Günther Jauch und der Terror in Paris Der Krieg, der gar keiner ist
16.11.2015, 06:48 Uhr
Jauch brauchte lange, bis er Verteidigungsministerin von der Leyen, die entscheidende Frage stellte.
(Foto: imago/Stefan Zeitz)
Günther Jauch mäandert anfangs zwischen Stern TV und Politik-Talk. Die Gäste retten seine Sendung. Und zwei deutsche Überlebende des Pariser Blutbads haben eine wichtige Botschaft für ihre Landsleute.
Normalerweise ist es Pech für einen Moderator einer Polit-Talkshow, wenn sein Thema kurz zuvor von Kollegen beackert worden ist. Doch im Fall von Günther Jauch war es eher umgekehrt. Er konnte sich am Sonntagabend auf eine stärker gesicherte Nachrichtenlage stützen als Frank Plasberg und Maybrit lllner, die am Abend zuvor mit Sondersendungen zu den Pariser Wahnsinnstaten zur Stelle waren. Obendrein lieferte ZDF-Moderatorin Illner Jauch eine Steilvorlage.
Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, hatte bei Illner das erste Statement von Kanzlerin Angela Merkel zu den Attentaten als "eine Kriegserklärung an den IS" interpretiert, als eine "weitreichende Festlegung" der Regierungschefin, Seite an Seite mit Frankreich zu kämpfen, falls das Nachbarland dies wünsche. Paris spricht ja ausdrücklich von Krieg gegen den Terror, gut möglich also, dass es die Nato ersucht, den Bündnisfall zu erklären. Dabei hatte Merkel lediglich "jedwede Unterstützung angeboten" und betont: "Wir werden mit Ihnen gemeinsam den Kampf gegen die führen, die Ihnen so etwas Unfassbares angetan haben."
Nun hatte Jauch das Glück, jene Politikerin unter den fünf Gästen zu haben, die in Deutschland formal für die K-Frage zuständig ist. Er hätte also Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen fragen können: Ziehen wir gemeinsam mit den Franzosen in den Krieg? Doch der Moderator wollte von der Christdemokratin als Erstes wissen, ob zweifelsfrei feststehe, ob der sogenannte Islamische Staat den Massenmord in Paris begangen habe. Klar, kann man das fragen. Aber es ist garantiert nicht dieser Aspekt der Tragödie, der die Fernsehnation gerade am meisten bewegt, sondern höchstwahrscheinlich die Frage, ob Deutschland vor einem Krieg steht.
"Ich sterbe jetzt, hoffentlich tut's nicht weh"
Bevor sich von der Leyen tatsächlich dieser folgenschweren Frage widmen sollte, vergingen zwei Drittel der einstündigen Sendezeit. Bis dahin gab Jauch seinen Kritikern neue Nahrung, alles andere als ein Meister des politischen Talks zu sein.

Julia und Thomas Schmitz erlebten das Grauen in Paris mit. Sie wollen trotzdem dem Terror nicht nachgeben und "weiter Spaß haben".
(Foto: imago/Stefan Zeitz)
Gleich zum Auftakt der Schau machte er eine eher schwache Figur. Dabei kam der Beginn ihm entgegen. Er interviewte das Kölner Ehepaar Julia und Thomas Schmitz, das den terroristischen Überfall auf das Rockkonzert im Club Bataclan mit Glück und Mut überstand und den Saal des Schreckens nach drei Stunden unerträglicher Angst körperlich unverletzt verlassen konnte. Normalerweise sind solche emotionalen Gespräche vielmehr das Ding des Günther Jauch, wie etwa der Dialog mit Guido Westerwelle vor einer Woche zeigte.
Wann immer er sich in seine Stern-TV-Zeit zurückbeamen kann, ist er gut dabei. Normalerweise. Aber allein sein Plauderton ließ aufhorchen: "Diese beiden haben diesen Anschlag überlebt. Außerdem sind jetzt auch die Bundesverteidigungsministerin und der Präsident des Europäischen Parlaments unsere Gäste." Das klingt schräg. Die Situation retteten die Eheleute durch ihre dramatischen und bewegenden Aussagen, die - warum eigentlich, wenn sie live im Gasometer waren? - teils als Einspieler kamen. Herr Schmitz berichtete, wie er den Tod vor Augen hatte: "Ich sterbe jetzt, hoffentlich tut's nicht weh und es geht schnell." Und seine Frau: "Man schließt tatsächlich ab."
Thomas Schmitz erklärte, dass er nur das Wort "exploser" (explodieren) mitbekommen habe: "Das war das Einzige, was wir verstehen konnten, weil alles auf Französisch war." Jauch begleitet stets der Vorwurf, er hake nur die Fragen auf seinen Zetteln ab, höre aber nicht richtig zu. Dieser Eindruck entsteht auch an diesem Sonntagabend immer wieder. Denn Jauch fragte das Ehepaar eine Minute später: "Sie mussten ja dann auch an den getöteten Geiseln vorbei. Was hat man Ihnen gesagt, wie Sie damit umgehen sollen?" Frau Schmitz antwortete: "In dem Moment haben die (Polizisten) natürlich Französisch gesprochen. Die wussten ja nicht, dass wir kein Französisch sprechen." Jauch hätte es vor dieser Frage wissen können.
Betreibt Söder das "Geschäft des IS"?
Dafür stellte der Gastgeber eine - mehr oder weniger als Frage formulierte - steile These auf: Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, warnte wie schon Innenminister Thomas de Maiziere davor, das Blutbad für Stimmungsmache gegen Flüchtlinge zu nutzen und „aus Opfern Täter zu machen“. An die Adresse der CSU sagte der SPD-Mann: "Profit zu schlagen aus einer angespannten Situation, das ist politisch nicht fair." Jauch: "Die Terroristen wollen ja bei uns destabilisieren. Da muss man sagen, dass - so gesehen - der Herr Söder das Geschäft des IS betreibt, in dem er die Leute damit wuschig macht?" Die Modulation der Stimme deutete darauf hin, dass dies als Frage gemeint war.
Die Antwort wollte Jauch von Ulrich Wickert, dem langjährigen ARD-Korrespondenten in Paris, hören. Aus dem Gast schoss es heraus: "Nee, ich glaube, das ist jetzt ein bisschen übertrieben." Er erinnerte daran, dass bisher kein einziger Flüchtling je einen Anschlag verübt habe und nach wie vor unklar sei, ob tatsächlich einer der Mörder von Paris über Griechenland eingereist sei.
Endlich, nach 39 Minuten kam Jauch zur K-Frage. Von da an nahm die Sendung deutlich Fahrt auf. Von der Leyen mied das K-Wort. Wickert stellte fest: "Die (Franzosen) befinden sich im Krieg.“ Daraufhin formulierte die Ministerin: "Aus französischer Sicht ist der Begriff vollständig nachvollziehbar. Das trifft die Nation so tief ins Herz, wie wir es nur erahnen können." Doch "die ganz formale Seite" müsse davon abgekoppelt werden. Heißt: Man solle sich nicht von Emotionen mitreißen lassen. Eine sehr praktische Denkweise.
Hier nun hakte Jauch erfreulicherweise nach, nur leider nicht bei von der Leyen. Er fragte Wickert, ob derlei Bekenntnisse ausreichten, wenn das bedeute, dass die Franzosen die Drecksarbeit machten? Das Nachbarland wisse, dass "wir uns in einer anderen geschichtlichen Situation befinden", betonte Wickert. Als Kenner der arabischen Welt kam Jaafar Abdul Karim zu Wort, ein Reporter der „Deutsche Welle“: "Manche wünschen sich nur, dass sie in Frieden leben", gab er die Stimmung unter Muslimen wieder, die mit dem IS nichts anfangen können. Er verwies auf die widersprüchliche Haltung des Westens zu bestimmten Ländern in dem Krisengebiet, etwa wenn Deutschland Saudi-Arabien dessen Panzerwünsche erfülle.
Deutsche, fahrt nach Paris!
Von der Leyen verfolgte auch hier einen pragmatischen Ansatz: „Wenn wir immer nur darüber reden, mit wem wir nicht sprechen wollen, werden wir in der Region keinen Frieden bekommen." Das kann man als Einladung an Diktatoren verstehen. Wundern kann man sich über diese Haltung inzwischen nicht mehr. „Das ist kein Kampf des Westens allein, sondern vor allem der arabisch-muslimischen Welt", meint die CDU-Frau mit der pastoralen Stimme. Der IS müsse militärisch geschlagen werden. Doch entscheidend sei der "politische Versöhnungsprozess". Die Ministerin: "Da brauchen wir die Hilfe der syrisch-muslimischen Welt. Ich glaube, wenn wir zusammenstehen, dann können wir den IS auch besiegen."
Jauch wandte sich an Georg Mascolo: "Sind Sie auch so optimistisch?" Der frühere „Spiegel“-Chefredakteur verneinte. Die Region erlebe gerade einen "völligen Zerfall der zivilisatorischen Ordnung". Mascolo beschrieb das Dilemma so: "Jetzt wissen wir, dass 'ne militärische Intervention oft die Dinge nicht besser macht, dass nicht zu intervenieren die Situation sie aber auch nicht besser macht." Schulz gab ebenfalls den Realisten: "Einen totalen Schutz (vor Terroranschlägen) gibt es nicht."
Wie man Terror auf ganz persönlicher Art begegnet, zeigte das Ehepaar vom Anfang der Sendung. Jauch wollte wissen, ob ihnen die Lust aufs Reisen vergangen sei. Beide erklärten ohne jedes Zögern: Nein! Frau Schmitz sagte: „Da werden wir natürlich nicht einknicken.“ Sie gab die Losung für die Zukunft aus: „Wir werden weiter unser Leben leben und Spaß haben.“ Tolle Einstellung: Deutsche, nehmt euch ein Beispiel an Julia und Thomas Schmitz aus Köln - und fahrt ins geschundene Paris!
Quelle: ntv.de