Nach dem Anschlag in Frankreich Ermittler verhören "Wolf im Schafspelz"
27.06.2015, 16:07 Uhr
Noch immer wird der Tatort nach möglichen Spuren abgesucht.
(Foto: dpa)
Ehemalige Freunde und Nachbarn beschreiben Yassin Salhi als "ruhigen Familienvater". Tatsächlich ist er ein grausamer Attentäter, der für den jüngsten Anschlag in Frankreich verantwortlich sein soll. Die Ermittlungen stehen noch ganz am Anfang.
Nach dem offenbar islamistisch motivierten Anschlag auf ein Gaslager in Frankreich und der Enthauptung eines Mannes ist der mutmaßliche Attentäter vernommen worden. Den Ermittlern ging es zunächst vor allem darum, herauszufinden, ob es Komplizen gab. Frankreichs Präsident François Hollande beriet derweil mit seinen zuständigen Ministern über die weiteren Konsequenzen des Anschlags.
Dem 35-jährigen Yassin Salhi wird vorgeworfen, am Freitag auf das Gelände der auf Gasprodukte spezialisierten Firma Air Products in Saint-Quentin-Fallavier nahe Lyon vorgedrungen zu sein und in einem Hangar voller Gasflaschen eine Explosion verursacht zu haben. Feuerwehrleute konnten den Mann in einem zweiten Hangar überwältigen, als er gerade mit Azeton gefüllte Flaschen öffnete, um eine weitere Explosion herbeizuführen.
Am Anschlagsort entdeckten Polizisten zudem die enthauptete Leiche des Chefs des mutmaßlichen Attentäters sowie ein Messer, das noch untersucht wurde. Den abgetrennten Kopf fanden die Polizisten am Zaun der Industrieanlage befestigt, daneben zwei islamistische Flaggen.
Zu dem Anschlag bekannte sich zunächst keine Dschihadistengruppe - anders als bei den am selben Tag verübten Attentaten in Tunesien und Kuwait, zu denen sich die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) bekannte. Anti-Terror-Staatsanwalt François Molins hatte erklärt, es gebe noch viele Unklarheiten, unter anderem, ob es Komplizen gab.
Drei Festnahmen
Neben Salhi wurden auch seine Ehefrau, seine Schwester und ein weiterer Mann festgenommen. Gegen Letzteren wird wegen "Terrorvorwürfen" ermittelt, seine Verbindung zum Anschlag ist aber noch unklar. Bislang gibt es Molins zufolge keine Hinweise, dass Salhi einen Komplizen bei sich hatte.
Hollande beriet am Samstag mit den Ministern für Äußeres, Inneres, Justiz und Verteidigung sowie Premierminister Manuel Valls über Konsequenzen aus dem Anschlag. Valls hatte seinen Südamerika-Besuch vorzeitig abgebrochen und war am Morgen wieder in Paris eingetroffen.
Innenminister Bernard Cazeneuve sagte, die Regierung arbeite angesichts der Bedrohungslage ohne Unterlass. Zugleich verwies er auf die in den vergangenen Monaten ergriffenen Maßnahmen gegen den Extremismus, etwa die Stärkung der Geheimdienste.
Warnung vor weiteren Anschlägen
Valls hatte zuvor gewarnt, dass Frankreich weitere Anschläge drohten und das Attentat vom Freitag die Spannungen im Land verschärfen dürfte. "Dieser makabere Akt der Enthauptung und die Inszenierung mit Flaggen ist in Frankreich neu", sagte Valls. Zugleich warnte er vor weiteren Anschlägen. Die Frage sei nicht, ob es einen weiteren Anschlag geben werde, sondern wann.
Frankreich war bereits im Januar Ziel von islamistischen Attentaten geworden, als drei Islamisten bei Anschlägen auf die Satirezeitung "Charlie Hebdo", auf eine Polizistin und auf einen jüdischen Supermarkt im Großraum Paris insgesamt 17 Menschen töteten. 2012 tötete ein Islamist in Toulouse Soldaten und jüdische Kinder. Hunderte Franzosen schlossen sich überdies den Dschihadisten in Syrien und im Irak an.
Ebenso wie die Attentäter von Paris und Toulouse war auch Salhi den Behörden wegen "Radikalisierung" bekannt. Bereits 2005 und 2006 wurden die französischen Geheimdienste auf den Mann aufmerksam. Er hatte Kontakt zu einer Gruppe radikaler Islamisten, als Eiferer fiel er aber nicht auf, wie ein Ermittler sagte. 2006 wurde Salhi auf eine Liste verdächtiger Personen gesetzt, zwei Jahre später aber wieder aus dem Register gestrichen.
2013 wurden die Sicherheitsbehörden wiederholt auf Salhi aufmerksam, wieder gab er sich mit mutmaßlichen Islamisten ab. Damals trug er das typische arabische Männergewand, die Dschellaba, und einen Bart, wie ihn Salafisten tragen. Anti-Terror-Staatsanwalt François Molins sagte, Salhi habe Kontakte in die Salafisten-Szene von Lyon gehabt. Mit verbotenen Aktivitäten wurde er aber nie in Verbindung gebracht.
Der unauffällige Nachbar
Im ostfranzösischen Pontarlier, wo Salhi im März 1980 auf die Welt kam, wurde mit Ungläubigkeit auf die Nachrichten von der Tat reagiert. "Er war ein ruhige Junge", erinnert sich Nacer Benyahia, der Vorsitzende der Moschee in der nahe Besançon gelegenen Stadt. "Es war eine Freude, ihn in der Moschee zu haben."
Seine Nachbarn sprechen von einer "diskreten" Familie, die ein ruhiges Leben führte. "Ihre Kinder spielen mit meinen, sie sind absolut normal und liebevoll", sagt eine Frau. "Er sprach mit niemandem, wir sagten uns nur 'Guten Tag' und 'Guten Abend'", berichtet ein anderer Nachbar. Salhis Kleidung sei unauffällig gewesen, er habe nur einen "kurzen Bart" getragen. Ein junger Mann sagt, in der Moschee habe er Salhi nie gesehen. Ein Kollege Salhis beschrieb ihn als "Wolf im Schafspelz". Einmal habe Salhi wissen wollen, was er über den IS denke. Er habe ihm seine Meinung gesagt, "und von da an war es nur noch: 'Hallo-Tschüss'".
Quelle: ntv.de, ppo/AFP/dpa