Mediziner und Dolmetscher dabei Israels Streitkräfte dringen in Schifa-Krankenhaus ein
15.11.2023, 02:20 Uhr Artikel anhören
Ein Bild aus der Zeit vor dem Krieg: Hamas-Mitglieder bewachen den Eingang des Schifa-Krankenhauses, der größten Klinik des Gazastreifens.
(Foto: Mohammed Talatene/dpa)
Man sei gezwungen, "vorsichtig und präzise" gegen Hamas-Infrastruktur in Krankenhäusern vorzugehen, sagt Israels Militärsprecher am Abend. Wenige Stunden später ist es so weit: Israelische Soldaten rücken ins Schifa-Krankenhaus vor. Bei Gefechten vor der Klinik will die Armee Hamas-Kämpfen getötet haben.
Die israelischen Streitkräfte sind in einen Teil des Schifa-Krankenhauses im Gazastreifen eingedrungen. Auf der Grundlage nachrichtendienstlicher Informationen führten Soldaten "eine präzise und gezielte Operation gegen die Hamas in einem bestimmten Bereich des Schifa-Krankenhauses durch", teilt die Armee unter anderem auf X mit. "Wir fordern alle im Krankenhaus anwesenden Hamas-Terroristen auf, sich zu ergeben." Am Mittwochmorgen berichtete die IDF, dass der Einsatz "noch im Gange" sei.
Vor dem Eindringen in die Klinik sei es zu einem Gefecht mit der Hamas gekommen. "Vor ihrem Eindringen stießen die IDF-Truppen auf Sprengsätze und terroristische Zellen, und es kam zu einem Gefecht, bei dem die Terroristen getötet wurden", heißt es von der IDF auf Twitter. Die "Times of Israel" berichtet, dass "mindestens fünf bewaffnete Hamas-Männer während eines Feuergefechts vor dem Krankenhaus von den Truppen getötet wurden", und zitiert die IDF mit der Aussage, dass es "keine 'Reibung' zwischen den Truppen und den Patienten und dem medizinischen Personal" gegeben habe und "es keinen Hinweis auf Geiseln gibt, die derzeit an diesem Ort festgehalten werden".
Ein Arzt der Klinik berichtete der "Washington Post" am Morgen von stundenlangen Schusswechseln und Bombardements. Er habe israelische Panzer in Nähe des Klinikkomplexes gesehen, sagte Ahmed Muchallalati. "Wir wissen nicht, was ihr Plan ist." Er wolle trotzdem versuchen, sich weiter um die Patienten zu kümmern. Der Nachrichtensender "Al-Dschasira" berichtete unter Berufung auf Mitarbeiter, dass sich in dem Krankenhaus schätzungsweise noch 650 Patienten befinden. Dem Arzt Muchallalati zufolge sind davon etwa 100 in Lebensgefahr. Zudem hielten sich dort 2000 bis 3000 Vertriebene auf sowie 700 Mediziner und Verwaltungsmitarbeiter.
Die BBC zitierte einen Augenzeugen in der Klinik, der von sechs Panzern und mehr als Hundert Soldaten auf dem Krankenhausgelände berichtete. Einige seien maskiert gewesen und hätten auf Arabisch gerufen: "Nicht bewegen, nicht bewegen!" Auch seien Rauchbomben zum Einsatz gekommen. Unabhängig überprüfen ließen sich die Angaben am Morgen zunächst nicht.
Armeesprecher kündigte Vorgehen in Krankenhäusern an
Zu den Einsatzkräften bei der Militäroperation im Al-Schifa-Krankenhaus gehören nach Angaben der israelischen Armee auch medizinische Teams und Arabisch sprechende Personen. Sie hätten eine spezielle Ausbildung durchlaufen und sollten sicherstellen, dass Zivilisten, die von der Hamas als menschliche Schutzschilde benutzt werden, kein Schaden zugefügt werde. "Israel ist im Krieg mit der Hamas, nicht mit den Zivilisten in Gaza", wird in der Mitteilung betont. Zudem seien am Morgen Brutkästen, Babynahrung und anderer Medizinbedarf von israelischen Soldaten in die Klinik gebracht worden. "Unser medizinisches Team und arabisch sprechende Soldaten sind vor Ort, um sicherzustellen, dass diese Hilfsgüter die Bedürftigen erreichen", schreibt die IDF auf Twitter.
Kurz vor dem Eindringen hatte die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde in Gaza vor einer Razzia israelischer Truppen in der Klinik gewarnt. "Israel hat uns darüber informiert, dass es in den nächsten Minuten den Krankenhauskomplex Al-Schifa stürmen wird", sagt der Sprecher der Behörde dem arabischen TV-Sender Al-Dschasira. "Die Besatzung hat nicht gesagt, ob sie in den Komplex eindringen wird. Aber sie haben gesagt, dass sie den Komplex innerhalb von Minuten stürmen werden. Wir wissen nicht, wie die Erstürmung ablaufen wird oder welcher Mechanismus benutzt wird, und wir kennen auch nicht die Absichten (Israels) mit der Erstürmung". Beamte in Gaza hätten das Internationale Komitee vom Roten Kreuz über die israelische Warnung informiert.
Seit Tagen kommt es in der Nähe von Krankenhäusern im nördlichen Gazastreifen zu Gefechten zwischen israelischen Bodentruppen und palästinensischen Extremisten. Mitarbeiter des Schifa-Krankenhauses berichteten von anhaltendem Beschuss in dem Gebiet. Israel vermutet unter dem Krankenhaus-Komplex eine Kommandozentrale der Hamas. Diese bestreitet das. Israels Militärsprecher Daniel Hagari hatte bereits angekündigt, dass die Streitkräfte auch gegen mutmaßliche Infrastruktur der islamistischen Hamas in Krankenhäusern im Gazastreifen vorgehen werden. "Die fortgesetzte militärische Nutzung des Schifa-Krankenhauses durch die Hamas führt dazu, dass es seinen besonderen völkerrechtlichen Schutz verliert", sagte Hagari am Dienstagabend. "Wir sind gezwungen, vorsichtig und präzise gegen die militärische Infrastruktur der Hamas in den Krankenhäusern vorzugehen."
Das Schifa-Krankenhaus ist die größte Klinik im Gazastreifen. Es war vor den jüngsten israelischen Angriffen auch das am besten ausgestattete Krankenhaus mit den spezialisiertesten Ärzten. Dort wurden besonders Schwerkranke behandelt.
Quelle: ntv.de, ino/dpa/rts