Berlin Tag & Macht Habeck klatscht zum Abschied - aber keinen Beifall


Er wollte cool, sie wollte Kuh sein: Schleswig-Holsteins damaliger Landwirtschaftsminister Habeck im Jahr 2013.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die Woche der Abschiedslyrik: Habeck geht, Merz bleibt, die Hauptstadtpresse trauert. Melancholische Habeck-Fans verlesen alte Liebesbriefe, während berufsempörte Grünen-Kritiker das Loblied auf ein besseres Deutschland ohne den James Dean der Klima- und Energiepolitik singen.
Man soll gehen, wenn es am schönsten ist, heißt es. Als Deutschland 2014 die Fußball-WM gewann, traten einige Starspieler direkt aus dem frisch gekürten Weltmeisterkader zurück. Viel Grund zur Hoffnung macht diese Traditionsvolksweisheit allerdings nicht. Die Umkehrtheorie lautet in diesem Fall nämlich: Man soll bleiben, wenn es am schlimmsten ist. Adaptiert auf die aktuellen Zufriedenheitswerte des Bundeskanzlers etwa hieße das: für immer Friedrich Merz. Und das kann wirklich niemand wollen. Nicht mal Jens Spahn.
Was automatisch die Frage aufwirft: Gäbe es überhaupt jemanden Besseren, um den Job von Merz zu machen? Die x-Millionen deutschen Bundestrainer, Star-Virologen, Putin-Experten und Nahostkonflikt-Koryphäen, die landläufig absolut alles besser könnten, mal nicht mitgezählt. Abseits der Regierungskoalition zeigt man sich zu der Frage parteiübergreifend einig: Ja, jeder andere wäre geeigneter. Diese Bewertung gehört allerdings zum gängigen politischen Matchplan. Selbst in den christdemokratischen Hochglanzjahren von 1982 bis 1998 gab es nur sehr wenige Abgeordnete der Opposition, die in Helmut-Kohl-Bettwäsche geschlafen hätten.
Habeck sagt Tschüss, Deutschland sagt: Warum nicht Andi Scheuer?
Seit Merz seinen politischen Kurs jedoch offenbar tagesaktuell an den jeweils aktuellen Meinungshypes ausrichtet, die in Social-Media-Kommentarspalten, den Think Tanks der intellektuellen Askese, entstanden, mehren sich aber tatsächlich auch Stimmen aus den eigenen Reihen, die beim Thema Kanzlerperformance signifikanten Spielraum nach oben identifizieren. Nun kann man am Bundeskanzler vieles kritisieren. Die Behauptung, jeder wäre besser, fällt aber selbstredend unter Anti-Merz-Folklore. Oder möchte sich ernsthaft jemand vorstellen, statt Merz würden beispielsweise Robert Geiss, Mario Basler, Harald Glööckler oder Thorsten Legat unserem Land vorstehen? Oder noch schlimmer: Andreas Scheuer?
Zwischen jeder und keiner allerdings liegt ein breites Kandidatenfeld. Viele proklamieren beispielsweise, Robert Habeck wäre ein deutlich besserer Kanzler. Er selbst vermutlich eingeschlossen. Diese Hoffnung jedoch ist erloschen. Habeck ist aus dem Spitzenpolitikbetrieb ausgestiegen. Die Reaktionen auf seinen Rückzug dürften als repräsentative Bestandsaufnahme zum Zustand unserer Diskursgesellschaft Einzug in die Geschichtsbücher halten. Denn Robert Habeck ist der Antichrist der Hufeisentheorie. Bei ihm existiert zwischen linken und rechten Lagern nicht mal ein Hauch von Bewertungskonsens. Während man sich an den Enden des Hufeisens bei Programmpunkten wie Putin-Verharmlosung und Israel-Dämonisierung gerührt in die Arme fällt und selbstergriffen seiner gemeinschaftlichen Paradedisziplin, dem Simulations-Pazifismus, frönt, scheiden sich bei Habeck plötzlich die pseudomenschlichen Geister.
Liebeskummer in den Redaktionsstuben
Viele Journalistinnen und Journalisten etwa sehen in Habeck offenbar so was wie den Messias einer neuen, flächendeckend klimaneutralen und durchgegenderten Woke-Wahrhaftigkeit. So bekam ich in den letzten Jahren oft das Gefühl, jeder Mensch könne sich nur wünschen, mal jemanden zu treffen, von dem er so sehr geliebt wird, wie es die Hauptstadtpresse liebt, Robert Habeck zu glorifizieren. Im gegenüberliegenden publizistischen Spektrum, wo man Fridays for Future noch turbopatriotisch für eine größere Gefahr als die Renaissance des Rechtspopulismus halten darf, galt Habeck hingegen eher als inkompetenter Floskel-Messias mit Gottkomplex.
Das hat unterschiedliche Gründe. Habeck verstand es früh, sich auf idyllischen Koppeln verträumt romantisch an einem Baum zu drapieren und sich mit verwuschelten Haaren, umringt von Pferden, als neuer James Dean der Politik zu inszenieren. Heute wissen wir: Nur die besten treten jung zurück. Wobei "jung" betrachtungswinkelabhängig ist. Auch Robert Habeck ist inzwischen 55 Jahre alt. Wenn man dann noch einberechnet, dass sich selbst die erst 30-jährige Diana zur Löwen (zukünftige Finanzministerin im Kabinett Amthor) jüngst einer Egg-Freezing-Behandlung unterzog, sieht man schnell: Politik ist kein Jungbrunnen. Und, tja, das weiß auch Diana zur Löwen: Das Leben ist kein Kinderwunschkonzert. Was übrigens auch ein schöner Titel für ein Buch wäre, finde ich.
Friedrich Merz jetzt beliebtester Politiker bei Friseuren
Als Vermächtnis an Hater und Fanbasis hat Robert Habeck ein bemerkenswertes Interview in der "taz" hinterlassen. Schlagzeilenbewehrt sind dabei, wie wohl geplant, vor allem Habecks Ad-hominem-Angriffe auf nun ehemalige Kollegen. Über die aktuelle Bundestagspräsidentin etwa urteilt er: "Julia Klöckner hat die Gesellschaft gespalten. Ob mutwillig oder aus Dämlichkeit, weiß ich nicht. Sie hat immer nur polarisiert, polemisiert und gespalten."
Diese Anti-Laudatio allein hätte ausgereicht, um berechtigte Zweifel zu schüren, ob Robert Habeck wirklich enttäuschungs- und rachegelüstefrei sein Bundestagsmandat aufgibt. Julia Klöckner hat es ihm aber offenbar besonders angetan - also legt er nähkästchenverliebt nach: "Inzwischen sagen selbst Leute aus der Union, dass Merz sie nur zur Präsidentin gemacht hat, um sie von einem Ministerposten fernzuhalten, auf dem sie noch mehr Schaden anrichtet."
Nun ist anekdotisches Nachtreten kein sonderlich evidenzbewährter Weg in die Ruhmeshallen der Ex-Politiker. Friedrich Merz hätte bei der Auswahl seiner Minister aber tatsächlich ein glücklicheres Händchen haben können. Der Investigativ-Leuchtturm "Welt" enthüllte diese Woche, Merz habe seit seinem Amtsantritt mehr als 12.000 Euro Steuergelder für Friseure und Visagisten ausgegeben. Und da muss man eindeutig feststellen: Ein Mann, der es schafft, in nicht mal vier Monaten 12.000 Euro für die Frisur von Friedrich Merz zu kassieren, hätte unbedingt Finanzminister werden müssen. Jemand mit diesem finanziellen Geschick saniert unser Land im Handumdrehen.
Der letzte Ritt durchs politische Feuilleton
Kaum war Habecks Interview erschienen, hagelte es Beifall und Kritik. Ersteres nicht immer vereinssonnenbrillenfrei. Letzteres nicht immer konstruktiv. Bei Gesundheitsministerin Nina Warken schlug sogar umgehend der Sexismus-Detektor an: "Diese Attacke gegen Julia Klöckner hätte sich Robert Habeck bei einem Mann wohl nicht getraut." Nun ja. Man kann Habecks Attacken auf Julia Klöckner als vieles kritisieren. Als Anfall latenten Frauenhasses allerdings nicht. Immerhin hat Habeck im selben Interview Markus Söder im Prinzip unterstellt, mehr von Gammelfleisch als von Politik zu verstehen. Klöckner hingegen nannte er lediglich "dämlich" - und das auch nur alternativrhetorisch. Wobei: Robert Habeck selbst hat schon Internetnutzer für weniger angezeigt.
Schützenhilfe leistet dem Polit-Aussteiger übrigens ausgerechnet TV-Aussteiger Harald Schmidt, der Robert Habeck der Late Night Talker. Der Altinternationale der TV-Branche umschmeichelte die Bundestagsvizepräsidentin mit den Worten: "Julia Klöckner ist die wahrscheinlich modebewussteste Frau im Deutschen Bundestag". Was wiederum, anders als Habecks Interview, recht eindeutig in den Aktionsradius Sexismus fällt.
Um nicht selbst in den Dunstkreis frauenfeindlicher Selektivberichterstattung zu geraten, möchte ich an dieser Stelle Habecks Lobeshymne auf Markus Söder nachschieben: "Dieses fetischhafte Wurstgefresse von Markus Söder ist ja keine Politik." Ziemlich ruppige Worte für den sonst so kultivierten Kinderbuchautor, finde ich. Markus Söder schien es derweil wichtig zu sein, kein Bild eines presswurstfanatischen Kadaverteile-Connaisseurs abzugeben. Geistesgegenwärtig reagierte er also mit einer strategischen Meisterleistung: Er sicherte sich die Markenrechte an seinem eigenen Döner-Logo.
Da verwundert es nicht, dass Habeck während der Anfangsphase seiner Zeit als Wirtschaftsminister zwischen Mai und September 2022 der beliebteste Politiker des Landes war. Markus Söder hingegen ist lediglich der beliebteste Politiker, der mehr Zeit in Bierzelten als im Parlament verbringt. Wer in der kommenden Woche zurücktritt und ob es überhaupt jemand bemerkt, wenn es zum Beispiel Olaf Scholz sein sollte, das verrate ich nächsten Donnerstag!
Quelle: ntv.de