Iran lobt Grass Kritik an Israel für Einreiseverbot
09.04.2012, 06:42 Uhr
Günter Grass beklagte zuletzt die einseitige Kritik an seinem Gedicht.
(Foto: dpa)
Literaturnobelpreisträger Grass darf nicht mehr nach Israel reisen. Grund ist sein israelkritisches Gedicht "Was gesagt werden muss". Die harte Reaktion des Landes können viele Beobachter nicht verstehen und bezeichnen sie als "übertrieben" und "unangemessen". Indessen springt der iranische Kulturminister Grass bei.
Israels früherer Botschafter in Deutschland, Avi Primor, hat das Einreiseverbot gegen Literaturnobelpreisträger Günter Grass kritisiert. Die Maßnahme sei "übertrieben, ein bisschen hysterisch oder populistisch - auf jeden Fall nicht gerechtfertigt", sagte Primor in der ARD. Israels Innenminister Eli Jischai betreibe damit Innenpolitik, so Primor weiter. Grass sei kein Antisemit.
Gleichzeitig aber bezeichnete Primor das Israel-kritische Gedicht von Grass für völlig "übertrieben". Dessen Behauptung, Israel wolle den Iran auslöschen, sei lächerlich. Der Iran sei schließlich fast hundertmal größer als Israel. Auch seien die Sorgen der israelischen Regierung berechtigt, dass der Iran Atomwaffen bauen könnte. Schließlich habe nicht nur Präsident Mahmud Ahmadinedschad, sondern auch der geistliche Führer Ali Chamenei von der Auslöschung Israels gesprochen.
"Teilweise recht" gab Primor dem Schriftsteller in dessen Argumentation, dass die Deutschen oftmals befangen seien, wenn es um Israel gehe. Er halte dies für überholt, sagte der ehemalige Botschafter: "Ich glaube, dass wir heute gute Freunde sind, und gute Freunde sollten offen und ehrlich miteinander sprechen, auch wenn es um Kritik geht".
Auch der Grünen-Politiker Volker Beck kritisierte die harte Reaktion der israelischen Regierung. "Ein Einreiseverbot für Grass halte ich für überzogen und falsch", sagte der Fraktionsgeschäftsführer dem "Handelsblatt ". Beck warf den israelischen Behörden Intoleranz vor. Zugleich betonte Beck, dass er die Verärgerung in Israel gut verstehen könne. Grass habe sich in seinem umstrittenen Gedicht "ignorant gegenüber der tatsächlichen Bedrohung Israels durch den Iran" gezeigt.
Zuspruch von Seiten der Friedensbewegung
Der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rolf Mützenich, sagte dem "Handelsblatt", die Reaktion Israels sei "unangemessen". Ein demokratisches und pluralistisches Land könne "auch kontroverse Meinungen ertragen". Der israelische Historiker Tom Segev sagte dem "Spiegel", das Einreiseverbot für Grass sei ein "zynischer und alberner Schritt". Es rücke Israel "in die Nähe fanatischer Regimes wie Iran".
Zustimmung erhielt Grass aus dem Iran. Der stellvertretende Kulturminister Dschawad Schamakdari lobte das Gedicht am Samstag und sagte, Grass habe "wunderschön die Wahrheit gesagt".
Der Streit um die Kritik von Günter Grass an Israel prägte am Sonntag auch die Ostermärsche der Friedensbewegung. Auf den Kundgebungen habe es viel Zustimmung zur Haltung von Grass gegeben, wonach es kein Recht auf präventive Militärangriffe gebe, teilten die Organisatoren mit. Dass Israel gegen Grass ein Einreiseverbot verhängt habe, sei ein "unmögliches Verfahren", sagte der Sprecher der Infostelle Ostermarsch, Willi van Ooyen.
Westerwelle nennt Argumentation "absurd"
Indessen meldete sich an Ostern Außenminister Guido Westerwelle in der Debatte zu Wort, ohne allerdings Grass beim Namen zu nennen. Deutschland habe "eine historische Verantwortung für die Menschen in Israel", heißt es in einem Beitrag Westerwelles für die "Bild am Sonntag". Deutschland teile mit Israel, der "einzigen wirklich funktionierenden Demokratie in der Region", den Glauben an die Rechte des Einzelnen, an Freiheit, Verantwortung und den Rechtsstaat. Israel und Iran "auf eine gleiche moralische Stufe zu stellen", sei "nicht geistreich, sondern absurd", fügte Westerwelle hinzu.
Die israelische Regierung hatte gegen Grass wegen dessen Israel-kritischen Gedichts "Was gesagt werden muss" ein Einreiseverbot verhängt. Grass versuche "Hass gegen den Staat Israel und das israelische Volk zu schüren und somit Ideen zu verbreiten, denen er sichtbar verbunden war durch das Tragen der SS-Uniform", begründete Jischai den Schritt.
Grass hat den jüdischen Staat in seinem Text wegen der Drohung mit einem Militärschlag gegen das iranische Atomprogramm eine Gefahr für den Weltfrieden genannt. Er ist dafür in Deutschland parteiübergreifend und auch vom israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu angegriffen worden. Der Schriftsteller, der jahrzehntelang seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS verschwiegen hatte, warf seinen Gegnern daraufhin Intoleranz sowie "eine gewisse Gleichschaltung der Meinung" vor.
Quelle: ntv.de, jog/AFP/rts