Landtagswahl in Rheinland-Pfalz "Die Julia" fordert König Kurt heraus
21.09.2010, 06:27 Uhr
Auf dem Weg nach oben? Dafür geht Julia Klöckner eine Ebene tiefer - vom Bund ins Land zurück.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die CDU in Rheinland-Pfalz hat eine neue Hoffnungsträgerin: Julia Klöckner soll bei den Landtagswahlen Ende März die 20-jährige SPD-Herrschaft beenden und Beck aus der Staatskanzlei vertreiben. Eine Begegnung mit "der Julia", die am Wochenende den CDU-Landesvorsitz übernehmen will.
Ein Junge in Pirmasens bringt es auf den Punkt. Angezogen von der Traube aus Journalisten und Kameras nähert er sich mit einigen Mitschülern dem Pulk. Wer die große blonde Frau da vorne ist, will er wissen. "Ist sie berühmt oder so?" Nun ja, Julia Klöckner möchte Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz werden. "Packt sie das?" Wenn man das wüsste. Ihre Chancen stehen zumindest nicht schlecht.
Klöckners Herausforderung an Ministerpräsident Kurt Beck ist zu einem Duell auf Augenhöhe herangewachsen. Anfangs wollte der seit 16 Jahren amtierende SPD-Politiker sie nicht ernst nehmen, spöttelte nur über die ehemalige Weinkönigin von der Nahe. Doch seitdem die CDU in Umfragen aufgeholt hat und im April die gar hinter sich ließ, kann Beck sie nicht mehr auf die leichte Schulter nehmen. Die sicher geglaubte Landtagswahl in Rheinland-Pfalz am 27. März 2011 wird zur Zitterpartie. Klöckner wittert ihre Chance.
Es gilt, sie auch zu nutzen. Deshalb ist bereits ein halbes Jahr vor dem Urnengang der Wahlkampf entbrannt. Die beiden Spitzenkandidaten reisen durch Weinberge, Flusstäler und Unternehmensstandorte, schütteln Hände und lauschen den Sorgen und Nöten der Firmen und Menschen. Einen Tross von Journalisten immer im Gepäck. Wenn Beck der pfälzische König des Unters-Volk-Mischen ist, dann ist Klöckner die Königin. Volksnah, heimatverbunden, bodenständig – da schenken sich die beiden nichts. "Geländegängig", nennt Klöckner das bei sich. "Mit 'de Leut' schwätze könne." Und sie kann.
Eine Hand schüttelt die andere
Den Leuten bleibt auch gar keine andere Wahl. Etwa im Siemens-Werk im pfälzischen Frankenthal. Kaum ist sie durch die Tür in der haushohen Werkshalle, lässt sie den Tross aus Parteileuten und Journalisten hinter sich und eilt von Werkbank zu Werkbank. Klöckner greift sich die Leute, packt Hände und plaudert einfach mal drauf los. "Sie sind Azubi? Und Sie wollen alt werden hier?" Noch bevor der Junge im Blaumann weiß, wie ihm geschieht, ist Klöckner schon an der nächsten Maschine und baut sich vor dem nächsten Mitarbeiter auf. "Sie iss' ja ganz symbaddisch", sagt einer der Geschüttelten. Seine Stimme wird sie aber nicht bekommen. Politik interessiert ihn nicht besonders, wählen geht er auch nicht.
Doch soweit ist es noch nicht. Noch steht Klöckner am Beginn ihrer Kandidatur. Und die hat bereits einiges bewirkt. Seit bald 20 Jahren kommt die CDU in Rheinland-Pfalz nicht aus der Opposition, der Landesverband gilt als streitsüchtig, schwierig. Im Frühjahr aber verzichtete der Landesvorsitzende Christian Baldauf auf die Spitzenkandidatur und überließ sie Klöckner, der bessere Chancen gegen Beck ausgerechnet werden. Ein seltener Schritt. Die so Gekürte suchte darauf hin in mehreren Regionalkonferenzen den Kontakt zur CDU-Basis und gewann ihr Vertrauen: Mit 99,5 Prozent wurde "die Julia" im April zur Spitzenkandidatin gewählt. Und auf einmal herrschte Aufbruchsstimmung, stellenweise gar Euphorie im arg gebeutelten Landesverband. Die CDU im Klöckner-Fieber. Baldauf überlässt ihr zudem noch den Landesvorsitz, am Samstag soll sie neue CDU-Chefin werden.
Von Berlin in die Provinz
Für Rheinland-Pfalz zieht sich die Bundestagsabgeordnete und Staatssekretärin im Verbraucherschutzministerium aus der Bundespolitik zurück. "Ich bin nicht auf Touristenticket hier", sagt Klöckner bei einer Tour durch ihre Heimat. Egal, wie die Wahl ausgehe, sie bleibe hier. "Mit mir kann man rechnen in Rheinland-Pfalz." Sie werde auch nicht für einen Stellvertreterposten oder das Präsidium der CDU im Bund kandidieren.
Es ist ein ungewöhnlicher Schritt in einer nicht ganz gewöhnlichen Politiklaufbahn. Klöckner, jüngstes Kind einer Winzerfamilie, wollte eigentlich Religions- und Sozialkundelehrerin werden. Sie studierte Politik und Theologie in Mainz und schrieb ihre Abschlussarbeit über den Weinbau in Europa. Pädagogin wurde sie aber trotz Staatsexamen nicht, sondern ließ sich beim SWR zur Journalistin ausbilden und wurde Chefredakteurin des "Sommelier Magazins". Den Job füllt sie bis heute aus. 2001 warf dann die CDU ein Auge auf ihr Parteimitglied. Die Partei hatte gerade eine Frauenquote eingeführt und suchte nach geeigneten Kandidatinnen für den Bundestag. Erst lehnte Klöckner ab, dann sagt sie doch zu und zog 2002 über die Landesliste mit 29 Jahren als eine der jüngsten CDU-Abgeordneten in den Bundestag ein.
Der Twitter-Patzer

Da war es raus: Klöckners folgenreiche Kurzmeldung im Internet machte sie bekannt.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Die pfälzische Winzertochter erwies sich als politisches Talent. Bei der vorgezogenen Bundestagswahl drei Jahre später nimmt sie dem langjährigen SPD-Abgeordneten ihres Wahlkreises überraschend das Direktmandat ab. Erst knapp, 2009 siegt sie mit fast 20 Prozent Vorsprung. Das Auge der Kanzlerin fällt wohlwollend auf die junge, selbstbewusste Abgeordnete, die allerdings erstmals durch einen Fauxpas wirklich auffiel: 2004 ist Klöckner eine der Abgeordneten, die das Ergebnis der Bundespräsidentenwahl vorschnell per Twitter verkünden. Das ist auch eine Seite von Klöckner – unbekümmert, vorschnell, laut. Sie hatte sich nichts dabei gedacht, erklärte sie später einmal den Fehler.
Twitter ist sie trotzdem treu geblieben und möchte es weiter als schnelle Kommunikationsmöglichkeit nutzen, egal ob sie in Landesregierung oder Opposition ihren Platz findet. Fleißig streut sie dort bereits kleine Spitzen und schlechte Nachrichten über die SPD und ihren Ministerpräsidenten in die Welt. Klöckner weiß, dass sie es schwer haben wird gegen ihn. Beck sitzt in Mainz fest im Sattel, es fehlt die echte Wechselstimmung im Land. Persönlich möchte sie aber nichts zu ihm sagen.
"Verfilzt und zugenäht"
Wie sie Beck findet, möchte einer von ihr wissen. "In der Staatskanzlei", antwortet Klöckner und legt mit einem vergifteten Lob nach: "Beck tut viel für seine Partei." Doch eine persönliche Kampagne gegen den beliebten Ministerpräsidenten kann Klöckner nicht fahren. "Er hatte sicherlich seine Verdienste", räumt sie ein. Verraten will sie sie aber nicht. Beck sei mit 16 Jahren lange genug im Amt, schwenkt sie um. Rheinland-Pfalz sei durch die fast 20-jährige SPD-Regentschaft "verfilzt und zugenäht".

"Mit mir kann man rechnen": Die CDU baut auf Klöckner und Klöckner auf Rheinland-Pfalz.
(Foto: picture alliance / dpa)
Dieses Bild vom Filz im Land möchte die CDU in den Köpfen der Wähler verankern. Helfen soll dabei vor allem der Skandal um das Prestigeobjekt Nürburgring, bei dem nach Ansicht der CDU durch Seilschaften Becks und der SPD bereits hunderte Millionen Euro an Steuergeldern verschwendet wurden. Ein Untersuchungsausschuss im Landtag beschäftigt sich bereits mit den Vorgängen. Die Opposition hat nun dafür gesorgt, dass sich dessen Arbeit auf jeden Fall bis zur Wahl hinziehen wird. Aber, das macht Klöckner auf Nachfrage auch klar, beerdigen will sie das Projekt nicht. Es sei wichtig für die Region.
Die heiße Phase im Wahlkampf beginnt im Januar, drei Monate vor der Wahl. Dann soll auch das Wahlprogramm der CDU beschlossen werden, das derzeit von rund 400 Parteianhängern und interessierten Bürgern in einer Ideenkommission vorbereitet wird. Drei Schwerpunktthemen hat Klöckner bereits: Bildung, Demografie und solide Finanzen.
Die großen Versprechen
Sie verspricht viel. Das "Megathema" Demografie will sie zu einem Schwerpunkt machen. Am liebsten würde sie ein eigenes Ministerium dafür gründen, in dem Themen wie Integration, Bildung, Familie und Pflege zusammengefasst werden. Jedes Gesetz soll gar einem Demografie-Check unterzogen werden. In der Bildung wettert Klöckner gegen den "Rekord-Unterrichtsausfall", die schlechte Bezahlung der Lehrer und sie will verbindliche Sprachtests vor der Schule durchsetzen. Studiengebühren möchte sie nicht einführen und auch nicht die von Beck vollzogene Schulreform zurückdrehen. "Wir brauchen Ruhe an der Schulfront." Deshalb bleibt die Zusammenlegung von Haupt- und Realschule ebenso unangetastet wie die Gesamtschulen im Land. Bildung soll Haushaltspriorität werden und die Schuldenbremse in der Landesverfassung verankert werden. Wie das alles trotzdem finanziert werden soll, lässt sie im Vagen.
Ähnlich schwer zu fassen ist Klöckners politische Linie. Sie wird der modernen CDU der Angela Merkel zugerechnet, bezeichnet sich selbst als konservativ und vertritt immer mal wieder liberale Ansichten. Auf der einen Seite fühlt sie sich Heimat und dem christlichen Menschenbild verbunden, setzt auf Eigenverantwortung und Solidarität, ist weltoffen, unverheiratet und emanzipiert. Politische Visionen? Hat sie nicht. Sie wolle ihre Arbeit gut machen, Akzeptanz für ihre Politik bekommen. "Von morgen reden, nicht wie Beck von gestern", sagt sie.
Geißler und die Soziallehre

Verbunden durch ihre Heimat und die katholische Soziallehre: Geißler neben Klöckner, einer "glaubhaften Alternative".
(Foto: picture alliance / dpa)
Im pfälzischen Rockenhausen muss dann aber doch noch vom Gestern gesprochen werden. Heiner Geißler erwartet dort die Wahlkämpferin an einer Sozialstation, die er als Minister im Land in den 70er Jahren ins Leben gerufen hat. Wie Geißler beruft sich Klöckner auf die katholische Soziallehre als ethisch-moralischen Leitfaden. Der 80-Jährige hält ihr und den mitgereisten Journalisten eine Brandrede gegen den "brutalen Kapitalismus" und die entfesselten Finanzmärkte. Die will er besteuern, um so an Geld für Pflege, Bildung und Soziales zu kommen. "Ich sympathisiere mit seinen Ideen", erklärt Klöckner hinterher. Sie trete für die Finanzmarktransaktionssteuer ebenso ein wie für die Reichensteuer. Das neue soziale Gewissen der CDU will sie aber nicht sein.
Wie schätzt denn Geißler ihre Chancen gegen Beck ein? "Sie ist eine glaubhafte Alternative", sagt der frühere Generalsekretär der CDU. Klöckner sei intelligent genug, die Probleme zu erkennen, sei dicht bei den Menschen. "Sie macht es einfach gut", lobt er weiter. Das könne man nicht von jedem Kandidaten der CDU sagen.
Auch die Pflegekräfte der Sozialstation sind von Klöckner angetan. Sie sei noch nicht so abgehoben wie andere Politiker. Beck habe es schwer, "wenn die Leute sich nicht mehr ernst genommen fühlen". Sie können sich vorstellen, Klöckner im März ihre Stimme zu geben. "Auf der anderen Seite", sagt eine, "Becks Erfahrung hat auch was." Entschlossen hat sich noch keine von ihnen.
Doch selbst, wenn es mit dem Wahlsieg nicht klappen sollte. Die Zeit spielt für Klöckner. Mit 37 Jahren kann sie noch warten. Beck ist 62, in fünf Jahren wird er wohl nicht noch einmal antreten. So kann diese Wahl auch als Premiere Klöckners auf der Landesbühne von Rheinland-Pfalz gesehen werden. In fünf Jahren dürfte dann umso mehr mit "der Julia" zu rechnen sein.
Lesen Sie auch den n-tv.de Parteien-Check:
Quelle: ntv.de