Parteien-Check, Teil 4: Die CSU Die abgestürzten Gipfelstürmer
11.09.2010, 07:55 Uhr
Rauf oder runter? Die CSU hängt in den Seilen.
(Foto: REUTERS)
Die CSU ist schwer angeschlagen. Die absolute Mehrheit ist weg, regiert wird mit der FDP. Die Partei hat Trends verschlafen, die sie selbst inszeniert hat. Und muss nun kräftig rudern, um wieder Oberwasser zu bekommen. Es geht um bundespolitische Macht - und die Lufthoheit über den Stammtischen.
Was würde Franz Josef Strauß zu seiner CSU sagen, könnte er aus dem weiß-blauen Himmel auf Bayern schauen? Granteln, das würde er. Kräftig. Und zwar wohl nicht nur in sich hinein. Ein Sozialpolitiker als Ministerpräsident und Parteichef - kein Außenpolitiker von Weltbedeutung, wie er einer war. Und dazu sagte: "Ich bin immer da, wo man mich nicht vermutet." Karl Theodor zu Guttenberg, mit schnieker Sonnenbrille im Helikopter wie in einer Szene aus "Platoon" oder im Maß-Anzug mit gelber Krawatte auf dem New Yorker Times Square. Als "Polit-Mannequin" würde er ihn wohl beschimpfen. Strauß selbst wollte so nie sein. 43,4 Prozent bei der Landtagswahl 2008: "Saustall!", käme es scharf aus dem Himmel geschossen. Die CSU in einer Koalition mit den Liberalen, bei denen man sich nur auf eine berechenbare Komponente verlassen könne: "ihre Charakterlosigkeit". Dann würde Strauß sich abwenden und fordern: "Wir sind und müssen eine Kampfpartei bleiben!"
Zu kämpfen, das hat die CSU allerdings. Vor allem mit sich selbst. Mit ihren Akteuren, ihrem Image, politischem Versagen und ihrem Anspruch, das Non-Plus-Ultra in Bayern zu sein. "Natürlich ist die CSU in einer Krise. Wenn man jahrzehntelang gewöhnt ist, mit absoluten Mehrheiten alleine zu regieren, dann ist die Notwendigkeit, eine Koalition einzugehen eine krisenhafte Erscheinung", sagt Heinrich Oberreuter, Politikwissenschaftler der Universität Passau und selbst langjähriges Parteimitglied. Offenbar könne die CSU nicht mehr das bayerische Lebensgefühl zum Ausdruck bringen. Die Zeit der Hegemonialherrschaft ist jedenfalls vorbei: Geheimnisvolle Umfragen sehen die Christsozialen bei 40 Prozent minus x, nicht mehr bei 50 plus x. Aus den Gipfelstürmern sind zwar noch keine Flachlandtiroler geworden - aber in Prozenten reicht es eben nur für ein besseres Basislager.
Oberreuter nennt das im Gespräch mit n-tv.de allerdings eine "immer noch komfortable Region" - zumindest im Vergleich zu anderen Parteien. Die Freien Wähler, lokal orientiert und von den Bayern mit mehr als 10 Prozent in den Landtag gewählt, graben dem Platzhirschen die Stimmen der Wähler ab, die sich mehr für ihr Dorf als die große weite Welt interessieren. Alles "Fleisch vom Fleische der CSU" sagt Florian Hartleb, Parteien-Experte von der Hochschule für Exekutives Management in Berlin. Die Christsozialen hätten einen "Kreuzzug gegen die Linkspartei" geführt, die in Bayern ohne Bedeutung gewesen sei. Und damit die bürgerlichen Konkurrenten selbst mit aufgebaut. Die FDP mit ihrem "einfachen, niedrigen und gerechten" Steuersystem katapultierte der bayerische Wähler glatt in die Regierung.
Die Ohnmächtigen erwachen
Der Absturz beginnt - und das ist wirklich beachtlich - ausgerechnet in einer Legislaturperiode, für die die CSU vom Wähler mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit der Mandate im Landtag ausgestattet ist. Edmund Stoiber, Ziehsohn von Strauß, hatte das Unmögliche möglich gemacht und seiner Partei bei der Landtagswahl 2003 monströse 60,7 Prozent erstritten. Während andere Parteien in anderen Bundesländern knietief in Problemen steckten, bewies die CSU: Wir alleine sind Bayern. Allen voran Stoiber, der sich fortan wohl in mancher Stunde als eine Art Sonnenkönig fühlte - unangefochten an der Spitze eines erfolgreichen Bundeslandes und mit einem kräftigen Einfluss dort, wo die schlimmsten Saupreißn regieren, in Berlin. "Stoiber genoss gigantisch großes Vertrauen. Da hat man gedacht: Der macht das schon", resümiert Andreas Schalk, Vorsitzender der Jungen Union Mittelfranken. Und da sei das Zuhören eben stärker ausgeprägt gewesen als das Mitdiskutieren, so Schalk. Hartleb drückt es etwas härter aus: "Der Führungsstil von Stoiber, eigentlich die ganze Partei war selbstherrlich. Sie hat es nicht verstanden, sich auf gesellschaftliche Veränderungen vorzubereiten."
Stoiber verzettelt sich schließlich komplett. Erst kann er sich nicht entscheiden, ob er in Bayern bleibt oder unter der neuen Kanzlerin Merkel Superminister wird. Und kaum ist seine Entscheidung für Bayern gefallen, führt die bis dahin unbekannte Fürther Landrätin Gabriele Pauli erfolgreich die Kritiker des Alleinherrschers zusammen, begehrt auf, fordert Diskussionen über Stoibers Führungsstil und mahnt innerparteiliche Erneuerungen an. Es gibt Bespitzelungsvorwürfe, geheime Dossiers tauchen auf. Die CSU, soviel wird klar, ist keine Saubermann-Partei, mancher Friede nur vorgetäuscht oder erzwungen. Viel zu viel werde unter den Teppich gekehrt, heißt es an den Stammtischen.
Wer zu mächtig ist, das muss Stoiber schmerzlich lernen, weckt die Ohnmächtigen auf. Und vergrätzt die Wechselwähler: In Umfragen sinkt der Stern der CSU. Ein bisschen Panik bricht aus, Aktionismus macht sich breit. Immer mehr Kritiker und Spötter wagen sich aus der Deckung und feuern auf den einst so bewunderten Parteichef. Stoiber wankt, stürzt und dankt schließlich ab. Das Pärchen Erwin Huber und Günther Beckstein übernimmt das Ruder. Glücklos, wie sich herausstellt. Huber fremdelt als Parteichef mit der Partei, Beckstein fremdelt mit dem Amt des Ministerpräsidenten. Die beiden Männer, jahrzehntelang im Schatten als fleißige Parteisoldaten aktiv, haben sich in ihrem Wunsch, auch endlich mal zum Zug zu kommen, mächtig übernommen. Vor allem, weil das etwas holzige Duo in der Bundespolitik nicht recht ernst genommen wird. Dazu kommen Unklarheiten über die finanzielle Lage der BayernLB. Das Vorzeigeinstitut des Vorzeigelandes braucht zig Milliarden Steuer-Zuschuss, als die weltweite Finanzkrise beginnt. Löcher, von denen offenbar niemand wusste, dass es sie jemals geben könnte. Sie verschlingen auch Huber und Beckstein. Die Ära Seehofer beginnt.
Gruß aus dem Hosenanzug
Der Sohn eines Lastwagenfahrers soll es nun richten, muss Wunden heilen. Und dabei auch noch den Spagat hinlegen, den alle CSU-Landesfürsten bewältigen müssen: das selbstbewusste Bayern im Bund vertreten - und gleichzeitig die Basis umschmeicheln. Aber ist einer, der eher wie ein kosmopolitischer Lebemann, nicht wie ein süddeutsches Urgestein wirkt, der richtige Mann für den Job? Horst Seehofer sei stark, sagt Parteien-Experte Hartleb. "Er war die Rettung für die CSU." Er sei beliebt und spreche die Sprache des Volkes. "Ich sehe keinen anderen", sagt auch Oberreuter. Tatsächlich geht Seehofer, den einige immer noch verächtlich einen Herz-Jesu-Sozialisten nennen, einiges von dem an, was in der Vergangenheit versäumt wurde. Sein Ziel in der Landespolitik: die Lufthoheit über den Stammtischen zurückerobern. Frauenquote, Bildung, ausgeglichener Haushalt, Steuerpolitik, Kopfpauschale, Gen-Kartoffeln, jetzt auch noch die Integrationsdebatte - das sind seine Themen. Und natürlich: Mitgliederbeteiligung, innerparteiliche Diskussion - den Schlaftau der Stoiber-Ära wegfegen. Auf der Webseite der CSU stellt eine junge Frau im schwarzen Hosenanzug das neue "Leitbild 2010plus" vor. Was klingt wie ein schlechter Bausparvertrag oder eine sehr frische Zahnpasta, soll die Partei wetterfest machen vor den nächsten Wahlen. "Die Mitmachpartei" will die CSU fortan sein. "Keine falsche Scheu - gestalten Sie die Zukunft mit", sagt der Hosenanzug fast akzentfrei.
Wer die Einladung annimmt, findet Berichte von lokalen Parteitreffen, eindeutig betitelt. "Die Partei ist aufgewacht", heißt es aus Kehlheim. "Orientierung durch Glaubwürdigkeit", schallt es aus München. Und die Schwandorfer wünschen sich "mehr Selbstbewusstsein". Die Bayern, weiß der Junge-Union-Mann Schalk zu berichten, seien eben anspruchsvoll - trotz oder gerade wegen der niedrigen Arbeitslosenquote, der starken Wirtschaft, des gelungenen Umbaus weiter Teile des Landes in eine High-Tech-Region, trotz oder gerade wegen der innovativen Autohersteller und einer florierenden Tourismus-Industrie. "Sie akzeptieren nicht, wenn man sich auf dem Erreichten ausruht." Und Hartleb mahnt: "Die CSU ist noch nicht selbstkritisch genug. Und sie ist immer noch eine hierarchische Partei."
Ein Zeichen dafür war das Hin und Her ums Rauchverbot. Einen "Schlingerkurs" habe die CSU da hingelegt. "Und der hat ihr sehr geschadet", sagt Hartleb. Zum bayerischen Lebensgefühl gehöre eine gewisse Kontinuität und Glaubwürdigkeit. "Wenn ich in einem Land mit einer ausgeprägten Kneipenkultur das Rauchverbot durchsetze, dann wieder zurücknehme - und nach einem Volksentscheid schließlich sage: Das Thema ist ja auch gar nicht unser Kerngeschäft, dann geht das natürlich nicht."
Ein echtes Kerngeschäft hingegen ist für Seehofer die Bundespolitik. Polternde Minister, Blockade, extreme Haltungen - die Kennzeichen blau-weißer Präsenz, früher in Bonn, heute in Berlin. "Ohne die CSU ist die CDU eine 26-Prozent-Partei", erinnert Oberreuter. Die Christdemokraten kämen überhaupt nur mit bajuwarischer Schützenhilfe in die Nähe der Regierungsfähigkeit. 6,5 Prozent der insgesamt 33,8 Prozent hat die Union der CSU zu verdanken - das stärkt den Willen des Freistaates, in der Hauptstadt ein gewichtiges Wort mitzureden. Seehofer sucht sein Heil vor allem in der Abgrenzung zur FDP, die ihm zuhause im Nacken sitzt. Oft nimmt er sich Westerwelle zur Brust, rühmt sich damit, liberale Pläne abgeschmettert zu haben. Gegen Gesundheitsminister Rösler und dessen Reformpläne schickt er mit Markus Söder seinen eigenen Fachminister ins Scharmützel - freilich ohne echte Gegenvorschläge. Und wenn er gefragt wird, wie es um sein Verhältnis zu Kanzlerin Merkel steht, dann antwortet er "bestens natürlich", wobei ein ironisches Grinsen den Inhalt seiner Aussage negiert. "Das Problem mit Seehofer ist, dass er kein Teamplayer ist, sondern ein Einzelgänger", sagt Hartleb. Er sei niemand, der sich in Menschenführung großartig zu erkennen gebe. "Seehofer macht Politik auf eigene Rechnung." Nachwuchspolitiker Schalk äußert ebenfalls zumindest leise Kritik: "Das Gute an ihm ist, dass er nicht so verbissen, so bierernst ist. Auf der anderen Seite kann das schnell wirken, als ob es ihm wurscht ist." Und so staut sich Frust an, wenn "der Horst" Teile der Partei übergeht, andere Machtzentren ignoriert. Die Bundesminister etwa, die CSU-Landesgruppe im Bundestag oder auch die Landtagsfraktion.
Partei-Kenner Oberreuter sieht das etwas anders. Für ihn ist Seehofer mitnichten ein Krawallmacher, der das Selbstbewusstsein der Bayern mit sinnlosem Zoff stärken will. "Seehofer spielt die Rolle des Bayern-Wauwaus weniger intensiv als Stoiber oder Strauß sie gespielt haben." Es gebe nur wenige Punkte, an denen sich der CSU-Chef reibe: Steuerreform, Gesundheitsreform, Bundeswehrreform. "Und in allen drei Punkten ist eine politische Diskussion legitim." Bei der Steuerreform, weil Seehofer der FDP das Feld nicht überlassen will. Bei der Gesundheitsreform, weil er dort selbst Experte ist. Und bei der Bundeswehrreform, weil er bayerische Standorte und ihre wirtschaftliche Bedeutung schützen muss.
Wie die Partei den Berliner Kurs ihres Chefs bewertet, wird sich zeigen, wenn die Christsozialen im Oktober zum Parteitag zusammenkommen. Eine Bestandsaufnahme soll es geben - und eine erste Zwischenbilanz zur Aktion "Mitmachpartei". Großer Streit ist nicht zu erwarten, den kann sich die angeschlagene Partei nicht leisten. "Friede, Freude, Eierkuchen", erwartet Hartleb. Seehofer habe nichts Schlimmes zu befürchten. Potentielle Nachfolger hätten kein Interesse daran, jetzt schon das Heft in die Hand zu nehmen. "Seehofer hat bis zur nächsten Wahl Zeit", prophezeit Hartleb. Erst, wenn die CSU dann erneut an Zustimmung verliere, breche "offenes Hauen und Stechen" aus.
Showdown der Alpha-Tiere
Was das bedeuten würde, ist ziemlich klar: Showdown zwischen Seehofer und Guttenberg, dem Mann mit den vielen Vornamen. Die beiden Alpha-Tiere liefern sich zurzeit schon ein Duell - "eher subtil", meint Hartleb. Seehofer ist zwar bereit, die Wehrpflicht aufzugeben - aber nicht um den Preis der Verödung zu vieler Städtchen in seinem schönen Freistaat. Die Armee bringt Geld ins Land. Guttenberg dagegen nimmt seine Amtspflichten ernst: Der smarte Newcomer, der Politik scheinbar mehr als Passion denn als Beruf begreift, will die überfällige Wehrreform unbedingt, der Sache wegen. Damit profiliert sich der gebürtige Münchener, den Seehofer erst in die große Politik holte, weiter als Mann des Handelns - wonach wiederum das Volk dürstet. Guttenberg schlägt schon länger alle Konkurrenten im Kampf um den besten Platz auf der Beliebtheitsskala. Natürlich auch in der eigenen Partei.

Guttenberg weiß um seine Chance, Kanzler zu werden. Aber wann springt er aus der Deckung?
(Foto: dpa)
"Seehofer dachte, dass Guttenberg ihm ein Leben lang dankbar sein wird", weiß Hartleb. Doch dieser habe sich schnell von seinem Mentor gelöst. Gefallen würde Seehofer, dem Patriarchen, das nicht, sagt der Politik-Wissenschaftler. Doch was kann er schon tun? "Es macht keinen Sinn für Seehofer, sich ernsthaft mit Guttenberg anzulegen. Der Verteidigungsminister werde schließlich von einer "riesigen Stimmung" in der Partei getragen, sagt Oberreuter. Eine Euphorie, die Guttenberg Zeit verschafft, sich weiter zu etablieren. Letztlich natürlich, um die Kanzlerschaft anzutreten. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Guttenberg Pläne in diese Richtung hat. "Guttenberg darf durchaus Kanzlerambitionen haben", sagt Hartleb. Daher werde er auch den Teufel tun und sich in parteipolitischem Klein-Klein verstricken. "Guttenberg hat das Zeug dazu", ist sich auch Nachwuchspolitiker Schalk sicher.
Guttenberg ist jedoch Stratege genug, um den richtigen Zeitpunkt abzupassen. Die Konstellation muss stimmen. "Er wartet auf den Tag x, an dem die Partei ihn ruft", sagt Hartleb. Der Parteivorsitz schließlich könnte ihm den Rückenwind geben, nach der Kanzlerschaft zu greifen. Dass Amtsinhaberin Merkel irgendwann amtsmüde wird und die Deutschen merkelmüde, da kann sich der eloquente Shootingstar sicher sein. Ein Szenario, das auch bei Franz Josef Strauß im weiß-blauen Himmel auf Gefallen stoßen dürfte. Bei allem Gram über die momentanen Verhältnisse unten: Ein CSU-Kanzler würde dem ewigen bayerischen Übervater dann doch ein strammes "saugut!" entlocken.
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Quelle: ntv.de