Lässt der Kreml Assad fallen? Experte: Erfolg der Dschihadisten hängt von Moskaus Reaktion ab
30.11.2024, 21:16 Uhr Artikel anhören
Syrische Rebellen vor der historischen Zitadelle in Aleppo.
(Foto: picture alliance/dpa)
Nach dem Start ihrer überraschenden Offensive sind die Rebellen in Syrien weiter auf dem Vormarsch. Ein Experte sieht die Macht von Diktator Assad gefährdeter denn je. Einem anderen Experten zufolge hängt nun vieles davon ab, wie Russland sich verhält.
Der Erfolg der syrischen Rebellenoffensive auf Aleppo hängt nach Einschätzung eines Experten maßgeblich von der Reaktion Moskaus ab. Ohne substanzielle russische Luftunterstützung werde Syriens Präsident Baschar al-Assad Aleppo wohl nicht zurückerobern können, sagte Heiko Wimmen von der Denkfabrik International Crisis Group. Möglicherweise könnten die Rebellen in diesem Fall sogar noch weitere Geländegewinne erzielen.
Dass Russland Assad fallen lässt, glaubt er aber nicht. Dazu habe der Kreml zu viel in den syrischen Präsidenten investiert, der seit 2011 einen blutigen Bürgerkrieg gegen die eigene Bevölkerung führt. Der Zeitpunkt für die Offensive hängt nach Ansicht Wimmens womöglich mit den Ereignissen im Libanon zusammen. Der Iran und von ihm unterstützte Milizen sind neben Russland die wichtigsten Verbündeten Assads. Durch ihre indirekte Beteiligung am Gaza-Krieg und darauffolgende Angriffe Israels auf den Iran und proiranische Ziele in der Region, wie die Hisbollah im Libanon, wurden sie zuletzt stark geschwächt. Das hätten die Rebellen offenbar als günstige Gelegenheit erkannt, sagte Wimmen.
"Ein absoluter Kollaps"
Eine Allianz unter Führung der islamistischen Gruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) hatte Mitte der Woche im Norden Syriens eine überraschende Offensive gestartet und Dutzende Dörfer erobert. Auch große Teile der Millionenstadt Aleppo befinden sich mittlerweile unter ihrer Kontrolle. Nach Angaben von Aktivisten rücken die Rebellen, darunter auch von der Türkei unterstützte Milizen, weiter vor. Mindestens elf Orte in der Provinz Hama im Westen des Landes seien erobert worden, sagte Rami Abdel Rahman, der Leiter der in Großbritannien ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Das syrische Verteidigungsministerium wies Berichte zurück, wonach die syrische Armee die Gegend verlassen hätte.
Der Syrien-Experte Charles Lister schrieb auf X, es erscheine gut möglich, dass die Oppositionskräfte innerhalb der nächsten 24 Stunden einen Großteil der Provinzen Hama und Aleppo einnehmen könnten. Er bezeichnete die aktuellen Entwicklungen als ein "Erdbeben" in den 14 Jahren des syrischen Bürgerkriegs. Syriens Machthaber Baschar al-Assad sehe anfälliger aus als je zuvor. "Ein absoluter Kollaps", schrieb Lister.
Aufgrund der Lage telefonierte der russische Außenminister Sergej Lawrow heute mit seinen Kollegen im Iran und in der Türkei. In den Gesprächen habe Lawrow seine Besorgnis über die "gefährliche Eskalation" der Kämpfe in Syrien zum Ausdruck gebracht, teilte das Außenministerium in Moskau mit. Mit dem türkischen Chef-Diplomaten Hakan Fidan war Lawrow sich den Angaben zufolge einig über die Notwendigkeit, "gemeinsame Maßnahmen zur Stabilisierung der Lage zu koordinieren". In dem Telefonat mit dem iranischen Außenminister Abbas Araghtschi hätten beide Seiten ihre "starke Unterstützung" für Syriens Souveränität ausgedrückt und sich ebenfalls für "gemeinsame Bemühungen zur Stabilisierung der Lage" ausgesprochen.
Neben Russland ist der Iran wichtigster Verbündeter des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad. Über die Jahre hat Teheran seinen militärischen Einfluss ausgebaut und eine Landachse über den Irak und Syrien bis in den Libanon errichtet. Daher spielt Syrien in der iranischen Nahostpolitik auch eine enorm wichtige und strategische Rolle.
Quelle: ntv.de, jpe/dpa