"Neue Ära zivilen Ungehorsams" Hongkonger besetzen Finanzdistrikt
28.09.2014, 07:15 Uhr
Zehntausende Menschen versammelten sich nach den Festnahmen vor dem Hongkonger Regierungssitz.
(Foto: REUTERS)
Nach Zusammenstößen mit der Polizei und der Festnahme Dutzender Aktivisten besetzen Demonstranten das Finanzzentrum von Hongkong. Es sei Zeit, "sich zu erheben und zu handeln", sagt einer der Anführer.
Die Zwischenfälle bei den Studentenprotesten in Hongkong drohen, die Lage in der chinesischen Sonderverwaltungsregion eskalieren zu lassen. Überraschend begann die prodemokratische Bewegung eine Besetzung des Finanzdistrikts der asiatischen Wirtschaftsmetropole. Tausende Demonstranten belagerten den Regierungssitz und blockierten teilweise umliegende Straßen im Central genannten Geschäftsbezirk. Mehrere Hauptverkehrsadern Hongkongs wurden lahmgelegt. Die Aktivisten wollen Druck auf die Regierung und die kommunistische Führung in Peking ausüben, freie Wahlen in Hongkong zu erlauben.
Die Sicherheitskräfte versuchten mit Sperren und einem Polizeiring um die zentrale Demonstration vor dem Regierungssitz zu verhindern, dass sich mehr Hongkonger den Protesten anschließen können. Teilnehmer wurden aufgefordert, die "illegale Versammlung" zu verlassen. Die Polizei setzte auch Pfefferspray gegen Demonstranten ein. Angesichts der flüchtenden Menschen gab es chaotische Szene.
Peking gegen "illegale Aktivitäten"
Die chinesische Regierung sprach den Behörden in Hongkong angesichts der Massenproteste ihr Vertrauen aus. Peking sei zuversichtlich, dass die Führung Hongkongs "im Einklang mit den Gesetzen" auf die Demonstrationen reagieren werde, gab die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua einen Sprecher des Staatsrates wieder. Weiter hieß es, Peking stelle sich strikt gegen "alle illegalen Aktivitäten", welche die Rechtsstaatlichkeit untergraben und die "soziale Ruhe" in Gefahr bringen würden.

Aus "Central Government Offices" haben die Demonstranten ein "Bürgerhauptquartier" gemacht - zumindest auf diesem Schild.
(Foto: REUTERS)
Hongkongs Regierung teilte derweil mit, man wolle in Kürze eine neue Runde der Beratungen über die Wahlreform starten. Ein konkreter Zeitrahmen wurde jedoch nicht genannt. Zugleich wurde die Bevölkerung aufgefordert, sich nicht an den Protesten zu beteiligen.
Der Führer der Occupy-Central-Bewegung, Benny Tai, teilte in der Nacht (Ortszeit) mit, dass die lange angedrohte Kampagne des zivilen Ungehorsams in der früheren britischen Kronkolonie sofort beginnen werde. Es sei Zeit, "sich zu erheben und zu handeln". Tausende demonstrierten in den Straßen um den Regierungssitz, während sich zunehmend mehr Hongkonger den Demonstranten anschlossen. Viele von ihnen brachten Wasser, Nahrungsmittel und Schwimmbrillen mit, um die Augen gegen Tränengas oder Pfefferspray zu schützen.
Am Vortag waren 74 Studenten festgenommen sowie 29 Demonstranten und Polizisten verletzt worden, als die Proteste am Ende eines einwöchigen Studentenstreiks eskalierten. Es waren die ersten schweren Zwischenfälle seit Beginn der jüngsten Protestwelle. Aus Ärger über die Festnahmen demonstrierten Zehntausende Menschen spontan vor dem Regierungssitz. Unter den Festgenommenen waren die drei Studentenführer Joshua Wong, Alex Chow und Lester Shum. Dem 17-jährigen Wong wurden Tätlichkeiten gegen Polizisten vorgeworfen.
"Auf sehr leidenschaftliche Bürger reagieren"
Die Proteste entzündeten sich an einer nur begrenzten Wahlreform, mit der die kommunistische Führung in Peking für 2017 zwar direkte Wahlen vorsieht, aber keine freie Nominierung der Kandidaten erlauben will. Seit der Rückgabe der früheren Kronkolonie 1997 an China wird die Sieben-Millionen-Metropole nach dem Grundsatz "ein Land, zwei Systeme" als eigenständiges Territorium Chinas autonom regiert.
Eigentlich sollte die Besetzung des Central genannten Finanzbezirks erst am Mittwoch mit ersten Aktionen wie einem "Bankett" zum Nationalfeiertag eingeläutet werden, wurde aber angesichts der Studentenproteste vorgezogen. Die Occupy-Central-Bewegung, die vor eineinhalb Jahren begonnen hatte, organisierte ihre Aktionen bislang unabhängig von den Studenten.
"Eine neue Ära des zivilen Ungehorsams hat begonnen", sagte Occupy-Führer Tai und erklärte, warum die Kampagne früher als geplant beginnen werde. "Wir mussten einfach auf sehr leidenschaftliche Bürger reagieren." Am Samstag hatte die Bewegung noch an ihrem Zeitplan festhalten wollen. Langjährige Oppositionspolitiker wie Martin Lee oder Audrey Eu und selbst Hongkongs Kardinal Joseph Zen traten in der Nacht vor den Demonstranten auf, um ihre Unterstützung für die Bewegung zu zeigen.
Quelle: ntv.de, mli/dpa/AFP