Politik

Proteste halten trotz Gewalt an Irans Präsident will Gesetze überprüfen

Weltweit - wie hier in Istanbul vor wenigen Tagen - solidarisieren sich vor allem Frauen mit den Protesten im Iran.

Weltweit - wie hier in Istanbul vor wenigen Tagen - solidarisieren sich vor allem Frauen mit den Protesten im Iran.

(Foto: IMAGO/ZUMA Wire)

Die Sicherheitskräfte gehen brutal gegen die Proteste im Iran vor. Doch die Menschen, vor allem Frauen, lassen sich nicht abschrecken - sie gehen weiter auf die Straße. Der Präsident des Landes will derweil das geltende Recht überprüfen. Welche Gesetze er meint, ist aber unklar.

Irans Präsident Ebrahim Raisi sieht es als notwendig an, einige der im Land geltenden Gesetze zu überprüfen. "Bei der Überprüfung der kulturellen Strukturen ist es unbedingt erforderlich, die Gesetze zu überprüfen, zu überarbeiten, zu aktualisieren und gegebenenfalls auch zu revidieren", sagte er. Dabei sei auch der Dialog notwendig, um bestimmte Themen kontinuierlich zu bewerten und "Zweifel" innerhalb der Gesellschaft auszuräumen. "Wir sollten auch sehen, ob wir die gesetzten Ziele erreicht haben und wenn nicht, wo die Probleme liegen", sagte er laut Nachrichtenagentur IRNA.

So sollten laut Raisi auch der Status und die Möglichkeiten von Frauen mehr in den Fokus rücken. Welche Gesetze er konkret meinte und ob seine Forderung etwa den Kopftuchzwang betrifft, sagte Raisi nicht.

Beobachter sind der Auffassung, dass Raisi nun auf Dialog setzt, da die gewaltsamen und teilweise brutalen Einsätze der Polizei- und Sicherheitskräfte die Proteste nicht stoppen konnten. Über den aktuellen "Cyber-Krieg" gegen das System sollte man sich jedoch keine Sorgen machen, so Raisi. "Wenn die Grundlagen des Systems solide geschützt sind, dann gibt es auch diesbezüglich keinen Grund zur Sorge."

Weil die Proteste nicht nur auf der Straße, sondern auch digital geführt werden, wurde auch das Internet massiv eingeschränkt und einige Webseiten gesperrt. Laut iranischer Handelskammer bedeutet jede Stunde Internetsperre einen Verlust von über 1,5 Millionen Euro für die zahlreichen Online-Unternehmer im Land. Bei den Protesten sind nach Angaben der in Norwegen ansässigen Menschenrechtsorganisationen Iran Human Rights (IHR) bislang mindestens 108 Menschen getötet worden, darunter 28 Kinder.

"Mullahs sollen sich verziehen"

Derweil protestierten trotz des gewaltsamen Vorgehens von Sicherheitskräften im Iran die fünfte Woche in Folge zahlreiche Menschen gegen die Führung des Landes. Bei einer Demonstration an der Schariati-Universität in der Hauptstadt Teheran riefen Frauen ohne Kopftücher Slogans wie "Die Mullahs sollen sich verziehen!", wie ein im Internet verbreitetes Video zeigte. Weitere Proteste wurden unter anderem aus Isfahan und Kermanschah gemeldet. In der Stadt Hamedan, westlich von Teheran, wurden aus einer johlenden und pfeifenden Menge Wurfgeschosse auf Sicherheitskräfte geschleudert, wie von der Nachrichtenagentur AFP geprüfte Aufnahmen zeigten.

Laut dem Onlinedienst 1500tasvir riefen junge Frauen an einer Hochschule in Teheran "Freiheit, Freiheit, Freiheit", während sie ihre Kopftücher in der Luft schwenkten. Der Online-Kanal, der Proteste und Polizeiübergriffe dokumentiert, berichtete zudem von streikenden Ladenbesitzern in der Provinz Kurdistan und in Westaserbaidschan.

Angaben der in Norwegen ansässigen Menschenrechtsorganisation Hengaw zufolge begannen Schülerinnen im Dorf Ney in der Provinz Mariwan ihre Proteste, indem sie "Feuer legten und regierungsfeindliche Slogans anstimmten". Wie der Online-Monitor NetBlocks berichtete, wurden Demonstranten in auf Twitter geteilten Videos auf den Straßen der nordwestlichen Stadt Ardabil gesehen. Online verbreitetes Filmmaterial zeigte zudem demonstrierende Studenten an Universitäten in Teheran, Isfahan und Kermanschah.

Iran fordert von EU "realistischen Ansatz"

Als Reaktion auf die Proteste rief der Islamische Koordinationsrat für Entwicklung die Menschen im Iran dazu auf, "ihre revolutionäre Wut gegen Aufruhr und Randalierer auszudrücken". Wie ein Journalist der Zeitung "Schargh" berichtete, wurden zudem "Pensionäre" der Revolutionsgarden wegen der "aktuell heiklen Situation" gebeten, zusammenzukommen. Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Irna sagte ein Kommandeur bei dem Treffen, drei Mitglieder der Basidsch-Miliz seien seit Beginn der Proteste getötet und 850 weitere verletzt worden.

Die Menschen im Iran hätten das Recht, "friedlich zu protestieren und die Grundrechte zu verteidigen", schrieb der EU-Außenbeauftragte Borrell nach einem Telefongespräch mit dem iranischen Außenminister Hossein Amir-Abdollahian auf Twitter. Dieser hatte laut einer offiziellen Erklärung in dem Telefonat am Freitag den Europäern empfohlen, "das Thema mit einem realistischen Ansatz zu betrachten". Wegen des gewaltsamen Vorgehens gegen Demonstranten im Iran hatten die EU-Länder sich am Mittwoch auf neue Sanktionen gegen Teheran geeinigt. Laut Diplomatenkreisen sollen die EU-Außenminister die Strafmaßnahmen am Montag bei einem Treffen in Luxemburg offiziell beschließen.

Die Proteste im Iran waren durch den Tod der jungen Kurdin Mahsa Amini ausgelöst worden. Die 22-Jährige war am 16. September in Teheran gestorben, nachdem sie dort drei Tage zuvor von der Sittenpolizei wegen des Vorwurfs festgenommen wurde, ihr Kopftuch nicht den Vorschriften entsprechend getragen zu haben. Kritiker werfen der Sittenpolizei vor, Gewalt angewendet zu haben. Die Polizei weist die Vorwürfe entschieden zurück. Viele iranische Frauen protestierten danach, indem sie ihre Kopftücher abnahmen oder sich die Haare abschnitten.

Quelle: ntv.de, mli/AFP/dpa

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