Zensur in China Löschen Sie das!
23.04.2015, 13:43 Uhr
Vor ein paar Jahren kam es gelegentlich vor, dass ein kleiner Polizist auf dem Bildschirm darauf hinwies, dass bitteschön die Gesetze einzuhalten seien.
(Foto: picture alliance / dpa)
Geleakte Dokumente der chinesischen Internetaufsicht bieten Einblick in die Zensurpraxis der Volksrepublik. Chinesische Journalisten klagen darin, ihre Arbeit sei "kompliziert" geworden.
Die Volksrepublik China erlebt seit dem Amtsantritt von Staats- und Parteichef Xi Jinping vor zwei Jahren eine neue Welle an Gängelungen. Stück für Stück wird die ohnehin beschränkte Meinungsfreiheit weiter beschnitten, sagen Beobachter. Viele Aktivisten und Publizisten landen deshalb im Gefängnis. Der Staat statuiert Exempel an Journalisten, Feministinnen oder Künstlern. Sie sind als Warnungen an alle zu verstehen, die an der Autorität der Machtelite rütteln wollen. Richter verhängen in undurchsichtigen Prozessen harte Strafen. Kürzlich wurde eine 71-jährige Autorin zu sieben Jahren hinter Gittern verurteilt, weil sie Staatsgeheimnisse weitergegeben haben soll.
Die Organisation Reporter ohne Grenzen (RoG) mit Sitz in Berlin will deshalb Dokumente veröffentlichen, die interessante Einsichten in die Arbeit der Zensurbehörde liefern. Aus Protest gegen Willkürurteile, wie die Organisation sagt. Die Dokumente wurden den Aktivisten offenbar von einem Journalisten zugespielt und zunächst nur in einer Zusammenfassung von RoG verbreitet. Später sollen die Dokumente komplett öffentlich gemacht werden.
Die Papiere umfassen Anweisungen an die Redaktionen nationaler Medien, Sitzungsprotokolle der Internetaufsicht und interne Anweisungen von IT-Konzernen an ihre journalistischen Mitarbeiter. "Diese Papiere machen deutlich, mit wie weitreichenden Bemühungen die Kommunistische Partei versucht, die öffentliche Meinung gemäß ihrer eigenen politischen Vision zu formen", heißt es in einer Erklärung der Reporter.
Die Dokumente stammen aus einem Zeitraum im Herbst des vergangenen Jahres. Am 10. Oktober zum Beispiel ordnete die Internetaufsicht an, welche Artikel zu löschen, welche Überschriften zu ändern oder welche Kommentare der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua auf den Startseiten von Nachrichtenportalen zu veröffentlichen seien.
Die rote Linie
Unter anderem heißt es dort: "Löschen Sie alle Informationen im Zusammenhang mit 'Zentralbüro gab Befehl, die Bücher von Yu Yingshi und Jiu Badao aus den Bücherregalen zu entfernen'." Die beiden Autoren hatten die Proteste in Hongkong zur gleichen Zeit gegen ausufernde politische Einflussnahme Pekings unterstützt. Auch ein Artikel über die Verbindung des Geschäftsmanns Chen Zhuolin zum Korruptionsfall des früheren chinesischen Polizeichefs Zhou Yongkang musste sofort gelöscht werden.
Chinesische Journalisten sind solche Anweisungen an Redaktionen gewöhnt. Sie liefern ihnen einen Leitfaden, um Problemen mit dem Staat aus dem Weg zu gehen. Doch nicht immer wissen die Journalisten, wo exakt die rote Linie verläuft, die sie besser nicht überschreiten sollten. Wie schmal der Grat ist, auf denen sich die Autoren und Redakteure bewegen, zeigen die Auszüge aus einer Sitzung der Internetbehörde SIIO. Unter Punkt drei werden die Problemfälle des Tages besprochen.
- Dem Nachrichtenportal Sina wird darin vorgeworfen, die Überschrift eines aus staatlicher Feder gelieferten Artikels über die Proteste in Hongkong vom 13. Oktober verändert und stattdessen mit einem doppeldeutigen Titel für die Demonstranten geworben zu haben.
- Mitbewerber Sohu diskutierte unerlaubterweise eigenständig die Stellungnahme des Zentralkomitees zum Umgang der "großen Tiger" (gemeint sind "dicke Fische") im Anti-Korruptionskampf der Staatsspitze.
- Die Plattformen Netease und Phoenix veröffentlichten einen kritischen Artikel der Nachrichtenagentur Reuters über das Nord-Süd-Projekt, das große Mengen Wasser durch Kanäle aus dem Jangtse-Fluss in Richtung Peking und andere Regionen des Nordens umleitet.
- Außerdem hatte ein Baidu-Journalist die Frage aufgeworfen, ob das Regime in Nordkorea seinen chinesischen Freund hintergehe.
Alle Redaktionen wurden offiziell von der SIIO kritisiert. Eine solche Kritik ist nichts anderes als eine schriftliche Warnung, künftig vorsichtiger zu sein.
"Die Dinge sind kompliziert geworden"
Die Redaktionen zensieren sich deshalb vorsorglich selbst. Beim IT-Konzern Tencent gab ein verantwortlicher Redakteur eine Notiz an seine Mitarbeiter heraus. Er warnt vor Verweisen auf Internetquellen mit extremen politischen Haltungen. Damit will sich der Konzern aus innerparteilichen Scharmützeln heraushalten. Extreme Zurückhaltung sei auch geboten bei nationalen und religiösen Angelegenheiten sowie Terrorismus, speziell in Tibet und Xinjiang. Weiter warnt er, "sprecht nicht über Geschichte, Hinterlassenschaften und stellt nichts in Frage". In jüngster Zeit, so schließt er ab, seien die Dinge "kompliziert" geworden. Ein deutlicher Hinweis auf die verstärkte Kontrolle des Staates.
Zumindest am 14. Oktober verdiente sich Tencent ein Lob der SIIO-Sitzung. In dem Schreiben der Behörde heißt es: "Tencent hat gute Arbeit geleistet während des Europa-Besuchs von (Premierminister) Li Keqiang und das Thema auf die Startseite gestellt. Sina, Sohu, Netease und Phoenix haben offensichtlich Probleme."
Quelle: ntv.de