Politik

Krieg im Gazastreifen "Frieden ist ohne die Hamas nicht möglich"

Explosion in Gaza-Stadt. Flucht aus dem Gazastreifen ist den Menschen dort nicht möglich.

Explosion in Gaza-Stadt. Flucht aus dem Gazastreifen ist den Menschen dort nicht möglich.

(Foto: AP)

Beide Konfliktparteien im Gaza-Krieg verhalten sich zynisch, sagt Nahost-Experte Knut Dethlefsen, beide nehmen die humanitäre Katastrophe im Gazastreifen in Kauf. Vor allem Israel habe jedoch die Verantwortung, diese Katastrophe zu beenden.

n-tv.de: Premierminister Benjamin Netanjahu hat gesagt, Israel werde die "Operation Fels in der Brandung" erst beenden, wenn das Tunnelsystem zerstört und der Gazastreifen entmilitarisiert ist. Ist das ein realistisches Ziel?

Knut Dethlefsen war mehrere Jahre lang Büroleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Ost-Jerusalem.

Knut Dethlefsen war mehrere Jahre lang Büroleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Ost-Jerusalem.

(Foto: Anja Weber)

Knut Dethlefsen: Grundsätzlich ist der Konflikt im und um den Gazastreifen militärisch nicht zu lösen. Es mag sein, dass der Hamas irgendwann die Raketen ausgehen. Aber militärisch besiegen lässt sie sich nicht, da es sich bei ihr nicht nur um eine bewaffnete, sondern auch um eine religiös geprägte, soziale und politische Bewegung handelt. Eine solche Bewegung kann man mit Bomben nicht aus dem Weg räumen.

Was ist dann das eigentliche Ziel dieser israelischen Offensive?

Das Ziel ist sicherlich eine Schwächung der Hamas. Unter Umständen lässt sich das auch erreichen - obwohl man gleichzeitig sagen muss, dass Israel die Hamas durch die Militäraktion indirekt stärkt.

Inwiefern?

Politisch hatte die Hamas zuletzt an Bedeutung verloren. In der palästinensischen Einheitsregierung war sie marginalisiert. Bereits zuvor hatte die Unterstützung aus Ländern wie Syrien und dem Iran deutlich nachgelassen. Der aktuelle Konflikt wertet die Hamas in der eigenen Gesellschaft und in der arabischen Welt wieder auf.

Ist das von der israelischen Regierung möglicherweise gewollt? Mit der Hamas als Gegner kann man sehr viel leichter einen Friedensschluss vermeiden.

Das ist möglich, ist aber von außen nicht zu beurteilen. Sicherlich ist es so, dass die israelische Regierung Kontakte zur Einheitsregierung aus Fatah und Hamas abgelehnt hat, obwohl die USA und die Europäische Union auf gemeinsame Gespräche gedrängt haben. Ich denke, dass eine solche Kontaktaufnahme auch sinnvoll gewesen wäre. Eine Lösung des Nahost-Konflikts wird es nicht geben, solange die Palästinenser ihre politische Spaltung zwischen Westjordanland und Gaza nicht überwinden. Frieden ist ohne die Hamas nicht möglich.

Aber kann die israelische Regierung mit einer Organisation sprechen, die die Vernichtung Israels anstrebt?

Natürlich ist es ein Problem, dass sich diese Aussage noch in der Charta der Hamas befindet. Aber es wäre wünschenswert, mit der Hamas in einen Dialog zu treten, damit dieser Passus aus der Charta verschwindet und die Hamas von einem militärischen zu einem politischen Akteur wird - ein Schritt, wie ihn in den 1970er Jahren auch die Fatah vollzogen hat. Die Hamas ist eine nationale, islamisch ausgerichtete, sehr radikale Widerstandsbewegung. Aber sie ist nicht Al-Kaida und nicht Isis, die syrisch-irakische Terrorgruppe "Islamischer Staat". Man sollte sich nicht wünschen, dass die Hamas völlig verschwindet, denn das würde noch radikaleren militärischen Bewegungen Raum geben.

Gibt es denn so etwas wie Moderate in der Hamas?

Aus meiner Erfahrung gibt es die.

Und findet innerhalb der Hamas eine Debatte darüber statt, ob es strategisch klug ist, Israel mit Raketen zu beschießen?

Da es keinen Dialog mit der Hamas gibt, wissen wir nicht genau, wie die politischen Debatten innerhalb der Hamas verlaufen. Aber vermutlich wird es eine geben.

Für eine friedliche Lösung des Nahost-Konflikts wird Israel Zugeständnisse machen müssen. Glauben Sie, dass die israelische Regierung dazu bereit ist?

Nein. Zumindest nicht in ihrer derzeitigen Besetzung. Eine umfassende Lösung des Nahost-Konflikts ist zum jetzigen Zeitpunkt ohnehin nicht realistisch. Derzeit sieht es aber nicht einmal danach aus, als sei die israelische Regierung auch nur zu einem gewissen Entgegenkommen in der Lage. Aus meiner Sicht war es ein Fehler, die Hamas von vornherein für die Entführung und Ermordung der drei jungen Israelis verantwortlich zu machen und damit den Konflikt zu befeuern. Bis heute ist nicht nachgewiesen, dass die Hamas hinter dieser Tat steckt. Aber letztlich haben wir es mit zwei zynischen Konfliktparteien zu tun. Deshalb ist es auch so schwer, den Konflikt zu entschärfen und zumindest einen Waffenstillstand herzustellen.

Aber ist der israelischen Regierung zuzumuten, nicht militärisch auf die Raketenangriffe aus dem Gazastreifen zu reagieren?

Nein, das muss man ihr nicht zumuten. Man muss sich allerdings klarmachen, dass ein Großteil der Raketen aus dem Gazastreifen primitive Geschosse sind, die wenig Wirkung zeigen. Es wäre sicherlich möglich, anders als mit voller Gewalt auf den Raketenbeschuss zu reagieren.

Muss nicht eher die Hamas dazu gebracht werden, den Beschuss Israels einzustellen?

Die Hamas hat sehr viel zur Isolation des Gazastreifens beigetragen und auch zur Eskalation der Gewalt. Natürlich muss Druck auf sie ausgeübt werden, den Raketenbeschuss einzustellen. Gleichzeitig muss Israel dazu gebracht werden, den Beschuss des Gazastreifens einzustellen. Denn die Folgen der israelischen Angriffe sind ungleich größer: Wir haben über eintausend Tote auf der palästinensischen Seite, ein Großteil davon Zivilisten. Auf israelischer Seite gibt es Tote vor allem in den Reihen der Soldaten, die im Gazastreifen eingesetzt werden.

Man kann den Israelis doch nicht vorwerfen, dass sie nicht so viele zivile Tote haben.

Nein, natürlich nicht. Dass es bisher so wenig zivile Opfer auf israelischer Seite gab, ist vorallem dem Raketenabwehrsystem "Iron Dome" zu verdanken. Im Gazastreifen hingegen, nicht mehr als 50 Kilometer entfernt vom pulsierenden Leben in Tel Aviv, herrscht eine humanitäre Katastrophe. Es gibt keine Wasserversorgung, die Versorgung mit Medikamenten und Lebensmitteln ist schwierig, durch die Abriegelung ist nicht einmal Flucht aus dem Gazastreifen möglich. Für diese humanitäre Katastrophe tragen beide Konfliktparteien die Verantwortung, und beide Seiten, insbesondere aber die stärkere, haben die Verantwortung, diese Katastrophe so rasch wie möglich zu beenden.

Mit Knut Dethlefsen sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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