Acht Opfer gegen Schoko-Multis Ernten Kindersklaven unseren Kakao?
17.02.2021, 17:38 Uhr
Grundbestandteil in Schokoladenprodukten weltweit: Kakao aus Westafrika, oft von Kindern unter Zwang geerntet
(Foto: imago images/Philippe Lissac / G)
Dass der Kakao in Schokolade von Nestlé und anderen Konzernen von Kindersklaven geerntet werde, ist ein oft erhobener Vorwurf. Doch nun soll in den USA vor Gericht entschieden werden, ob die Schoko-Multis dafür Verantwortung tragen.
Acht junge Afrikaner gegen die größten Schokoladenhersteller der Welt: Für Nestlé, Mars, Hersheys und einige andere Lebensmittelkonzerne könnte es bald ein juristisches Nachspiel haben, dass sie Kakao aus Westafrika verarbeiten, der unter unmenschlichen Bedingungen geerntet worden sein soll. Die Klage vor einem US-Gericht gegen die Global Player wurde von einem Anwaltsteam eingereicht, das acht junge Männer vertritt, die als Kinder aus ihrer Heimat Mali in die Elfenbeinküste verschleppt worden sein sollen, wo sie als Sklaven Kakao ernten mussten.
Den Klägern geht es um mehr als nur eine Entschädigung für ihr eigenes Leid. "Wenn das Gericht befindet, dass die Konzerne von Sklaverei profitieren, dann könnte es ein Urteil fällen, das ihnen zukünftig verbietet, Kakao ins Land zu bringen, der von Sklaven geerntet wurde", sagt Terrence Collingsworth, einer der vertretenden Anwälte aus Washington D.C., im Gespräch mit ntv.de. Der Jurist sieht in dem Prozess die Chance, Nestlé und Co. konkret unter Druck zu setzen. "Das ist kein Schauprozess, um Öffentlichkeit für das Unrecht zu bekommen", sagt Collingsworth. Wenn das Gericht im Sinne der Kläger entscheide, "kämen die Konzerne in echte wirtschaftliche Schwierigkeiten". Schätzungen zufolge kommt fast die Hälfte des global verarbeiteten Kakaos von der Elfenbeinküste.

Kinderarbeit "läuft allem zuwider, wofür wir stehen", sagt der Nestlé Konzern zu den Vorwürfen.
(Foto: picture alliance/AP Photo)
Die Chancen der ins Visier genommenen Nahrungsmittel-Multis, den Gerichtsprozess zu verhindern, scheinen geringer, seit ein ähnliches Verfahren Anfang Dezember vor dem US Supreme Court landete. Diese Klage war erstmals 2005 eingereicht worden und dann über Jahre durch alle Instanzen des amerikanischen Justizsystems gelaufen. Ein Vertreter der Beklagten Nestlé und Cargill erklärte in einer telefonischen Anhörung vor dem höchsten US-Gericht, dass Unternehmen unter internationalem Recht nicht für Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich gemacht werden könnten. Das sei nur bei Einzelpersonen möglich. Laut dem US-Nachrichtendienst Bloomberg sahen selbst konservative Richter des Obersten Gerichtshofes diese Argumentation skeptisch.
73 Millionen Kindersklaven weltweit
Mit einer so grundsätzlichen Rechtsauffassung zu argumentieren, scheint den Angeklagten offenbar geboten, da das Verbrechen als solches vielfach dokumentiert ist. Die Unmenschlichkeit in der Kakaobranche Westafrikas abzustreiten, würde angesichts zahlreicher Belege in Presse und Wissenschaft schlicht absurd klingen. Auch Unicef und das US-Arbeitsministerium haben in den vergangenen Jahren Studien in Auftrag gegeben, die das Leid auf den Kakaoplantagen seriös dokumentieren. Die Internationale Arbeitsorganisation schätzte zuletzt, dass weltweit 73 Millionen Kinder gefährliche Arbeit unter Zwang verrichten.
Schon im Jahr 2000 gerieten Nestlé, Mars, Hershey und fünf andere Konzerne in den USA stark unter Druck wegen der unmenschlichen Bedingungen in ihren Lieferketten. Ein Gesetz, das sie dazu verpflichtet hätte, ihre Produkte für "frei von Sklavenarbeit" zu erklären, konnten sie nur mit einer Selbstverpflichtung verhindern. Die Konzerne sagten zu, binnen fünf Jahren, also 2005, die gesamte Produktionskette von illegalen Machenschaften zu befreien. Laut Menschenrechtsbeobachtern passierte jedoch kaum etwas, außer dass die Konzerne mehrfach ihre selbstgesetzte Frist zur Abschaffung von Sklaven- und Kinderarbeit nach hinten verschoben. Aktuell liegt sie bei 2025.
Das Anwaltsteam der Malier wird sehr deutlich: Die Unternehmen hätten "gelogen, als sie damals versprachen, damit aufzuhören, Kindersklaven zu benutzen. Sie haben nichts ernsthaftes seitdem unternommen". Nun hofft die Klägerseite, dass das Gericht "die Unternehmen dazu verurteilen kann, letztlich einige der Maßnahmen durchzuführen, die bekanntermaßen im Kampf gegen Ausbeutung funktionieren", sagt Anwalt Collingsworth. In erster Linie würde es wohl darum gehen, den Kakaolieferanten einen fairen Preis für die Ware zu bezahlen. Viele Plantagenbesitzer in der Elfenbeinküste verdienen nicht genug am abgelieferten Kakao, um das Überleben der eigenen Familie zu sichern.
Ohne Vorstellung, wo sie sich befanden
In der Anklageschrift berichten die acht Malier ihre persönlichen Schicksale - einer der Männer wurde mit elf Jahren in seinem Heimatdorf mit Versprechungen gelockt, über die Grenze gebracht und dann für zwei Jahre ohne jede Bezahlung als Sklave gehalten. Einige der acht beschreiben, dass sie isoliert worden seien, täglich viele Stunden am Stück arbeiten mussten, mit Machete oder Pestiziden, ohne Schutzkleidung. Alle seien über mehrere Jahre festgehalten worden, ohne eine klare Vorstellung, wo sie sich überhaupt genau befanden.

Etwa 45 Prozent des weltweit verarbeiteten Kakaos kommt von der Elfenbeinküste. Hier wird eine Ladung im Hafen von Abidjan verschifft.
(Foto: picture alliance / Godong)
Die entscheidende Frage vor Gericht wird am Ende sein: Haben die weltbekannten Firmen wissentlich von der illegalen Kinderarbeit in Westafrika profitiert, und ist die Verbindung zu den USA ausreichend, um ein Urteil über Verbrechen zu fällen, die nicht auf US-Boden stattfanden? Die Klage sagt, ja, die Konzerne hätten von den niedrigen Preisen profitiert, die ihre Vertragspartner nicht hätten aufrufen können, wenn sie erwachsenen Arbeitern fairen Lohn zahlen müssten. Die US-Firmen hätten "dominanten Einfluss" in der Region und seien verantwortlich für die Entwicklung des gesamten Produktionssystems für Kakao an der Elfenbeinküste. Sie hätten gewusst oder wissen müssen, dass Kinderarbeit dort systematisch genutzt wird.
Nestlé erklärte unterdessen, die Anklage würde das "gemeinsame Ziel" nicht voranbringen, Kinderarbeit in der Kakaoindustrie abzuschaffen. Kinderarbeit sei "inakzeptabel und läuft allem zuwider, wofür wir stehen". Eine Hoffnung der acht Kläger und ihrer Anwälte ist, dass die Multikonzerne umschwenken, noch bevor im bevorstehenden Prozess das Urteil gesprochen würde, womit sie frühestens in drei Jahren rechnen. "Anstatt Millionen Dollar für Anwälte auszugeben", so Collingsworth, "könnten die Konzerne auch sagen: Wir bringen jetzt wirklich in Ordnung, was wir seit Jahren behaupten. Die Hoffnung haben wir immer".
Quelle: ntv.de