weiterkämpfen." Für die Hamas ist die Eskalation demnach gar ein doppelter Gewinn. Die Hamas demonstriert laut Lüders: "Wir geben erst nach, wenn wir unseren Preis durchgesetzt haben." Gemeint ist ein Ende der Blockade des Gazastreifens. Mit ihrer Standhaftigkeit angesichts einer offensichtlichen militärischen Unterlegenheit kann sie sich laut Lüders brüsten. Zugleich gerät Israel angesichts ziviler Opfer zusehends in die Kritik. "Die Stimmung in der Weltöffentlichkeit richtet sich zunehmend gegen die Regierung von Benjamin Netanjahu", sagt Lüders. Zumal die Forderung nach einem Ende der Blockade des Gaza-Streifens auch angesichts der humanitären Lage ein legitimes Ziel sei.

Niemand will Wahlen

Ähnlich äußert sich der Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt, Günter Meyer. "Seit Jahrzehnten verstößt Israel mit seiner Besatzungs- und Siedlungspolitik gegen das internationale Völkerrecht", sagt er. "Für die Eskalation der Gewalt macht die palästinensische Bevölkerung ausschließlich Israel verantwortlich. Dagegen wird die Hamas als Verteidigerin der palästinensischen Rechte angesehen und hat dadurch an Popularität im Gazastreifen gewonnen."

Auch er erkennt in der jüngsten Eskalation einen doppelten Gewinn für die Hamas. Neben dem Popularitätsgewinn durch die Demonstration ihrer Standhaftigkeit spricht auch er vom Druck, der für Israel entsteht. Laut Meyer erscheint der bewaffnete Widerstand als einzige Möglichkeit der Hamas, die Blockade des Gaza-Streifens zu beenden. "Solange dieses Minimalziel nicht gesichert ist, setzt die Hamas darauf, dass durch die steigenden Opferzahlen der internationale Druck auf Israel wächst."

In einem weiteren Punkt sind sich die Nahost-Experten einig: Es ist fraglich, ob es 2014 überhaupt wie geplant zu einer Wahl kommt. Seit der Übernahme der Regentschaft der Hamas 2007 waren schon mehrere Termine angesetzt - 2010 und 2012 etwa. Zur Wahl kam es nie. Denn abgesehen von den einfachen Bürgern in den Palästinensergebieten hat niemand ernsthaftes Interesse daran. Die Hamas kontrolliert bereits den Gaza-Streifen und ist damit schon vollkommen überfordert. Sie hat wenig zu gewinnen. Die Fatah läuft wiederum Gefahr, angesichts der aufgeheizten Stimmung unter Palästinensern auch das Westjordanland an die Radikalen zu verlieren. Und selbst wenn die Hamas unterliegen sollte, droht aus israelischer Sicht die Gefahr, dass womöglich noch radikalere und noch weniger berechenbare islamistische Gruppen an Macht gewinnen.

Quelle: ntv.de

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