Politik

Duo arbeitet an Flüchtlingsfragen Die neue Nähe zwischen Merkel und Juncker

Angela Merkel lässt sich in Brüssel von Jean-Claude Juncker begrüßen.

Angela Merkel lässt sich in Brüssel von Jean-Claude Juncker begrüßen.

(Foto: dpa)

Merkel wollte Juncker einst an der Spitze der EU-Kommission verhindern. Nun arbeiten beide eng zusammen - andere Partner haben sie kaum.

Sehr häufig kommt es nicht vor, dass die Bundesregierung geradezu im Lob über die EU-Kommission schwelgt. Aber schon beim EU-Gipfel Mitte Oktober pries Bundeskanzlerin Angela Merkel vor allem den Aktionsplan der EU-Kommission für die Türkei-Verhandlungen gleich mehrfach. Am Sonntag bedankte sie sich abermals kräftig für die Einladung von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zum Balkan-Krisentreffen, das das Flüchtlingschaos in Südosteuropa beseitigen soll. Das Treffen selbst ist ein Beleg dafür, wie eng vor allem Merkel und Juncker derzeit in der Flüchtlingskrise zusammenarbeiten. Denn: Der größte EU-Staat und die Kommission sind aufeinander angewiesen.

Die derzeitige Situation ist untypisch. Vor allem Merkels Vorgänger Gerhard Schröder hatte einen Frontalkurs gegen die EU-Behörde gefahren, weil er den Kommissaren mangelndes Verständnis für die industrie-, aber auch haushaltspolitischen Nöte gerade von Industrieländern vorwarf. Bei Merkel gab es immer wieder Zweifel, ob sie nicht lieber zwischenstaatliche Vereinbarungen treffen würde als mit der Kommission zusammenzuarbeiten. Und während der Griechenland-Krise waren es vor allem EU-Kommission und Bundesfinanzministerium, die sich regelmäßig ineinander verkeilten.

Die Kommission als Krisenzentrale

In der Flüchtlingskrise sieht dies ganz anders aus: Im Sommer hatte es zunächst noch Unmut in Berlin gegeben, dass weder Brüssel noch die luxemburgische EU-Ratspräsidentschaft wegen der steigenden Flüchtlingszahlen in einen echten Krisenmodus schalten wollten. Das hat sich geändert. Merkel und Juncker stehen in ständigem Kontakt und teilen mittlerweile die Einschätzung, dass die Krise das Potenzial hat, die EU zu zerreißen. Davor warnte am Sonntag auch offen der slowenische Ministerpräsident Miro Cerar.

Deshalb hat sich die Bundesregierung nach jahrelangem Widerstand hinter die Kommissions-Idee einer Quotenregelung für die Verteilung der Flüchtlinge auf die EU-Staaten gestellt. Für Merkel ist die Kommission zudem das zentrale Instrument für die Lösung von Problemen in einer ganzen Reihe von Feldern. Denn in Brüssel sind nicht nur Geldtöpfe vorhanden, um Staaten bei der Grenzsicherung und Versorgung von Migranten zu helfen. Die Kommission soll auch die Rückführungsabkommen mit Herkunftsstaaten aushandeln und die EU-Entwicklungshilfe darauf ausrichten, dass die Menschen zumindest in Europas Nachbarschaft in ihrer Heimat bleiben können.

Die Nähe zu Juncker ist dabei auch Ausdruck der Unzufriedenheit mit EU-Ratspräsident Donald Tusk, der eigentlich ein Merkel-Vertrauter früherer Jahre ist. Denn in Berlin wurde dem Polen nicht nur mangelnde Aktivität in der Ukraine-Krise angekreidet, in der dann die Bundesregierung zusammen mit Frankreich die Führung übernahm. Als Merkel auf dem letzten EU-Gipfel einräumte, sie verstehe den Widerstand einiger osteuropäischer Länder gegen eine solidarische Haltung in der Flüchtlingsfrage nicht, konnte man das auch als Kritik an Tusk auffassen. Denn wer, wenn nicht der polnische Ratspräsident, hätte den Osteuropäern besser erklären können, warum auch sie Flüchtlinge aufnehmen müssen. Stattdessen aber ließ Tusk den Eindruck zu, dass er selbst Zweifel an dem Quotensystem hat.

Junker findet kaum Partner

Deshalb ist es kein Wunder, dass Merkel Juncker anrief, um den Balkan-Gipfel anzuregen. Dass einige nicht eingeladene EU-Länder das kurzfristig angesetzte Treffen kritisch sehen, stört dabei beide nicht. "Wir brauchen schnelle Ergebnisse", heißt es in Berlin und Brüssel übereinstimmend. Wenn andere EU-Staaten oder Tusk die politische und humanitäre Brisanz des Themas nicht sähen, sei dies schade, wird in Berlin ergänzt. Nur könne man darauf derzeit keine Rücksicht nehmen. Die Spannungen zwischen den Balkan-Staaten seien schon groß genug und müssten dringend angegangen werden - zumal Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban unmittelbar vor dem Treffen erneut den polternden Störenfried spielte.

Juncker wiederum braucht Merkel. Denn Deutschland ist unter den großen Staaten der letzte verlässliche Befürworte einer weiteren EU-Integrations. Frankreichs sozialistische Regierung gilt als zu schwach für wirkliche Reformen. Italien ist derzeit noch zu stark mit sich selbst beschäftigt. Und Großbritannien strebt als EU-Randstaat eher aus der Union heraus. Außerdem sieht Juncker das Thema auch als Chance an, die Integration in einem weiteren Bereich durch die Krise voranzutreiben: Erst der Lissaboner EU-Vertrag hatte 2009 die Möglichkeit zu einer gemeinsamen EU-Innen- und Asylpolitik geöffnet. Die nationalen Befindlichkeiten gegen einen gemeinsamen Schutz der EU-Außengrenzen, die Angleichung des Asylrechts oder eben die gemeinsame Aufnahme von Flüchtlingen können Merkel und Juncker aber nur erreichen, wenn sie zusammenarbeiten.

Quelle: ntv.de, Andreas Rinke und Tom Körkemeier, Reuters

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