Folgt Poroschenko auf Turtschinow? Die Ukraine sucht den Ausweg
25.05.2014, 12:08 Uhr
Und schon wieder Ärger: Auf diesem Bild kollidieren ukrainische Soldaten mit Selbstverteidigungskräften der Euromaidan-Bewegung.
(Foto: REUTERS)
Erst zwei illegale Referenden, nun eine umstrittene Präsidentenwahl: In der Ukraine wird an diesem Wochenende wieder gewählt. Dass ein neues Staatsoberhaupt die Krise des Landes lösen kann, glaubt allerdings kaum jemand.
Aus der Sicht von Alexander Turtschinow ist das alles ganz einfach. Der Militäreinsatz in der Ostukraine befinde sich in der "finalen Phase", sagt er. "Wir sind bereit, die Gebiete Donezk und Lugansk von den Terroristen zu säubern." Mit seiner jüngsten und gewohnt übertrieben scharfen Äußerung überführt sich der Übergangspräsident mal wieder selbst. Turtschinow schien das Amt von Beginn an zu überfordern. Wenn die Ukrainer an diesem Sonntag einen neuen Präsidenten wählen, ist immerhin eines gewiss: Spätestens dann ist die kurze Ära Turtschinow beendet. Seinem Nachfolger winkt allerdings keine dankbare Aufgabe. Für die ukrainische Regierung und den Westen ist die Wahl entscheidend, um den Konflikt zu lösen. Das Land mit seinen 43 Millionen Einwohnern sucht den Ausweg aus dem Ausnahmezustand. Dennoch scheint es fast aussichtslos, dass die Abstimmung an der verfahrenen Situation so schnell etwas ändern kann.
Von der Dynamik des Neuanfangs, die sich nach dem Sturz von Präsident Wiktor Janukowitsch ausbreitete, ist drei Monate später kaum etwas übrig geblieben. Seit Wochen taumelt die Ukraine der Anarchie entgegen. Jeden Tag bekämpfen sich ukrainische Soldaten und prorussische Kräfte im Osten des Landes, fast jeden Tag gibt es Tote und Verletzte. Die ukrainische Regierung zeigt daraufhin mit dem Finger auf Moskau, das russische Außenministerium auf Kiew. Das Schema ist stets das Gleiche, der Wahnsinn längst alltäglich. Der Runde Tisch verläuft bisher ergebnislos. Effektiv sind die Gespräche ohnehin nicht, da sie ohne Beteiligung der Separatisten stattfinden.
Putins Druckmittel

Einmischung von außen? Wladimir Putin will angeblich kein Interesse haben, die Ukraine zu destabilisieren.
(Foto: REUTERS)
Zeichen der Entspannung sind rar. In dieser Woche kündigte Russlands Präsident Wladimir Putin zwar an, seine Armee von der Grenze abzuziehen. Doch der Westen ist skeptisch. Zu häufig gab das Verhalten Moskaus in der Vergangenheit Rätsel auf: sowohl im Hinblick auf die Krim als auch bei den Referenden in der Ostukraine, die der Kreml erst verschieben wollte, dann aber zügig anerkannte. Russland kommt im Ukraine-Konflikt eine entscheidende Rolle zu. Man will ein Wörtchen mitreden, wenn es um die Zukunft des Nachbarlandes geht. Den Sturz Janukowitschs verfolgte Putin misstrauisch, die Legitimität der neuen Übergangsregierung zog er von Anfang an in Zweifel. Im Hinblick auf die Regierungsbeteiligung der rechtsextremen Swoboda-Partei spricht man in Russland gern von "den Faschisten in Kiew".
Putin verkündete zwar, die Wahl "nicht behindern" zu wollen und das Votum der Ukrainer zu "respektieren". Trotzdem ist ungewiss, ob er den neuen ukrainischen Präsidenten anerkennen wird. Mit dem Hinweis, dass dieser von einem Teil des Landes nicht legitimiert werde, forderte Moskau mehrfach eine Verschiebung der Wahl und plädierte für ein Referendum über eine neue Verfassung mit mehr Autonomie für die Regionen. Seine Druckmittel hält Putin bewusst aufrecht: Raketentests, Truppen an der Grenze, die offene Beitrittsforderung der Donezker Separatisten, die Drohung, dem Nachbarland das Gas abzustellen. Dazu das Mandat, notfalls militärisch einzumarschieren. Die Beziehungen beider Länder dürften sich auch nach der Wahl "nicht schnell normalisieren", ließ Putin verlauten. Ministerpräsident Dmitri Medwedew sagte, der Westen und Moskau steuerten auf einen "zweiten Kalten Krieg" zu.

Treffen sich diese beiden Herren bald wieder? Russlands Außenminister Sergej Lawrow (r.) mit Petro Poroschenko. Der ukrainische Präsidentschaftskandidat war 2009 für ein halbes Jahr Außenminister.
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Von den Präsidentschaftskandidaten distanziert sich der Kreml. Russische Staatsmedien wie "Ria Novosti" behaupten, dass nicht einer der Bewerber den Osten der Ukraine repräsentiere. Tatsächlich ist dies falsch. Neben dem Oligarchen Petro Poroschenko, Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko, Ex-Verteidigungsminister Anatoli Grizenko und Swoboda-Chef Oleg Tjagnibok treten mit Sergej Tigipko und Michailo Dobkin auch zwei prorussische Kandidaten an. Sowohl Ex-Vizepremier Tigipko als auch Dobkin, ein früherer Gefolgsmann Janukowitschs, liegen in den Umfragen im einstelligen Prozentbereich und sind chancenlos. Aller Voraussicht nach wird sich Poroschenko spätestens in der Stichwahl durchsetzen.
Der "Neue" steckt in einem Dilemma
Im Gegensatz zu den umstrittenen Referenden auf der Krim und in Donezk gibt es am Sonntag zwar Wählerlisten und keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Von einer gewöhnlichen Abstimmung kann jedoch keine Rede sein. Mehr als 55.000 Polizisten und 20.000 freiwillige Helfer sollen den Urnengang absichern. Dennoch geht die Übergangsregierung in Kiew davon aus, dass die Wahl in weiten Teilen der Regionen Donezk und Lugansk nicht abgehalten werden kann. Die bewaffneten Separatisten wollen die Abstimmung verhindern. Aus Sicht von Milizenführer Denis Puschilin hat Donezk mit der Wahl sowieso nichts zu tun. Die Oblast gehöre schließlich nicht mehr zur Ukraine. "Wie können wir die Wahl in einem Nachbarland auf unserm Gebiet stattfinden lassen?"
Die Ukraine steht vor vielen offenen Fragen: Wie bringt man alle Konfliktparteien an einen Tisch? Ist eine Spaltung des Landes zu verhindern? Wie könnte eine ukrainische Föderation mit autonomen Regionen aussehen? Gibt es einen Ausweg aus der Wirtschaftskrise, in der sich das Land befindet? Dabei steckt der "Neue" in einem Dilemma. Nach Janukowitschs Sturz setzte die Werchowna Rada die alte Verfassung ein, die dem Parlament mehr Macht einräumt und die des Präsidenten einschränkt. Viele Experten hielten es deshalb für wesentlich wichtiger, wenn die Ukrainer bald ein neues Parlament wählen könnten. Aber jetzt muss die Regierung in Kiew erst einmal diese Präsidentschaftswahl hinter sich bringen. Das ist kompliziert genug.
Quelle: ntv.de