Politik

Corona-Treffen im Kanzleramt Länder fordern mehr Einheitlichkeit

Macht sich Sorgen um Berlin: Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Macht sich Sorgen um Berlin: Bundeskanzlerin Angela Merkel.

(Foto: imago images/IPON)

Die zweite Corona-Welle in Deutschland ist da, Infektions- und Todeszahlen steigen wieder. Doch regional bleibt die Entwicklung sehr unterschiedlich. Vor dem morgigen Bund-Länder-Treffen fordern mehrere Ministerpräsidenten mehr Einheitlichkeit. Andere halten davon absolut nichts.

Einige Wochen sah es danach aus, als sei in Deutschland und Europa das Schlimmste in der Corona-Pandemie überwunden. Doch spätestens seit Anfang August ist klar: Nicht nur in Deutschland steigt die Zahl der Neuinfektionen wieder. Auf dem gesamten Kontinent erreicht die Pandemie ein bisher ungekanntes Ausmaß. Vor einer Woche, am 21. September, meldeten die europäischen Behörden mehr als 71.000 neue Infektionsfälle. Das ist mehr als doppelt so viel wie am heftigsten Tag der ersten Welle im März und April. Das aktuelle Infektionsgeschehen übertrifft das der ersten Welle in mehreren Staaten bei weitem. Und in vielen Ländern steigt auch die Zahl der Toten wieder. Hierzulande sind die Infektionszahlen ebenfalls wieder auf dem Niveau von Ende April. Am vergangenen Mittwoch starben 20 Menschen an der Infektion - der höchste Wert seit Ende Juni.

In dieser Gemengelage bespricht Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Chefs und Chefinnen der Bundesländer weitere Maßnahmen in der Pandemie. Ihr Standpunkt ist unmissverständlich. Bei der heutigen CDU-Präsidiumssitzung äußerte sie Parteikreisen zufolge die Sorge, dass die Zahl täglicher Infektionen zu Weihnachten bei 19.200 liegen könne, "wenn es so weiter geht". Sie forderte zudem, strenge Prioritäten zu setzen: "Die Wirtschaft am Laufen halten, Schulen und Kitas offen halten - Fußball ist dabei erst einmal sekundär", soll sie demnach gesagt haben. Und sie zweifelt offensichtlich daran, dass einzelne Länder der Situation angemessen handeln. Etwa habe sie Zweifel, dass der rot-rot-grüne Senat in der Hauptstadt ernsthaft versuche, das hohe Infektionsgeschehen dort einzuschränken. "Es muss in Berlin was passieren", wird Merkel zitiert.

Verliert Berlin die Kontrolle?

Auch die Experten der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina haben bereits vergangene Woche Druck gemacht, die Zügel im Kampf gegen die Pandemie anzuziehen. Um das öffentliche Leben in den kommenden Monaten aufrecht zu erhalten, müssten sich die Verantwortlichen in Bund und Ländern auf "bundesweit verbindliche, wirksame und einheitliche Regeln für das Inkrafttreten von Vorsorgemaßnahmen einigen und letztere konsequenter als bisher um- und durchzusetzen". Auch der Chef-Virologe der Berliner Charité, Christian Drosten, warnte vor dem Treffen davor, dass die Pandemie jetzt erst richtig losgehe. Deutschland riskiere, seine erfolgreiche Bilanz zu verspielen. "Wir haben mit genau den gleichen Mitteln reagiert wie andere. Wir haben nichts besonders gut gemacht. Wir haben es nur früher gemacht. Darum waren wir erfolgreich", sagte er beim World Health Summit.

Die Pandemiebekämpfung ist jedoch weitgehend Sache der Länder. Und da gehen die Vorstellungen vom Umgang mit der Seuche teils weit auseinander.

Im Berliner Bezirk Mitte hat das Infektionsgeschehen bereits die Sieben-Tage-Inzidenz von 50 überschritten, in zwei weiteren Bezirken liegt sie knapp unter der Marke. Das hat zunächst keine unmittelbaren Folgen, denn der Senat betrachtet Berlin als Ganzes und da liegt der Wert "nur" bei 27,2. Auf Länderebene betrachtet ist das allerdings der mit Abstand höchste Wert in Deutschland. Berichte über illegale Partys und Gastronomen, die sich nicht an Regeln halten, gibt es zu Hauf. Der Regierende SPD-Bürgermeister Michael Müller warb vergangene Woche mit Zurückhaltung für strengere Kontrollen. "Es gibt natürlich auch illegale Partys und dann muss man mit Polizeieinsatz da natürlich auch gegen vorgehen", sagte er im ZDF. "Wir machen das auch schon, aber das muss mit Sicherheit auch verschärft werden." Der Senat will ebenfalls morgen über neue Maßnahmen beraten.

Erfahrungsgemäß strenger sieht die Sache Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Er forderte vor dem Bund-Länder-Treffen bundesweit einheitliche Regeln. Ab einem Wert von 50 brauche es eine Ausweitung der Maskenpflicht zum Beispiel an "öffentlichen Partyplätzen", eine Beschränkung der Zahl der Kontaktpersonen und eine Beschränkung der erlaubten Teilnehmerzahl etwa bei Hochzeiten, Beerdigungen und privaten Geburtstagsfeiern.

Im aktuell stark betroffenen Nordrhein-Westfalen sieht man die Sache ähnlich. Ministerpräsident Armin Laschet schlug vor dem Treffen eine neue Art der Risikobewertung vor. "Mit Corona leben lernen bedeutet in erster Linie, alle Entwicklungen genau im Blick zu haben. Dabei dürfen wir nicht nur auf die reinen Infektionszahlen schauen", sagte Laschet dem "Handelsblatt". Er forderte, die Kapazität der Krankenhäuser und die Zahl der intensivmedizinisch behandelten und beatmeten Covid-19-Patienten stärker in die Lagebewertung einfließen zu lassen. "Wir brauchen für ganz Deutschland ein standardisiertes Corona-Monitoring, das die Pandemieentwicklung kommunenscharf abbildet", sagte der CDU-Politiker.

Unterstützung für den Vorschlag bundeseinheitlicher Maßnahmen kommt auch aus dem schwach betroffenen Rheinland-Pfalz. SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer sagte heute: "Ich werde mich für ein Alarmsystem zur situationsgerechten Corona-Eindämmung einsetzen, das einen dezentralen Ansatz für Kreise und Städte verfolgt." Wissenschaftliche Erkenntnisse sollten vom Bund gebündelt werden. In der konkreten Anwendung brauche man in den Ländern dann die notwendige Flexibilität. "Wenn in München die Infektionszahlen durch die Decke gehen, brauchen wir in Mainz, Koblenz oder Ludwigshafen keine Maskenpflicht auf öffentlichen Plätzen."

Sachsen und Sachsen-Anhalt winken ab

Forderungen nach Einheitlichkeit kamen zuletzt auch aus Schleswig-Holstein. Regierungschef Daniel Günther forderte vergangene Woche im ntv-Frühstart, über die Anschaffung mobiler Belüftungsgeräte für Innenräume zu beraten. "Ich würde mir ausdrücklich wünschen, dass wir am nächsten Dienstag auch darüber sprechen und uns möglichst auch bundesweit auf ein gemeinsames Vorgehen verständigen", sagte Günther. "Vielleicht auch, dass der Bund das ein bisschen mit unterstützt."

Aus Hessen kommen widersprüchliche Signale. Vor zehn Tagen kündigte Ministerpräsident Volker Bouffier an, die Besuchsbeschränkungen für Alten- und Pflegeheime wieder zu lockern - und zwar ab morgen. Die Zahl der Neuinfektionen ist jedoch auch in diesem Bundesland teilweise stark gestiegen. In einzelnen Landkreisen liegt die Sieben-Tage-Inzidenz bereits über oder knapp unter der kritischen Marke von 35 Fällen pro 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche.

Auch im von der Pandemie wenig betroffenen Mecklenburg-Vorpommern stehen die Zeichen nicht auf neuen Verschärfungen. Erst Anfang September hatte Ministerpräsidentin Manuela Schwesig weitere Lockerungen verkündet. Danach durften wieder Märkte stattfinden, Tagestouristen waren wieder willkommen, Clubs und Diskotheken öffnete - allerdings nur als Schankwirtschaften und in Ausnahmefällen wurden Veranstaltungen im Innern mit bis zu 400 Gästen genehmigt.

Seit Beginn der Pandemie ist auch Niedersachsen eher wenig betroffen. Und auch von dort kommen bisher keine Forderungen nach mehr Verschärfungen. Am Morgen warnte Ministerpräsident Stephan Weil im NDR vor den Herbstferien. "Am besten bleiben wir alle in den Herbstferien bei uns zuhause in Niedersachsen", sagte er. In einzelnen Landkreisen war die Sieben-Tage-Inzidenz vergangene Woche auf über 35 gestiegen. Die Landesregierung ließ in betroffenen Kreisen Sportanlagen schließen, verfügte Einschränkungen für Gastronomien und verordnete ein Schichtmodell für den Schulbetrieb.

Aus zwei ostdeutschen Bundesländern kommen indes deutliche Signale gegen mehr Einheitichkeit der Maßnahmen. Der bereits zuletzt von einem einheitlichen Kurs der Bundesländer abgewichene Ministerpräsident Rainer Haseloff verteidigte seinen Sonderweg und sagte der "Bild am Sonntag", "in Sachsen-Anhalt verfolgen wir weiter unseren eigenen Weg." Die Infektionen in seinem Bundesland würden zwar leicht nach oben gehen, sie seien aber noch nachverfolgbar. Der Ministerpräsident von Sachsen, Michael Kretschmer, sagte dem Blatt, er setze auf Freiwilligkeit statt Zwang. "Ich setze auf die Eigenverantwortlichkeit der Menschen, die sich jetzt im Herbst verstärkt disziplinierter verhalten werden und müssen."

Quelle: ntv.de

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