Politik

Tauberts tiefrotes Thüringen? Ein bisschen Rot-Rot-Grün wagen

19751409(1).jpg

(Foto: picture alliance / dpa)

In Thüringen könnte die SPD nach der Wahl ein rot-rot-grünes Bündnis eingehen. Dafür müssten die Genossen den Linken Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten wählen. Doch genau das behagt ihnen überhaupt nicht.

Vier Tage vor der Wahl spielt die SPD schon mal Regierung. In Erfurt stellten Spitzenkandidatin Heike Taubert und der Landesvorsitzende Christoph Matschie an diesem Mittwoch ihr 100-Tage-Programm vor. Ein bisschen absurd ist das schon. Die SPD ist nur die drittstärkste Partei in Thüringen. Umfragen zufolge kann sie bei der Landtagswahl am 14. September nur mit 16 bis 18 Prozent der Stimmen rechnen. Dennoch führt kein Weg vorbei an den Sozialdemokraten, wenn es darum geht, eine neue Regierung zu bilden. Sie sind der Königsmacher.

Das macht die Situation allerdings nicht leichter. Denn vor der Landtagswahl stehen die Genossen vor einem Dilemma. Entweder sie entscheiden sich für eine Fortsetzung der Großen Koalition unter Führung von CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht. Oder sie wagen etwas Neues, eine rot-rot-grüne Koalition. Ebendies ist das Brisante an der Wahl in dem Freistaat. Erstmals könnte mit Bodo Ramelow nämlich ein Politiker der Linken deutscher Ministerpräsident werden. Vorausgesetzt, er erhielte die Stimmen der SPD.

"Ein Tisch mit drei Beinen steht besser"

Verhandlungen über Rot-Rot-Grün, kurz R2G, hat es schon häufig gegeben. Bisher aber mit der Garantie zum Scheitern. Ob 2009 in Thüringen oder im Saarland, 2010 in Nordrhein-Westfalen oder 2013 in Hessen: Die SPD entschied sich entweder für eine andere Option oder verzichtete lieber gleich auf das Regieren, anstatt es mit den Linken zu versuchen. Das könnte nun anders werden. Zwar fremdeln noch immer viele SPD-Politiker mit der Partei, die sie infolge der Agenda 2010 viele Wähler kostete und bis heute nachhaltig geschwächt hat. Dennoch nehmen die Berührungsängste langsam ab. Nach der Bundestagswahl verkündete die Parteispitze, die Landesverbände könnten nun autonom entscheiden, Koalitionen mit den Linken einzugehen und deren Kandidaten zum Regierungschef zu wählen.

Umfragen Thüringen
  Infratest Dimap Forschungsgruppe Wahlen
CDU 34 36
Linke 28 26
SPD 16 16
Grüne 5 6
FDP 3 -
AfD 7 8

Quelle: wahlrecht.de
Datum: 04.09.2014

"Wir streben nie Junior-Partnerschaften an, aber in Thüringen muss man damit rechnen", sagt SPD-Vize Ralf Stegner. Dass die R2G-Premiere ein vermeintlich wackeliges Dreier-Bündnis wäre, schreckt den Parteilinken nicht ab. Er verweist auf die Koalition aus SPD, Grünen und dem Südschleswigschen Wählerverband in Kiel. "Ein Tisch mit drei Beinen steht besser als mit zweien." Eine direkte Empfehlung will er aber nicht aussprechen. Stegner möchte nicht den Eindruck erwecken, der Landesverband könnte in seiner Entscheidung nicht frei sein.

"Rot-Rot-Grün wird niemals ein Projekt werden"

Ramelow könnte der Erste werden, der von der neuen Freizügigkeit profitiert. "Wir streben ein reformorientiertes Bündnis an und das hat sich bisher im Thüringer Landtag mit Rot-Rot-Grün gezeigt", sagt er. Die Grünen würden wohl mitmachen, vor der Wahl hält man sich aber bedeckt. "Wir werben nicht für Koalitionen, sondern für starke Grüne", sagt Fraktionschefin Anja Siegesmund, die aber "große Schnittmengen mit SPD und Linken" sieht. Die Grünen wollen den Politikwechsel und zeigen, dass sie regieren können - beide Wahlziele wären nur mit Rot-Rot-Grün machbar, eine andere Regierungsperspektive hat die Partei nicht. Geht es nach Bundeschefin Simone Peter, ist die Lage einfach. Sie wünscht sich, dass "nach Schwarz-Grün in Hessen auch mal Rot-Rot-Grün in einem Bundesland zustandekommt".

SPD-Spitzenkandidatin Heike Taubert

SPD-Spitzenkandidatin Heike Taubert

(Foto: imago/Karina Hessland)

Warum also nicht ein bisschen Rot-Rot-Grün wagen? Tom Strohschneider, Chefredakteur der Zeitung "Neues Deutschland" und Autor des Buches "Linke Mehrheit?", hält die Animositäten zwischen SPD und Linken für überwindbar. "Man darf in Gesprächen mit Parteien nicht immer so tun, als ob die anderen ungezogene Kinder sind", sagt er und meint die SPD. "Rot-Rot-Grün wird niemals ein Projekt werden wie Rot-Grün, sondern eher eine nüchterne Zusammenarbeit. Rot-Grün hat sich selbst zum Projekt stilisiert, umso größer war am Ende die Enttäuschung und die gegenseitige Belastung."

Königliche Wasserträger

Einer, der weiß, wie sich das anfühlt, sitzt nur drei Kilometer oder acht Autominuten vom Thüringer Landtag entfernt: Andreas Bausewein ist seit 2006 Bürgermeister von Erfurt. Dort stützt sich der SPD-Mann in der Regel auf rot-rot-grüne Mehrheiten. "Die Begeisterung für die Große Koalition hält sich innerhalb der SPD inzwischen in Grenzen", sagt er. "Aber wenn es bei der CDU um den Machterhalt geht, da machen die Kompromisse, das glaubt man oft gar nicht." Nur nach den Wahlprogrammen liege man näher bei den Linken. Bausewein erwartet lange komplizierte Verhandlungen. "Die SPD hat die Angst davor verloren, mit den Linken zu regieren", sagt er, "wenn wir der große Partner sind".

Aber im Landtag ist die Lage eben genauso andersherum. Hier wären die Linken der Koch und SPD und Grüne die Kellner. Ob es am Ende klappt oder nicht, entscheiden die Mitglieder. Dabei will sich die Thüringer SPD ein Beispiel an der Bundespartei nehmen. Wie eine Sprecherin bestätigte, soll nach erfolgreichen Verhandlungen über einen möglichen Koalitionsvertrag entschieden werden. Im Willy-Brandt-Haus, der Berliner SPD-Zentrale, schätzt man die Stimmung für Rot-Rot-Grün auf 60:40.

Die Person, die darüber maßgeblich mitverhandelt und -entscheidet, macht es noch spannend: SPD-Spitzenkandidatin Taubert, die zurzeit noch Sozialministerin in der Großen Koalition ist, die Thüringen seit 2009 regiert. Trotz der miesen Umfragewerte tourt sie seit Wochen durch das Land - mit dem ehrlichen, aber aussichtslosen Ziel, Ministerpräsidentin zu werden. In so einer königlichen Lage, wie es scheint, ist sie nämlich gar nicht. Glaubt man Tauberts Einschätzung, dann haben die Sozialdemokraten die Wahl zwischen Pest und Cholera. Lieberknecht wirft sie "politisches Versagen" vor, gegenüber Ramelow habe sie "persönlich Vorbehalte", der Linken-Kandidat sei "aufbrausend und selbstverliebt". Dessen Wasserträgerin wolle sie nicht sein.

Tatsächlich hat Heike Taubert aber keine andere Wahl. Ob Lieberknecht oder Ramelow: Egal, wie die SPD entscheidet und welches Bild man dafür bemüht, sie bleibt in der undankbaren Rolle der Mehrheitsbeschafferin.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen