Politik

Nothaushalt regiert sparsam In Deutschland gibt es keinen Shutdown

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(Foto: imago stock&people)

Die lange Regierungsbildung hat Konsequenzen: Noch immer gibt es keinen Haushaltsplan für 2018. Viele Projekte liegen auf Eis. Einrichtungen warten auf Gelder.

Es zieht sich. Vier Monate sind seit der Bundestagswahl verstrichen. Mindestens zwei weitere dürften vergehen, bis die Regierungsbildung abgeschlossen ist. Mindestens ein halbes Jahr, wenn nicht noch länger, arbeitet die Bundesregierung mit angezogener Handbremse. Betroffen ist vor allem einer der wichtigsten politischen Bereiche: der Haushalt. Der Haushaltsplan für 2018 wird nicht vom Parlament, sondern erst von einer neuen Regierung eingebracht. Bis dahin gilt eine vorläufige Haushaltsführung, ein Nothaushaltsrecht.

Regierung im Ausnahmezustand: In der geschäftsführenden Bundesregierung sind die Einflussmöglichkeiten von Kanzlerin und Finanzminister begrenzt.

Regierung im Ausnahmezustand: In der geschäftsführenden Bundesregierung sind die Einflussmöglichkeiten von Kanzlerin und Finanzminister begrenzt.

(Foto: picture alliance / Maurizio Gamb)

Nach Artikel 111 des Grundgesetzes darf die geschäftsführende Bundesregierung alle Ausgaben leisten, um "gesetzlich bestehende Einrichtungen zu erhalten und gesetzlich beschlossene Maßnahmen durchzuführen". Um rechtlich begründete "Verpflichtungen des Bundes zu erfüllen und um Bauten, Beschaffungen und sonstige Leistungen fortzusetzen oder Beihilfen für diese Zwecke weiter zu gewähren", wenn dafür Mittel im letzten Haushaltsplan bewilligt worden sind.

Viele wichtige Bereiche, etwa Transferleistungen wie Rente, Hartz IV und Kindergeld, sind von der vorläufigen Haushaltsführung nicht negativ betroffen. Alle Zuwendungsberechtigten erhalten ihre regulären Zahlungen. Dennoch unterliegt die geschäftsführende Bundesregierung finanziell starker Zurückhaltung. Das Finanzministerium gibt den übrigen Ministerien genaue Vorgaben, was sie ausgeben dürfen. Mittel für neue Maßnahmen werden nicht bewilligt. Die vorläufige Haushaltsführung setzt enge Grenzen, für einige Bereiche hat dies Konsequenzen. Ein paar Beispiele:

  • Beim Diesel-Gipfel im September 2017 stockte die Kanzlerin den Mobilitätsfonds zur Luftreinhaltung für Kommunen auf 750 Millionen Euro auf. Das Geld ist jedoch bisher noch nicht geflossen, weil im Haushaltsentwurf für 2018 dafür keine Mittel vorgesehen sind.
  • Die Bundespolizei kann 1850 geplante Stellen vorerst nicht besetzen. Die vorläufige Haushaltsführung verbietet es, dass der Bund vor dem Inkrafttreten des Haushalts 2018 zusätzliches Personal einstellt. Auszubildende können jedoch neu eingestellt werden.
  • Die Große Koalition hat vor der Bundestagswahl versprochen, mehr Geld für den Spitzensport bereitzustellen. Zusätzliche Maßnahmen wie Trainingslager zur Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 2020 sind bisher nicht bewilligt worden. Auch die endgültige Entscheidung über die geplante neue Struktur der Bundesstützpunkte konnte noch nicht getroffen werden.
  • Die sieben Auslandseinsätze der Bundeswehr, darunter der Afghanistan-Einsatz und der Kampf gegen den IS, wurden im Dezember nur vorläufig um drei Monate bis März verlängert. Nicht entschieden wurde über Truppenstärke, Ausrichtung und Auftrag.
  • Betroffen ist auch der Bereich Forschung. Verschiedene Einrichtungen warten zurzeit auf Fördermittel. Die Bewilligung von Projekten verzögert sich, Personal kann nicht weiter finanziert werden. Auch Hochschulen bringt das in die Bredouille.
  • Wachsende Nervosität gibt es in der Wirtschaft. Unternehmen fürchten Verzögerungen bei wichtigen Bauvorhaben. Die deutsche Bauindustrie warnt vor negativen Folgen der schleppenden Regierungsbildung. Konkret geht es um den Ausbau und die Sanierung von Verkehrswegen, die Stärkung der Breitband- und Energienetze sowie die Digitalisierung von Schulen. Erlaubt sind lediglich Ausgaben für bereits laufende Bauten und Projekte.
  • Die vorläufige Haushaltsführung hat auch für andere spürbare Folgen. Die Zahlungen für Zuwendungsempfänger wie Stiftungen oder Trägergruppen wie der politischen Jugendbildung und dem deutschen Bundesjugendring sind auf 77 Prozent gedrosselt. Das zwingt diese dazu, ihren Betrieb mit Hilfe von eigenen Rücklagen aufrechtzuerhalten. Die Einrichtungen müssen die Zeit überbrücken, erhalten die Zuwendungen jedoch rückwirkend vollumfänglich ausgezahlt.

In drei Monaten zum Haushalt

Der FDP-Finanzexperte Florian Toncar stellte zuletzt klar: "Es gibt keinen Government Shutdown wie in den USA." Alle Verträge würden erfüllt, alle Lieferanten bezahlt. In den USA ist die Lage bei einem Shutdown (wörtlich übersetzt: Stillstand), den es seit 1976 schon 17-mal gegeben hat, weitaus drastischer. Wenn die Schuldenobergrenze erreicht ist, kann sich die US-Regierung kein neues Geld leihen. In der Folge müssen weite Teile der Regierung und des öffentlichen Dienstes zwangsweise schließen. Ämter und Behörden bleiben geschlossen, die Hälfte der 850.000 Staatsbediensteten muss Zwangsurlaub nehmen. Ein "Shutdown" kostet die US-Wirtschaft pro Woche etwa 6,5 Milliarden Dollar.

In der Bundesrepublik ist die Situation also vergleichsweise harmlos. Der Bundestag hat im Umgang damit längst eine gewisse Routine entwickelt. Seit 2010 gab es sechs Mal eine vorläufige Haushaltsführung, meist nach Bundestagswahlen. Auch wenn die Regierungsbildung im Dezember abgeschlossen wäre, gäbe es womöglich noch keinen neuen Haushaltsplan, sagt der Referent eines Haushälters im Bundestag. Das Haushaltsverfahren dauert von der ersten Lesung bis zur Abstimmung etwa drei Monate.

Spannend wird es, wenn ein SPD-Mitgliederentscheid gegen eine Große Koalition stimmen und es im Sommer zu Neuwahlen kommen sollte. Die geschäftsführende Bundesregierung könnte theoretisch einen Haushalt auf den Weg bringen, was sie mit Blick auf die offene Regierungsbildung bisher jedoch nicht getan hat. Dass sie es im Wahlkampf täte, wo beide Parteien gegeneinander antreten, wäre jedoch sehr unwahrscheinlich. Gut möglich, dass die neue Bundesregierung in diesem Fall Ende des Jahres einen Doppelhaushalt für 2018 und 2019 verabschieden würde. Bis dahin liefe das Land auf Notbetrieb.

Ein Gutes hat das Nothaushaltsrecht: Es ist ein unfreiwilliges Sparprogramm im einstelligen Milliardenbereich. Eine neue Bundesregierung muss deshalb auch die Frage klären, wie sie den Überschuss einsetzen will.

Quelle: ntv.de

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