Politik

"Hart aber fair": Corona-Krise Gefragt ist der Mensch, nicht der Experte

Der Einkauf mit Mund-Nasen-Schutz ist in Deutschland fast flächendeckend verpflichtend.

Der Einkauf mit Mund-Nasen-Schutz ist in Deutschland fast flächendeckend verpflichtend.

(Foto: picture alliance/dpa)

Blanke Zahlen, die jüngsten Fakten und politische Maßnahmen in der Corona-Krise - um all das geht es diesmal nicht bei "Hart aber fair". Zumindest nicht direkt. Aber wie sehen Alltag und Leben in Deutschland aktuell aus? Wie groß ist die Angst?

Wie geht es eigentlich der Kassiererin, dem Polizisten, der Ärztin oder dem Musiker in Zeiten des Lockdown? Sollen sie doch selbst berichten. Was macht Corona mit dem Beruf, mit dem Privatleben, fragt Plasberg an diesem Montagabend bei "Hart aber fair".

Auf scheinbar ganz persönlicher Ebene werden Meinungen ausgetauscht und Alltagssituationen geschildert zwischen Sänger und Gitarrist der Kölner Band "BAP" Wolfgang Niedecken, Soziologe Martin Schröder, Virologin Dr. Susanne Herold, Jolanta Schlippes, Kassiererin in einem Supermarkt, und dem Polizeioberkommissar Martin Feldmann. Außerdem im Einzelgespräch mit Moderator Frank Plasberg ist der Mitbetreiber von zwei Kneipen in Köln, Helmut Köhnlein zu Gast.

Die Sicherheit geht vor. Deshalb gilt für Supermärkte in Nordrhein-Westfalen ab sofort eine Maskenpflicht. Die Kassiererin aus NRW weiß nur zu gut, dass sich der Sicherheitsabstand in engen Supermarktgängen schwer einhalten lässt. Dennoch fühlt sie sich mit der Maskenpflicht unwohl. Wie aus einem Science-Fiction-Roman scheinen die Szenen, die sich an ihrem Arbeitsplatz täglich abspielen, beschreibt sie. Das Kommunizieren mit Maske ist anstrengend und schwierig und so sind die Kunden nur schlecht zu verstehen. Ihre Stammkunden erkennt Jolanta Schlippes auch nur schwerlich. Hier lenkt die Virologin doch kurz aus Expertensicht ein, dass so eine Maske sicherlich zum einen lediglich eine symbolische Handlung ist, aber auch einen wichtigen Schutz bietet. Man fasst sich nicht räumlich ins Gesicht und ist es nur ein handgefertigtes Behelfsmittel, so ist es doch immerhin besser als gar kein Schutz.

"Alle scheinen es kapiert zu haben"

Der Musiker, BAP-Ikone Wolfgang Niedecken, freut sich über die allgemeine Maskerade: "Alle scheinen es kapiert zu haben." Dennoch ist er besorgt, dass viele Menschen durch die jüngsten Lockerungen nachlässiger werden könnten. Polizeioberkommissar Feldmann bestätigt, dass trotz der Entschärfung einiger Bestimmungen für sein Einsatzgebiet in Berlin die Verstöße gegen die Ausgangsbestimmungen nicht sinken. Die Menschen scheinen teils sehr uneinsichtig und diskutieren sogar noch über Abmahnungen. Viele scheinen sich nichts vorschreiben lassen zu wollen: "Ich habe das Gefühl, es herrscht eine innere Unruhe, die wir Polizisten direkt zu spüren bekommen."

Der Soziologe und Zufriedenheitsforscher Martin Schröder beschreibt einen Schockzustand. Dieser sei sehr plötzlich gekommen, mit den Bildern, die man aus anderen Ländern gesehen hat und den drastischen Maßnahmen, welche in Deutschland kurzerhand seit Mitte März zur totalen Veränderung geführt haben. Er sagt, der Kontrollverlust über das eigene Leben sei noch schlimmer als die Zukunftsangst vor einer drohenden Arbeitslosigkeit. Dennoch hat er selber keine Angst - auch nicht vor einer möglichen Erkrankung mit dem Virus, schließlich gebe es immer ein Risiko, egal was man tut.

Kommissar Feldmann hingegen ist besorgt. In seinem Alltag ist kaum Sicherheit gegeben. Nur schwerlich können die Einsatzkräfte der Polizei das Kontaktverbot im Berufsalltag einhalten. Sei es im Streifenwagen oder bei der Festnahme: Dass die mit einem Abstand von 1,5 Metern nicht möglich ist, muss niemandem erklärt werden. Weil er die eigene Ansteckungsgefahr als hoch einstuft, hat er seine vierjährige Tochter seit vielen Wochen nur über soziale Medien gesehen. Er möchte den Virus einfach nicht nach Hause bringen: "Es fehlt, den kleinen Spatz in den Arm zu nehmen."

Auch der Kassiererin geht es ähnlich. Ihr erwachsener Sohn wohnt zwar in der Nähe, dennoch kommen sie sich nicht nahe. So wie ihre Kunden angehalten sind den Mindestabstand zu wahren, hält sie auch den Mindestabstand zu ihrer eigenen Familie ein. Nicht mal die Hand wird gereicht. Es schmerzt, dem Sohn nicht nahe sein zu dürfen.

Die gesellschaftliche Grundstimmung

Dass der Alltag vieler Mediziner zurzeit nicht viel Freizeit bietet, lässt der allgemeine Gesellschaftszustand bereits vermuten. Zur Veranschaulichung hat die Virologin ihren Berufsalltag für die Sendung festgehalten. Ihre Arbeitswoche geht von Montag bis Sonntag - von früh bis spät. Eine unvorstellbare Belastung aus Sicht derer, die sich zurzeit in der Kurz- oder Nullarbeit befinden.

BAP-Musiker Niedecken spricht im Gegensatz zu allen anderen von einer Idylle. Tochter, Freund und Enkel sind kurzerhand bei ihm eingezogen. Er genießt die viele Zeit mit der Familie und die Kinder arbeiten im Homeoffice. Selbstverständlich ist ihm bewusst, dass nicht alle Musiker das Privileg haben aus Rücklagen schöpfen zu können. "Im Allgemeinen leben Musiker von der Hand in den Mund", sagt der Kölner.

Die Veranstaltungsbranche steht still und die Tonträgerindustrie bietet den meisten Künstlern keine großen Einnahmen. In der Regel verdienen die Musiker ihr täglich Brot mit Bühnenauftritten. Niedecken ist besorgt um die vielen, die nun ohne Rücklagen auskommen müssen. Zugleich würdigt er die wichtigen Rädchen im gesellschaftlichen Betrieb. Damit spielt er vor allem auf die systemrelevanten Berufe an. Er hat einen Song geschrieben, der Mut machen soll und lobt darin die Kassiererin, den Apotheker, die Pflegedienste und all die vielen anderen sogenannten Corona-Engel. Er hoffe, es bleibe nicht nur bei Dankbarkeit und Demut, sondern wünscht sich bessere Bezahlungen für jene Berufe. Dabei betont die Kassiererin Jolanta, sie sei sehr zufrieden mit ihrer Arbeit und ihrem Gehalt. Auch an Wertschätzung fehle es ihr nicht.

Man wird sich daran gewöhnen

Die Runde scheint finanziell abgesichert, sei es durch Rücklagen, das Beamtentum oder einen fairen Arbeitgeber. Doch wie schnell man vor dem finanziellen 'Schwarzen Loch' stehen kann, weiß der Kneipenbesitzer und Familienvater Helmut Köhnlein. Als studierter Volkswirt mit zwei etablierten Bars in Köln stellt er nun Antrag auf Grundsicherung. Er fühlt sich von der Politik im Stich gelassen und weiß nicht, ob seine Gewerbe die lange Durststrecke überstehen werden.

Zum ersten Mal kommt in der laufenden Sendung so etwas wie wirklicher Unmut auf. Er berichtet von Spenden, die seine Gäste gesammelt haben. Die haben eine Weile geholfen und waren ein wichtiger Hoffnungsträger in schweren Zeiten. Doch nun hält der Lockdown bereits zu lange an und die Hoffnung versiegt. Die Nerven liegen blank und die Sorgen stehen dem Mann ins Gesicht geschrieben.

Quelle: ntv.de

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