Pressefreiheit in der Türkei Erdogan feuert auf allen Kanälen
02.06.2015, 08:25 Uhr
Erdogan und seine AKP bekommen zehnmal so viel Sendezeit wie die Opposition.
(Foto: AFP)
Eigentlich müsste sich der türkische Präsident Erdogan aus dem Wahlkampf heraushalten. Doch das tut er nicht. Er hat etliche Medien auf Linie gebracht und nutzt diese, um Stimmung zu machen.
In den Straßen Istanbuls hängen die Parteifähnchen, immer wieder ertönen die Hymnen laut plärrend aus den Lautsprechern vorbeifahrender Wahlkampfautos. Auf den Plakaten der Regierungspartei AKP ist Premier Ahmet Davutoglu abgebildet. Er ist der Parteichef. Recep Tayyip Erdogan sieht man auf den ersten Blick nicht. Denn auch in der Türkei ist der Staatspräsident zur Neutralität verpflichtet. Doch tatsächlich interessiert Erdogan das nicht wirklich. Vor den Wahlen nutzt er jede Gelegenheit zum öffentlichen Auftritt. Und den Wahlkampf in den Medien hat Erdogan längst gewonnen.
Im Auslandsreport bei n-tv berichtet Nadja Kriewald ebenfalls über die Wahlen in der Türkei. Wir zeigen den Auslandsreport
- am Freitag, 5. Juni, um 12.10 Uhr,
- am Samstag, 6. Juni, um 7.30 Uhr sowie um 18.30 Uhr und
- am Sonntag, 7. Juni, um 12.25 Uhr.
Erdogans Auftritte reichen von Fahrradrennen bis hin zu Konferenzen. Als im südostanatolischen Yüksekova der 55. Flughafen eröffnet wird, schreitet er zur Bühne. Laut ertönt die Recep-Tayyip-Erdogan-Hymne. Und dann setzt er zu einer Rede an: "Eine Nation, eine Fahne, ein Land, ein Staat." Den Koran hält er dabei fest in der Hand. Zehntausend Exemplare in kurdischer Sprache werden verteilt. Das Ganze wird dann live von den Staatsmedien übertragen. Die Regierungspartei bekommt zehnmal so viel Sendezeit wie die Opposition.
Faire Bedingungen gibt es im medialen Wahlkampf nicht. Etliche kritische Journalisten wurden entlassen, die Chefposten neu besetzt. Die meisten Fernsehsender, Radiostationen und Zeitungen berichten sehr regierungsfreundlich. Nur einzelne Medien wagen es noch, die Regierung zu kritisieren.
Gefährliche Titelseiten
Wie die kleine linke Zeitung "Birgün". 60 überwiegend junge Leute arbeiten hier - viele davon als investigative Reporter. Doch kritische Geschichten aufzudecken und vor allem zu veröffentlichen, das wird von Tag zu Tag schwieriger, sagt Chefredakteur Baris Ince. "Früher war das schon schlimm. Aber jetzt nimmt der politische Druck immer mehr zu."
Gegen den erst 32-jährigen Chefredakteur laufen derzeit drei Verfahren wegen Beleidigung von Erdogan als Premierminister und weit schlimmer wegen Beleidigung von Erdogan als Präsident. Das wird mit Gefängnis bestraft.
Baris Ince zeigt die Titelseite, die ihm die Klage eingebracht hat. In der Überschrift steht: "Diese Nachrichten darf man nicht veröffentlichen in der Türkei." Ince erklärt: "Und dann schreiben wir, was man eigentlich nicht veröffentlichen darf. Das ist doch lustig, oder?" Ince zeigt auf Artikel. "Hier geht es zum Beispiel um den Korruptionsskandal und hier darum, dass der Geheimdienst Waffen an den Islamischen Staat geliefert hat."
Den Bericht über den Korruptionsskandal ziert ein Foto Erdogans. Ince freut sich darüber – immerhin hat er für den mutigen Artikel einen Preis bekommen. Doch an diesem Dienstag beginnt sein Prozess: "Naja, ich habe auch eine Mutter und einen Vater und die machen sich schon Sorgen."
Brandanschläge auf Redaktionen

Der Karikaturist Bahadir Baruter wurde verurteilt, weil er Erdogan beleidigt haben soll.
(Foto: n-tv)
Angesichts solcher Geschichten klingt es wie Hohn, wenn Erdogan sagt: "Nirgendwo ist die Presse freier als in der Türkei". Denn in der Türkei sei es den Medien sogar erlaubt, "Beleidigungen, üble Nachrede, Diffamierungen, Rassismus und Volksverhetzung zu begehen". Das Gegenteil ist der Fall, das weiß auch Bahadir Baruter. Er ist Karikaturist bei der bekanntesten türkischen Satirezeitung "Penguen". Nach der Präsidentenwahl im August 2014 hatte er eine Titelseite gezeichnet: Erdogan wird in dieser Karikatur gefragt, ob denn zur feierlichen Amtseinführung auch Journalisten geschlachtet würden? Von einem Mann, der sich gerade seine Jacke zuknöpft - eine Geste, die dem Zeichen für schwul in der Türkei ähnelt. "Sie haben mir vorgeworfen, dass ich damit sagen will, dass Erdogan schwul ist", erklärt Baruter. "Aber sowas machen wir nicht, das ist gegen unsere ethischen Grundsätze. Wir machen uns nicht über Minderheiten lustig. Im Gegenteil."
Zu elf Monaten Gefängnis wurden Baruter und sein Kollege Özer Aydogan verurteilt, in höherer Instanz dann "nur" zu einer Geldstrafe. Aber es sei nicht nur der politische Druck, meint Baruter. Inzwischen würden er und seine Kollegen längst persönlich bedroht von ganz "normalen" Bürgern. Weil regierungstreue Medien berichten, dass er ein Feind der Religion sei. "Einmal wurde mir mitgeteilt, sie wollen mein Kind töten", sagt Baruter. "Ich habe gar kein Kind!" Dann lacht er. Doch wirklich lustig ist all das nicht. Auf seine Redaktion hat es schon einen Brandanschlag gegeben.
Quelle: ntv.de