Maaßen - der Gehetzte Ein Amtsleiter macht Politik
11.09.2018, 16:31 Uhr
Hans-Georg Maaßen hat die Debatte über Chemnitz von der Straße in die Abgeordnetenbüros geholt.
(Foto: REUTERS)
In Chemnitz habe es keine Hetzjagd gegeben, erklärt Hans-Georg Maaßen. Nun gibt es eine. Und der Getriebene ist Maaßen selbst. In seinem Bericht relativiert der Verfassungsschützer, er beschuldigt die Medien - aber seine Aussagen bleiben problematisch.
Mit seiner jüngsten Volte hat es Hans-Georg Maaßen dem Innenminister nicht unbedingt leichter gemacht. In dem Bericht, den der oberste Verfassungsschützer auf Geheiß von Horst Seehofer zu seinen Äußerungen über die Chemnitzer Ausschreitungen angefertigt hat, ist Medienberichten zufolge nicht sehr viel zu lesen von Belegen für Maaßens Thesen. Genau die waren aber sowohl von Regierungs- als auch Oppositionspolitikern gefordert worden - als letzte Chance für den Behördenchef, seinen Kopf doch noch aus der Schlinge zu ziehen. Jetzt ist die Ironie an der Sache kaum mehr zu übersehen: Statt eigene Fehler einzugestehen, tut Maaßen das, was in die Ecke Getriebene für gewöhnlich tun: Sie beißen.
Die neuen (alten) Schuldigen sind nach Ansicht Maaßens die Medien. Sie hätten das strittige Video von einer angeblichen Hetzjagd laut "Spiegel" zu schnell veröffentlicht. Das sei unseriös gewesen, urteilt der Verfasssungsschutzchef. Zwar zweifelt er selbst mittlerweile nicht mehr daran, dass es sich um authentisches Material handelt. Allerdings ist Maaßen offenbar der Meinung, dass niemand zu diesem Zeitpunkt in der Lage sein konnte, die Quelle und die Echtheit der Aufnahme zu verifizieren. Bleibt die Frage, wie er zu dieser Einschätzung kommt. Gerade die von Maaßen kritisierten großen Medien verfügen immerhin über sogenannte Fakten-Checker - also Mitarbeiter, die Inhalte aus dem Netz auf ihre Echtheit prüfen.
Maaßen konnte unmöglich wissen, ob das Video von den Redaktionen vorab geprüft wurde. Womöglich schloss er aber vom eigenen Ermittlungsstand auf die Informationslage in den Nachrichtenhäusern: Wie die "Welt" berichtet, äußerte Maaßen seine Zweifel an der Echtheit der Aufnahmen zu einem Zeitpunkt, als sich noch nicht einmal die Fachleute seiner eigenen Behörde mit dem Material beschäftigt hatten. Insofern wäre die Behauptung Maaßens vom 7. September, es lägen "keine Belege dafür vor, dass das im Internet kursierende Video zu diesem angeblichen Vorfall authentisch ist", keineswegs falsch gewesen. Er hätte aber auch unterschlagen, dass es keine Belege dafür gab, dass das Material nicht authentisch ist.
Deutungshoheit über ein Wort
Das klingt nach Wortklauberei. Und darum geht es auch - nicht nur in Bezug auf die Echtheit des Videos. Maaßen fühlt sich gleich mehrfach missverstanden. So erklärt er im Bericht laut "Süddeutscher Zeitung", dass er nicht die Authentizität der Aufnahmen per se bezweifle, sondern lediglich, ob sie eine Menschenjagd zeigten. "Es liegen dem Verfassungsschutz keine belastbaren Informationen darüber vor, dass solche Hetzjagden stattgefunden haben", sagte er im "Bild"-Interview - und stellte sich damit hinter Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer, der am vergangenen Mittwoch ähnlich argumentiert und damit eine Debatte um den Begriff "Hetzjagd" losgetreten hatte. Es entbrannte ein Streit um die Deutungshoheit über das Wort.
Wer seine Argumente allein auf das strittige Video aus der Chemnitzer Bahnhofstraße stützt, der wird die Frage, ob es Hetzjagden gab, womöglich tatsächlich verneinen. Zu sehen ist, wie zwei Rechtsextreme aus einer Gruppe heraustreten und einem jungen Mann nachstellen, den sie offenbar für einen Ausländer halten. Einer von beiden verfolgt ihn über einige Meter und tritt nach ihm. Jemand brüllt: "Da könnt ihr rennen, ihr F**zen!" Dass aber jemand regelrecht durch die Straßen getrieben wird, belegt dieses Material nicht. Dennoch ist es passiert - so legen es zumindest Zeugenaussagen von mehreren Sozialdemokraten aus dem hessischen Marburg nahe, die am 1. September an der Demo "Herz statt Hetze" teilgenommen hatten.
Sie berichteten laut "Frankfurter Allgemeiner Sonntagszeitung", dass Rechte einen von ihnen mit den Worten "Den schnappen wir uns!" verfolgt hätten, weil er ihnen "nicht deutsch genug aussah". Andere seien geschlagen und als "Deutschland-Verräter" beschimpft worden. Zwar stand zu diesem Zeitpunkt das Wort "Hetzjagd" schon mehrere Tage lang im Raum - weshalb der Vorfall auch nicht dazu geeignet ist, vorschnelles Urteilen von Politikern zu rechtfertigen. Allerdings wusste Ministerpräsident Kretschmer am 5. September durchaus von dem Vorfall - und erklärte dennoch, dass es in Chemnitz weder einen Mob noch Hetzjagden gegeben habe. Demokraten, sagte er später, müssten durch ihre Wortwahl zur Beruhigung beitragen.
Belege bleibt Maaßen schuldig
Genutzt hat die "Hetzjagd"-Debatte vor allem den Rechten. Plötzlich diskutierte niemand mehr über die Gewalt gegen Migranten, über das Zeigen des Hitlergrußes oder einschlägige Neonazi-Parolen. Und das alles hat es zweifellos gegeben. Mit seinen Äußerungen in der "Bild"-Zeitung hat Maaßen die Schuldfrage von der Straße in die Abgeordnetenbüros verlagert. Gelegen kam das vor allem der AfD - und insbesondere Parteichef Alexander Gauland, der den Wirbel dazu nutzte, um den Rücktritt von Regierungssprecher Steffen Seibert wegen der Verbreitung einer "Falschinformation" zu fordern. Grundlage dafür war letztlich die Aussage Maaßens, es gebe "gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken".
Von dieser Einschätzung rückte Maaßen auch nach Erscheinen des Interviews nicht ab. In einer Stellungnahme des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) vom 7. September war vielmehr erneut die Rede von "Fakenews und Versuchen der Desinformation" in den sozialen Medien. Die besagten guten Gründe für Maaßens Annahme, dass es sich auch beim Chemnitzer Übergriff um eine bewusst gestreute Falschinformation gehandelt haben könnte, hat das BfV allerdings bis heute nicht geliefert. Bekannt ist lediglich, dass der Behördenchef die Seriosität der Quelle "Antifa Zeckenbiss", die das Video verbreitete, in Zweifel zieht. Es seien Begriffe genutzt worden, die für die linke Szene unüblich seien, so Maaßen.
Wieder argumentierte er mit der Sprache - so als ginge es ihm lediglich um die Ahndung verbaler Ungenauigkeiten. Einige spekulative Aussagen in seinem "Bild"-Interview ließ er hingegen bisher unkommentiert. Warum er etwa von einem Mord in Chemnitz sprach, obwohl die Justiz im Fall Daniel H. wegen des Vorwurfs des Totschlags ermittelt? Keine Erklärung. Wen genau er im Verdacht hat, vom Mord ablenken zu wollen? Keine Erklärung. Stattdessen verfestigt sich so langsam der Eindruck, Maaßen wolle vor allem die eigene politische Agenda durchsetzen. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius von der SPD unterstellte ihm, "dass er Einfluss auf die politische Stimmung im Land nehmen will".
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet riet Maaßen, Verfassungsfeinde zu beobachten statt der "Bild"-Zeitung Interviews zu geben. Treffen soll der Giftpfeil des CDU-Politikers gleich doppelt: nicht nur Maaßen, sondern auch Horst Seehofer. Schließlich ist letzterer als zuständiger Minister dafür verantwortlich, seinen Behördenchef in die Schranken zu weisen. Bisher hat er darauf verzichtet - mit dem Ergebnis, dass er sich nun selbst den Fragen des Innenausschusses im Bundestag stellen muss.
Quelle: ntv.de