Weitere Tote im Westjordanland Israel riegelt Hebron ab
01.07.2016, 20:35 Uhr
Die israelische Armee sichert eine Straße, auf der ein unbekannter Schütze auf ein Auto feuerte und dabei einen Israeli tötete.
(Foto: AP)
Die Welle palästinensischer Anschläge auf Israelis reißt nicht ab. Vor allem in und um Hebron kommt es zu Vorfällen mit mehreren Toten. Israel will weitere Soldaten in das Gebiet schicken. Derweil kritisiert das Nahost-Quartett beide Seiten scharf.
Am letzten Freitag des muslimischen Fastenmonats Ramadan ist es im Westjordanland zu mehreren tödlichen Zusammenstößen gekommen. Ein Israeli starb ebenso wie eine palästinensische Attentäterin und ein älterer Palästinenser. Die israelische Armee kündigte an, den besonders betroffenen Distrikt Hebron abzuriegeln. Ein Armeesprecher kündigte zudem die Stationierung von zwei Infanteriebataillonen rund um die größte Stadt des Westjordanlandes an.
Ein Israeli starb am Nachmittag bei einem Autounfall nahe Hebron, nachdem ein Unbekannter auf ihn geschossen hatte, wie die Armee mitteilte. Seine Frau und zwei Kinder wurden zum Teil schwer verletzt. Der Täter flüchtete. Ein israelischer Soldat erschoss eine palästinensische Angreiferin in der Stadt Hebron. Die Frau habe den Soldaten mit einem Messer angegriffen, teilte ein Sprecher der Polizei mit. Der Vorfall ereignete sich an den Patriarchengräbern, einer für Juden und Muslime heiligen Stätte. Bei der 27-Jährigen handelte es sich palästinensischen Angaben zufolge um eine Verwandte des 19-jährigen Palästinensers, der am Donnerstag ein 13-jähriges Mädchen erstochen hatte und erschossen worden war.
Schüsse auf Demonstranten
Ein 63-jähriger Palästinenser starb laut dem palästinensischen Gesundheitsministerium, nachdem er Tränengas an einem Kontrollpunkt nahe Ramallah eingeatmet hatte. Die israelische Armee sei mit dem Tränengas gegen Palästinenser vorgegangen, die zum Freitagsgebet auf den Tempelberg wollten. Zudem habe die israelische Armee auf Demonstranten bei Ramallah geschossen. Zwei Menschen wurden dabei laut Ministerium verletzt, darunter ein zwölfjähriger Junge. Von israelischer Seite war lediglich von drei verletzten Polizisten die Rede. Die Polizei nahm 16 Verdächtige fest.
Die israelische Armee äußerte sich zunächst nicht zu den Vorfällen. Bei einer Welle palästinensischer Anschläge sind seit Oktober insgesamt 34 Israelis getötet worden. Mehr als 220 Palästinenser kamen ums Leben, die meisten wurden bei ihren eigenen Anschlägen getötet.
Am Donnerstag hatte ein 17-jähriger Palästinenser ein 13-jähriges israelisches Mädchen in der Nähe von Hebron erstochen. Er drang in das Haus der Familie in einer israelischen Siedlung ein und tötete das schlafende Kind in seinem Bett. Das Mädchen hatte auch die US-Staatsbürgerschaft. Die Mutter des Attentäters sagte Journalisten: "Mein Sohn ist ein Held, er macht mich stolz. Er ist als Märtyrer für Jerusalem und die Al-Aksa-Moschee gestorben." Sie hoffe, dass die palästinensische Jugend seinem Vorbild folgen werde.
"Die Menschen müssen sicher sein"
"Wir müssen die terroristischen Aktivitäten stoppen", sagte Armeesprecher Peter Lerner. "Die Menschen müssen sicher sein." Von Hebron seien in den vergangenen acht Monaten insgesamt 80 Attacken ausgegangen. Das Gebiet werde abgeriegelt. Nur in humanitären und medizinischen Notfällen dürften Palästinenser passieren. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu besuchte derweil die Familie des getöteten Mädchens. "Sie wollen entwurzeln, was gepflanzt wurde, und wir werden die Wurzeln vertiefen", sagte er mit Blick auf die Angriffe der Palästinenser. "Sie werden uns nicht dazu bringen, von hier wegzugehen."
Das Westjordanland wurde im Sechstagekrieg 1967 von Israel besetzt und wird weitgehend von Israel kontrolliert. Israel wirft der Palästinensischen Autonomiebehörde vor, Familien von Terroristen Geld zu zahlen. Die entsprechenden Beträge würden künftig von Zahlungen Israels an die Palästinenser abgezogen, teilte Netanjahu mit. Bei dem Geld handelt es sich um Steuern und Zölle, die Israel für die Palästinenser beim Im- und Export erhebt. Israel überweist laut Außenministerium monatlich rund 117 Millionen Euro.
Kritik an Siedlungen und Terror
Das Nahostquartett aus UNO, USA, Russland und EU legte derweil in New York seinen jüngsten Bericht vor. Darin werden Israels Siedlungsaktivitäten und die Gewalt auf palästinensischer Seite angeprangert. Im Bericht heißt es, die israelische Siedlungspolitik, die Zerstörungen palästinensischer Häuser und die Beschlagnahme von Ländereien seien Hindernisse für einen israelisch-palästinensischen Friedensprozess mit dem Ziel zweier friedlich koexistierender Staaten. Kritisiert werden Äußerungen israelischer Minister, wonach es niemals einen eigenständigen Palästinenserstaat geben solle.
Zugleich wird die palästinensische Autonomiebehörde aufgefordert, der Gewalt eine Absage zu erteilen, ihre "Anstrengungen im Anti-Terrorkampf zu verstärken" und "alle Terrorakte entschieden zu verurteilen". Moniert wird auch die fehlende Kontrolle der Autonomiebehörde über den von der radikalislamischen Hamas kontrollierten Gazastreifen. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier erklärte, der Bericht erinnere daran, "dass wir den Nahostkonflikt angesichts zahlreicher anderer Krisen nicht aus den Augen verlieren dürfen". Der Konflikt könne nur durch Verhandlungen über eine Zwei-Staaten-Lösung beendet werden.
Israel wies den Aufruf zur Beendigung des Siedlungsbaus zurück. "Als Israel den Siedlungsbau gestoppt hat, hat es keinen Frieden bekommen", teilte das Büro von Ministerpräsident Netanjahu mit. "Als Israel jede Siedlung in Gaza entwurzelt hat, hat es keinen Frieden bekommen. Es bekam Krieg." Israel kritisierte, dass der Bericht nicht auf den nach seiner Ansicht "wahren Kern" des Nahost-Konfliktes eingeht: Die Palästinenser würden bis heute Israel nicht als jüdischen Staat anerkennen.
Quelle: ntv.de, mli/dpa/AFP