Finanzchaos versaut die Zukunft "Ausreichender Klimaschutz mit dieser Ampel nicht mehr möglich"
23.11.2023, 17:15 Uhr Artikel anhören
Der Klimakanzler und seine Kompagnons müssen grübeln, wo sie 60 Milliarden Euro auftreiben - mindestens.
(Foto: picture alliance/dpa)
Das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts stürzt die Bundesregierung ins Chaos. Der 60 Milliarden Euro schwere Klima- und Transformationsfonds ist verfassungswidrig, der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) vermutlich auch. Hinter den Finanzplänen für das aktuelle und auch das kommende Jahr stehen große Fragezeichen. Deutschland hat ein Haushaltsloch, das Klimaschutz und Energiewende torpediert. Für Niklas Höhne ist die Sache klar: Die Ampel sollte nach Corona-Pandemie und Energiekrise eine weitere Notlage ausrufen, um die Schuldenbremse umgehen zu können. Denn der Klimawandel sei nichts anderes als eine existenzielle Bedrohung, erklärt der Mitgründer des New Climate Institutes im "Klima-Labor". Höhne drängt zudem auf einen politischen Neustart: Im vergangenen Wahlkampf hätten sich die Parteien mit Klimaschutzversprechen überboten, aber jetzt werde nicht geliefert, sagt er enttäuscht: "Ich bin skeptisch, dass die Ampel Klimaschutz in dieser Konstellation noch hinbekommt."
ntv.de: Finden Sie das Urteil zum Klima- und Transformationsfonds (KTF) gerechtfertigt?
Niklas Höhne: Das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt, wie es geurteilt hat. Das möchte ich nicht in Frage stellen. Aus meiner Sicht hat es die Bundesregierung einfach versäumt, für Klimaschutz den Notfall auszurufen. Ich bin Klimawissenschaftler und sage: Die Klimakrise ist ein Notfall, der uns existenziell bedroht. Es wäre eine gute Idee, sie entsprechend zu deklarieren und ein Sondervermögen aufzunehmen oder die Schuldenbremse kurzfristig auszusetzen. Das wäre gut investiertes Geld für die Zukunft, denn das teuerste Szenario ist das ohne Klimaschutz. Dann wachsen uns die Schäden über den Kopf. Das können wir ganz sicher nicht bezahlen.
Aber der Klimawandel ist eine langfristige und dauerhafte Krise, ein Notstand zeitlich begrenzt.
Ich mache das schon 20 Jahre oder länger. Damals hätte ich gesagt: Ja, das ist eine lang anhaltende Transformation. Wir machen hier ein bisschen was, da ein bisschen was. Am Ende haben wir es geschafft. Stattdessen haben wir Zeit vertrödelt und sind jetzt so spät dran, dass wir in dieser Notlage stecken. Es stimmt, die wird nicht nach ein oder zwei Jahren vorbei sein, sondern wir müssen die nächsten zehn Jahre signifikant Geld in die Hand nehmen, um von Kohle, Öl und Gas wegzukommen. Das ist schwierig und stößt auf Widerstände, aber es muss sein.
Und wenn der Notstand ausgerufen ist, legen wir den KTF so auf, wie er war und machen weiter wie geplant?
Wenn man Klimaschutz ernst nimmt, sollte man zuerst alle Maßnahmen umsetzen, die schnell Emissionen reduzieren. Es wird immer das Tempolimit genannt: Wenn ein Notfall besteht, muss man es einführen. Dann sollte man umweltschädliche Subventionen wie das Dieselprivileg und das Dienstwagenprivileg abschaffen. Kerosin darf nicht länger von Steuern befreit werden. Das kostet uns jedes Jahr 65 Milliarden Euro. Das ist größer als das Loch, das durch den KTF gerissen wurde. Als Drittes wird ein CO₂-Preis auf Brennstoffe im Transport und im Gebäudesektor erhoben. Der steigt und den könnte man noch weiter steigen lassen. Das hätte Signalwirkung, auch wenn es die Bürgerinnen und Bürger belasten würde, aber einen Teil dieses Geldes könnte man zurückzahlen. Wenn das alles gemacht ist, könnte man den Notstand ausrufen, ein Sondervermögen aufnehmen und in die Transformation unserer Wirtschaft investieren.
Halten Sie den Verlust des KTF denn wirklich für ein großes Problem? Wer sich die Förderprojekte anschaut, stellt fest, dass sehr viel Geld für die Halbleiterindustrie eingeplant war. Mit Klimaschutz hat die wenig zu tun.
Zum Großteil werden mit dem Fonds gute Dinge unterstützt, denn die Industrie soll sich klimafreundlich entwickeln. Dafür hat man ein neues, innovatives, politisches Instrument geschaffen. Wenn ein Unternehmen zum Beispiel einen klimafreundlichen, aber teuren Prozess entwickelt, kann sie sich melden und bekommt die Differenz zwischen der neuen und der konventionellen Technologie erstattet. Das finde ich gut, denn die Industrie muss auf klimafreundliche Produktionsweisen umstellen. Das geht nicht von heute auf morgen. Das Problem ist, dass durch das Urteil und die Haushaltssperre andere Dinge nicht bezahlt werden können: Im Bundeshaushalt ist viel Geld für Stromnetze, Bahnen, Schienen, Busse, Radwege, Stromspeicher und Ladenetze eingeplant. Es müsste für unendlich viele Dinge Geld ausgegeben werden, das wir aktuell nicht haben.
Aber wenn ein Klimafonds Milliarden für Weltkonzerne wie TSMC und Intel bereithält, kommen Zweifel an der Arbeit der Bundesregierung auf.
Das hat mich auch überrascht, aber ich vermute, dass die Chipindustrie mit Zuwendungen bedacht worden ist, weil es sich um eine Zukunftstechnologie handelt, die eine Alternative zur Schwerindustrie wäre. Es will ja keiner, dass unsere Wirtschaft den Bach runtergeht und überhaupt nichts mehr produzieren kann. Damit wäre auch niemandem geholfen.
Können Sie denn nachvollziehen, dass gesagt wird: Wir haben nun mal eine Schuldenbremse, wir können nicht mehr ausgeben, als wir einnehmen. Oder sollte sich der Staat in diesem Fall eher als Unternehmer begreifen, der auch mal Schulden aufnimmt, um sich für die kommenden 50 oder sogar 100 Jahre aufzustellen?
Es gibt ja Länder, die es anders machen. Die USA nehmen Schulden auf und subventionieren mit dem Inflation Reduction Act grüne Technologien. Damit holen sie immer neue Industrien aus Europa zu sich herüber.
Jetzt wahrscheinlich noch mehr als vor einem halben Jahr schon …
Auf alle Fälle. Deutschland muss sich überlegen, ob man das will.
Dieses Interview ist eigentlich ein Podcast, den Sie auch anhören können.
Wo? Sie finden das "Klima-Labor" bei RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts, Spotify und als RSS-Feed. Klicken Sie einfach die Links an.
Sie haben eine Frage? Schreiben Sie uns eine E-Mail an klimalabor@ntv.de.
Bietet das Urteil dennoch eine Chance, Klimaschutz, Energiewende und Wirtschaftstransformation noch einmal ganz neu und sauber zu planen?
Natürlich wäre es besser, das korrekt und ohne Notfallverordnung zu machen. Noch besser wäre gute Klimapolitik, aber die machen wir eben nicht. Einfachste Maßnahmen, die CO₂ einsparen, werden nicht umgesetzt. Erst, wenn man das gemacht hat, sollte man gucken, ob das Geld reicht. Es fehlt ein klimapolitisches Gesamtkonzept.
Kann die aktuelle Bundesregierung dieses Konzept noch liefern?
Nein, das halte ich für unwahrscheinlich. Ausreichender Klimaschutz ist mit dieser Ampel nicht mehr möglich. Aber das hatte sich schon im Koalitionsvertrag abgezeichnet, denn die Parteien haben sehr unterschiedliche Visionen, wie Klimapolitik aussehen sollte. Alles war sehr vage formuliert. Bei den einzelnen Gesetzen und Finanzierungsplänen zeigt sich jetzt, wie weit sie auseinanderliegen. Aber wenn jede Partei auf ihren Vorstellungen beharrt, bin ich skeptisch, dass die Ampel Klimaschutz in dieser Konstellation noch hinbekommt.
Mit Niklas Höhne sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet.
Was hilft wirklich gegen den Klimawandel? Funktioniert Klimaschutz auch ohne Job-Abbau und wütende Bevölkerung? Das "Klima-Labor" ist der ntv-Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen, Lösungen und Behauptungen der unterschiedlichsten Akteure auf Herz und Nieren prüfen.
Ist Deutschland ein Strombettler? Rechnen wir uns die Energiewende schön? Vernichten erneuerbare Energien Arbeitsplätze oder schaffen sie welche? Warum wählen Städte wie Gartz die AfD - und gleichzeitig einen jungen Windkraft-Bürgermeister?
Das Klima-Labor von ntv: Jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert, Spaß macht und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts, Spotify, RSS-Feed
Sie haben Fragen an uns? Schreiben Sie eine E-Mail an klimalabor@ntv.de.
Quelle: ntv.de