
Die FDP verlangt von den Grünen-Ministern Lemke und Habeck Aufklärung.
(Foto: IMAGO/Chris Emil Janßen)
Erst vor zwei Wochen spricht Kanzler Scholz im Streit um die deutschen Atomkraftwerke ein Machtwort. Doch jetzt gibt es neuen Ärger in der Ampel. Die FDP greift Berichte über angebliche Voreingenommenheit beim AKW-Prüfbericht grün geführter Ministerien auf und verlangt Aufklärung.
Dass die Ampelkoalition nach dem Machtwort von Kanzler Olaf Scholz nicht mehr über Atomkraft streiten würde, war nicht unbedingt zu erwarten - dass die Debatte aber schon zwei Wochen später wieder hochkocht, kommt doch überraschend. Gerade feuert die FDP wieder aus fast allen Rohren auf die Grünen. Die Partei ließ Wirtschaftsminister Robert Habeck sogar einen Fragenkatalog zukommen, wie die "Bild"-Zeitung berichtet.
"Ich finde es sehr irritierend, dass sich die beiden grün geführten Ministerien in der Frage der Laufzeitverlängerung offenbar nicht an Fakten und Einschätzungen von unabhängigen Experten orientiert haben, sondern sich vorab auf eine Absage der Laufzeitverlängerung festgelegt haben", teilte FDP-Generalsekretär Dijan Bjir-Sarai auf Anfrage von ntv.de mit. Es sei "sehr erstaunlich, dass die zuständigen Ministerien meinen, diese Entscheidungen rein auf Basis grüner Glaubenssätze treffen zu können".
Was ist da los? Auslöser für die Aufregung sind Berichte vom Wochenende, wonach die von Grünen geführten Ministerien für Wirtschaft und Umwelt entgegen der eigenen Versprechen nicht wirklich ergebnisoffen geprüft hätten, ob die deutschen Atomkraftwerke noch übers Jahresende hinaus weiterlaufen können oder sollen. Die "Welt am Sonntag" und das Magazin "Cicero" berufen sich dabei auf 166 interne Dokumente. Die legen demnach nahe, dass Argumente für einen Weiterbetrieb ignoriert worden sein könnten.
Kein Nachweis für Ergebnisvorgabe
Via "Bild" verbreiteten weitere FDP-Spitzenpolitiker wütende Äußerungen. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki sagte demnach, er erwarte "für die weiteren Diskussionen über die Energieversorgung über den 15. April 2023 hinaus, dass er (Wirtschaftsminister Robert Habeck, Red.) das Wohl des Landes über das Wohlbefinden seiner eigenen Parteifreunde stellt". Fraktionschef Dürr wird mit der Forderung nach einer "soliden Faktengrundlage" zitiert, derer es für die "Entscheidung zum Fracking" und der Frage "wie wir mit dem nächsten Winter umgehen" bedürfe.
Der fragliche Bericht liefert allerdings keinen Nachweis dafür, dass Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke das Ergebnis der Prüfung vorgaben. Allerdings gab es demnach defintiv Stimmen in den Ministerien, die eine Laufzeitverlängerung nicht so abwegig fanden, wie es am Ende klang, als Habeck und Lemke den Bericht am 8. März vorstellten. Eine Einschätzung der Bundesnetzagentur habe erst danach vorgelegen und ein Gespräch mit den AKW-Betreibern habe einen vorgefertigten Text nicht mehr beeinflusst. Längere Laufzeiten seien weder sinnvoll noch vertretbar, sagte Lemke damals, zwei Wochen nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine. Sie brächten unterm Strich nicht mehr Strom. Im "ntv Frühstart" konstatierte Habeck, längere Laufzeiten seien damit vom Tisch. Kern der Argumentation war, dass Atomstrom nicht dabei helfe, Gas einzusparen.
Kanzler Scholz äußerte sich an diesem Montag in der Bundespressekonferenz und sagte, Habeck habe "eine ergebnisoffene Prüfung vorgenommen" und darüber immer wieder informiert. Die Sprecherin des Wirtschaftsministeriums, Beate Baron, wies den Vorwurf ebenfalls zurück. Das Ministerium habe die damals bekannten Fakten abgewogen.
Ministerium: Einschätzung änderte sich mit der Lage
Auf Nachfrage von ntv.de verweist Baron darauf, dass sich die Lage auf den Energiemärkten in den vergangenen Monaten immer wieder geändert habe - so stellte Russland seine Gaslieferungen vollständig ein und in Frankreich gingen mehr und mehr Atomkraftwerke vom Netz.
Beides waren später Argumente für einen Weiterbetrieb der deutschen AKW und im Prüfbericht von Anfang März noch kein Thema. Schließlich sei, so Baron, Anfang September nach dem zweiten Stresstest empfohlen worden, die beiden süddeutschen Atomkraftwerke "verfügbar zu halten", was auch als Reservebetrieb bezeichnet wurde. Ihr Tenor: Mit der sich ändernden Lage passten die Ministerien auch ihre Lageeinschätzung an. Dabei hätten auch die AKW-Betreiber ihre Angaben über die im Streckbetrieb produzierbare Strommenge geändert.
Die FDP forderte unterdessen immer vehementer einen Weiterbetrieb der drei deutschen AKW. Reserve reichte ihr nicht. Parteichef und Finanzminister Christian Lindner setzte sich nicht nur für einen Streckbetrieb ins nächste Jahr ein, sondern auch für die Anschaffung neuer Brennstäbe, damit die Kraftwerke auch im kommenden Winter noch Strom produzieren können. Auch die Reaktivierung bereits stillgelegter AKW wurde diskutiert.
Das war für die Grünen wiederum ausgeschlossen. Die Fronten verhärteten sich, Habeck und Lindner wirkten unversöhnlich - bis zum Machtwort des Kanzlers. Als Scholz entschieden hatte, dass alle drei AKW bis zum 15. April am Netz bleiben sollen, kehrte Ruhe ein. Die Grünen frohlockten offiziell, dass der Atomausstieg nun definitiv am 15. April kommen werde, die FDP feierte sich für den Erfolg, überhaupt eine Verlängerung herausgeboxt zu haben.
Es gibt ja noch Fracking
Das war vor zwei Wochen. Dass die FDP jetzt schon wieder die Grünen attackiert, ist zwar nicht das Ende des Atomkompromisses. Aber es zeigt, dass sie jede Gelegenheit nutzt, eine Breitseite auf den Koalitionspartner zu feuern. Der seinerseits die FDP vor zwei Wochen hart attackiert hatte: So sagte der Grünen-Abgeordnete Anton Hofreiter im "ntv Frühstart", die Liberalen seien "ideologisch verbohrt" und deshalb habe man die Laufzeitverlängerung bis zum April mittragen müssen. Habeck säte Zweifel an der Verlässlichkeit der FDP - er sagte, er gehe davon aus, dass die Partei vertragstreu sei und "nicht die Autorität des Bundeskanzlers beschädigen" werde.
Noch fordert die FDP - anders als die Union - nicht den Weiterbetrieb der AKW über den April des kommenden Jahres hinaus. So lange der Frieden hält, gibt es ja auch noch ein anderes Thema, über das FDP und Grüne sich streiten können: Fracking. Am Wochenende verlangte Lindner, mit der umstrittenen Methode in Deutschland Erdgas zu fördern. SPD und Grüne wiesen das unisono zurück. Djir-Sarai sagte ntv.de nun, es sei "kein Verlass mehr darauf, dass Prüfungen seitens der entsprechenden Ministerien ergebnisoffen und faktenbasiert durchgeführt werden." Das gelte auch in der Frage der Förderung von heimischen Schiefergasvorkommen.
(Dieser Artikel wurde am Dienstag, 01. November 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de