Politik

Talk zur Russlandkrise bei Lanz "Ich sehe wenig Spielraum für Verhandlungen"

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"Es ist notwendig, jeden weiteren Verhandlungsspielraum auszuloten", sagt Sasse.

(Foto: imago images/Metodi Popow)

Nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Separatistengebiete Donezk und Luhansk wird die Situation in der Ukraine immer dramatischer. US-Präsident Biden spricht inzwischen von einer "Invasion". Die Russlandkrise ist am Dienstagabend auch Thema in der ZDF-Talkshow von Markus Lanz.

Die Krise um die Ukraine hat sich weiter zugespitzt. Die US-Regierung hat die Pläne für ein Treffen von Präsident Joe Biden und dem russischen Staatschef Wladimir Putin vorerst gestoppt. Auch US-Außenminister Antony Blinken hat ein bereits geplantes Treffen mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow abgesagt. Grund ist die von US-Präsident Biden als "Invasion" bezeichnete Entsendung russischer Truppen in die Ostukraine durch den russischen Präsidenten.

Beobachter gehen inzwischen davon aus, dass Putin die Besetzung auch der restlichen Ukraine plant. Die EU und die Vereinigten Staaten antworten mit Sanktionen. Die Bundesregierung hat die umstrittene Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 vorerst auf Eis gelegt. Ist das nun das Ende der diplomatischen Bemühungen? Und was könnte zur Lösung der aktuellen Situation getan werden? Fragen, die sich am Dienstagabend die Gäste in der ZDF-Talkshow Markus Lanz stellen - und kaum beantworten können. Denn die Überraschung über Putins Vorgehen, das er am Montagabend in einer langen Propagandarede im russischen Fernsehen zu begründen versuchte, steckt ihnen noch deutlich spürbar in den Knochen.

"Ich war überrascht", sagt zum Beispiel die Journalistin und Russland-Kennerin Gabriele Krone-Schmalz, die sich für einen differenzierten und positiven Umgang mit Russland einsetzt. Kritiker werfen ihr "eindimensionales Denken" und eine zu positive Sicht auf den russischen Präsidenten vor. So hatte sie 2014 die Besetzung der Krim durch die russische Armee als "Notwehr unter Zeitdruck" bezeichnet. Auch bei Markus Lanz betont sie immer wieder, sie wolle die Handlungsweise Putins nicht rechtfertigen, sondern erklären. Wer ihr jedoch länger zuhört, könnte hin und wieder eine andere Meinung bekommen. So ist sie der Auffassung, dass sich der Dialog zwischen Putin und den westlichen Politikern zuletzt in einem "ganz guten Flow" befunden habe. Der Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze gehört für sie mit zur aktuellen Drohkulisse. Auf die Fernsehrede von Putin vom Montagabend angesprochen, sagt sie, der russische Präsident habe darin lediglich darauf hingewiesen, dass beide Länder eine gemeinsame Geschichte hätten.

Das stimmt nicht. In Wahrheit hatte Putin die Ukraine als "Produkt der Sowjetunion" bezeichnet. Ihre Unabhängigkeit nannte er einen Fehler der Kommunistischen Partei unter Michail Gorbatschow. "Die Hauptaussage der Rede war, dass die Ukraine als unabhängiger Staat keine Existenzberechtigung habe", stellt denn auch Gwendolyn Sasse klar. Sie ist Direktorin des Zentrums für Europa- und internationale Studien in Berlin, das vom Auswärtigen Amt unterstützt wird und die Entwicklungen in den ehemaligen Staaten der Sowjetunion analysiert. Die Politikwissenschaftlerin bezeichnet Putin eindeutig als "Lügner". Als Beispiel nennt sie seine Behauptung aus der vergangenen Woche, die Truppen würden sich von der ukrainischen Grenze zurückziehen. "Aber das passt in ein Muster", erklärt Sasse. "Putin signalisiert gerade, man könnte ja verhandeln, aber nach seinen Bedingungen."

Krone-Schmalz weist darauf hin, dass Russland und die Ukraine zusammenhängen. In der Ukraine habe sich aber ein Block gegen Russland aufgebaut, das Land habe sich immer mehr dem Westen, der EU und der NATO zugewendet. Dadurch habe sich Russland bedroht gefühlt. Niemand habe die Ukraine zu diesem Schritt gezwungen, stellt Sasse jedoch klar.

Kühnert: "Bruch des Völkerrechts"

Nun mischt sich auch SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert in die Diskussion ein. "Was in den letzten Wochen stattgefunden hat, ist ein Bruch des Völkerrechts", stellt er klar. Die russische Anerkennung von Donezk und Luhansk als sogenannte "Volksrepubliken" sei ein Bruch des Minsker Abkommens gewesen, und nicht der erste. "Mir ist wichtig, dass die Bevölkerung in der Ukraine nicht ein nerviger Störfaktor ist, der dem Interesse eines Staatschefs in Moskau entgegensteht", sagt er - und weist darauf hin, dass sich 70 Prozent der Ukrainer in Richtung EU orientieren wollen. "Das ist ein Volk, das sich mit großer Mehrheit zu uns stellt." Und dieses Volk wolle vor allem keinen Krieg.

Ein wichtiger Punkt aller Beteiligten: Die Gespräche müssen fortgesetzt werden. Dazu gehöre es auch, über die "Volksrepubliken" zu sprechen. Die Menschen dort müssten sich ernst genommen fühlen. Im Donbass seien die Menschen schon vor dem Bürgerkrieg nicht ernst genommen worden, sagt Krone-Schmalz - und verweist auf das "Massaker" von Odessa. Das war am 2. Mai 2014. Da verbrannten bei einem Feuer im Gewerkschaftshaus am Bahnhof 42 pro-russische Aktivisten. Die Feuerwehr hatte mit den Löscharbeiten erst nach 40 Minuten begonnen, obwohl das Gewerkschaftshaus nur wenige hundert Meter entfernt liegt. Die ukrainischen Behörden hatten zwar Ermittlungen aufgenommen, die jedoch zu keinem Ergebnis führten und von mehreren internationalen Organisationen als "parteiisch und nicht zufriedenstellend" bezeichnet worden waren.

"Das Bild von der Ost-West-Spaltung ist stark übertrieben", meint dagegen Gwendolyn Sasse. Viele Ukrainer hätten eine stark ausgeprägte Bindung zu ihrem Staat, und die habe sich seit dem Bürgerkrieg sogar noch verstärkt.

"Das ist eine Annexion"

Wie könnte der Weg aus der Krise aussehen? "Es ist notwendig, jeden weiteren Verhandlungsspielraum auszuloten", sagt Sasse - und fügt hinzu: "Aber ich sehe wenig Spielraum für Verhandlungen." Im Moment fürchtet sie weitere Angriffe auf die Ukraine. Dafür spricht für sie, dass die Grenzverläufe der beiden neuen "Volksrepubliken" nicht klar definiert sind. Für sie gibt es zwei Wege: "Weiter verhandeln und die Sanktionen umsetzen, die beschlossen wurden."

Auch Gabriele Krone-Schmalz schlägt Verhandlungen vor, ähnlich wie die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Helsinki 1975, auf der ein friedliches Miteinander zwischen den Staaten des damaligen Westens und des Ostblocks vereinbart wurde. Eigentlich eine gute Idee. Doch ob derartige Gespräche etwas bringen, wenn einer der Verhandlungspartner Staatsgrenzen faktisch nur dann anerkennt, wenn sie ihm passen, darf zumindest bezweifelt werden.

Quelle: ntv.de

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