Politik

Perfektionist zeigt sich privat Eins fehlt Spahn noch, um Kanzler zu werden

Michael Bröcker, Chefredakteuer der "Rheinischen Post", Jens Spahn und Dietmar Bartsch bei der Vorstellung des Buches.

Michael Bröcker, Chefredakteuer der "Rheinischen Post", Jens Spahn und Dietmar Bartsch bei der Vorstellung des Buches.

(Foto: dpa)

Die Biografie, die der Journalist Michael Bröcker über Jens Spahn geschrieben hat, zeigt den CDU-Politiker als privaten Menschen. Diese Image-Erweiterung kann er gut gebrauchen.

Spaß macht es wahrscheinlich nicht, wenn man mit 38 Jahren, als durchaus erfolgreicher Politiker, gefragt wird, wie es denn so war, als man mit vierzehn oder fünfzehn festgestellt habe, dass man schwul ist. Jens Spahn macht das Beste draus. "Wie formuliere ich das jetzt, ohne dass es blöd klingt?", überlegt er laut.

Dabei liegt die Formulierung längst vor, gedruckt, in einem Buch. "Man ist sensibler für die Umgebung", sagt Spahn in der Biografie, die der Journalist Michael Bröcker über ihn geschrieben hat. "Ich bekomme viel mehr an Gefühlsregungen in meiner Umwelt mit, als mir alle zutrauen."

Bei der Vorstellung des Buches klingt Spahn so ähnlich, nachdem er überlegt hat. "Ich nehme in meinem Umfeld deutlich mehr wahr, als die meisten mir zutrauen, das stelle ich regelmäßig fest."

Ist es ein bisschen heuchlerisch, wenn Politiker Spontaneität vortäuschen? Geht es um Spahn, ist die Frage vermutlich falsch gestellt. Spahn ist Perfektionist, er will keine Fehler machen und alles kontrollieren, wie Bröcker schreibt. "Das ist nah dran an dem, was manch einer als arrogant empfindet."

"Das Konzept Gnadenlosigkeit ist keines von ihm"

Spahn scheint den Eindruck zerstreuen zu wollen, er sei der kühl berechnende Provokateur, für den ihn viele halten. Da hilft es, dass der Verlag als Laudator Linksfraktionschef Dietmar Bartsch eingeladen hat. Bartsch kennt Spahn aus dem Haushaltsausschuss des Bundestags und ist mit ihm per Du. Mehrfach betont der Linke, dass Spahn und er vollkommen unterschiedliche politische Ansichten hätten. Aber er hat auch viel Lob für den Konservativen mitgebracht. Kaltherzig etwa sei Spahn keineswegs. "Bei aller politischen Ferne: Das Konzept Gnadenlosigkeit ist keines von ihm." Spahn habe sich "seine vielen Gegnerinnen und Gegner hart erarbeitet", sagt Bartsch. Aber wenn es im politischen Streit Verlierer gebe, dann zeige er "eine helfende Hand".

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Das ist wohl der private Spahn, von dem Bröcker sagt, dass er ihn überrascht habe. Es gebe einen Unterschied zwischen dem öffentlichen Jens Spahn und jenem, den er in dessen Heimatort Ottenstein im Münsterland erlebt habe. Als Privatmann wirkt Spahn sympathischer und zugänglicher. "Wenn Jens Spahn in die Herzen der Deutschen dringen will, muss der Politiker Jens Spahn mehr von dem Menschen Jens Spahn zeigen", schreibt Bröcker.

Sowohl der Mensch als auch der Politiker Spahn hat das vermutlich verstanden. Vielleicht war das der Grund, warum er Bröcker "Gesprächskanäle" in sein privates Umfeld geöffnet hat. So berichtet etwa Spahns Mutter in dem Buch darüber, wie der 21-jährige Jens Spahn sich mit seinen Eltern an den Küchentisch setzte und sich outete.

Man wird wohl davon ausgehen können, dass Spahn bewusst an dem Bild arbeitet, dass die Öffentlichkeit sich von ihm macht. Er habe selbst erlebt, wie reserviert die Menschen im Münsterland in den 1990er Jahren sowohl Schwulen und Lesben als auch den Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien begegnet seien. Heute sei die Offenheit in seinem Dorf sehr viel größer. Zu den Flüchtlingen von heute sagt er: "Ja, das kriegen wir gut hin in dieser Dorfgemeinschaft. Aber die Bereitschaft und die Fähigkeit, das zu tun, geht nicht ins Unendliche." Da klingt Spahn wie eine Mischung aus Merkel und Seehofer.

Für Linke "ein gutes Feindbild"

Ist das ein neuer Spahn? "Ich fühle mich ja immer integrativ", sagt er und meint das offensichtlich nur halb im Spaß. Er will, dass die Parteien wieder unterscheidbarer werden, deshalb plädiert er für eine Auseinandersetzung, die Gegensätze nicht verwischt. Aber er will auch, dass Politik und Gesellschaft in der Lage sind, Unterschiede auszuhalten, andere Meinungen zu ertragen. Auch in der Großen Koalition werde nicht so diskutiert, dass am Ende immer eine gute Entscheidung stehe, kritisiert er.

Bartsch hält es für möglich, dass Spahn als Minister "die bisherige Linie seiner Biografie zumindest modifiziert" habe. Soll heißen: weniger Attacken, weniger Verbissenheit. Anzeichen gibt es dafür, aber auch dagegen. Nach seiner Beförderung zum Gesundheitsminister machte er zunächst da weiter, wo er im Wahlkampf aufgehört hatte: mit Provokationen. Anders als vor der Wahl ging es jetzt nicht um Englisch sprechende Kellner in Berlin-Mitte, sondern um Abtreibungen und Hartz IV. Dafür hagelte es Kritik. Seither meldet sich Spahn fast nur noch zu gesundheitspolitischen Themen zu Wort.

Trotzdem hängt der Verdacht, dass es ihm eigentlich nur darum geht, Kanzler anstelle der Kanzlerin zu werden, fest an ihm. Spahn sagt das nicht so rundheraus, aber er geht doch sehr offen mit seinen Ambitionen um. "Wenn ich mir den Kanzler nicht zutrauen würde, müsste ich das hier ja alles nicht machen", habe Spahn schon 2013 gesagt, schreibt Bröcker. Bei der Buchvorstellung merkt Spahn an, das sei "jetzt auch nicht das, womit ich jeden Morgen wach werde". Aber "gestalten" wolle er schon.

Das macht Spahn so spannend, das unterscheidet ihn von vielen anderen Politikern. Auch er beantwortet nicht jede Frage - er drückt sich zum Beispiel davor zu sagen, ob er lieber Volker Kauder oder dessen Herausforderer Ralph Brinkhaus als Chef der Unionsfraktion sähe. Auch zur Causa Maaßen sagt Spahn nichts. Aber zumeist ist er doch ziemlich direkt. "Wenn er sich zur Sache äußerte, dann war das immer klar", sagt Bartsch über die gemeinsame Zeit im Haushaltsausschuss. Mit seinen klaren Positionen wäre er für die Linken als Kanzlerkandidat "ein gutes Feindbild".

Zum Ende der Buchvorstellung weist ein Journalist darauf hin, dass Michael Bröcker schon einmal ein Buch über einen jungen, aufstrebenden Politiker geschrieben habe. Philipp Rösler hieß der Mann, bis vor fünf Jahren war er FDP-Chef. Das Buch gebe es heute für 1,80 Euro bei Amazon, sagt der Journalist. Ob er fürchte, dass es ihm mit dem Titel über Jens Spahn auch so gehen werde? Bröcker lacht. Dass Spahn von der Bildfläche verschwindet, ist dann doch eher unwahrscheinlich.

Quelle: ntv.de

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