Alarmierende Finanzmarkt-Studie May bringt den Staat zurück
05.10.2016, 20:46 Uhr
Fantastisch sei Theresa Mays Rede gewesen. Sagten Zuhörer im Anschluss der BBC.
(Foto: dpa)
Sie hat die Delegierten ihrer Partei erreicht - mit nichts weniger als einem Kurswechsel. Großbritanniens konservative Regierungschefin will die Kasse öffnen und Sozialausgaben und Investitionen erhöhen. Und auch außerhalb der EU lasse sich sehr gut leben.
Zumindest ihre Parteimitglieder hat die britische Premierministerin Theresa May überzeugt. Kurz nach dem Ende ihrer Abschlussrede beim Parteitag der Konservativen strömen lauter zuversichtlich dreinblickende Menschen aus dem Konferenzsaal in Birmingham. "Fantastisch", sei die Rede gewesen, May "sehr glaubwürdig", sagen sie in die Mikrofone der BBC-Reporter. Dabei hat May gerade nichts weniger als den Kurs ihrer Partei auf den Kopf gestellt.
Waren unter David Cameron noch Sparen und weniger staatliche Eingriffe angesagt, verspricht May nun höhere Ausgaben für Schulen, Universitäten und den sozialen Wohnungsbau. Das Votum der Briten für einen EU-Austritt sei "eine einmalige Chance, den Kurs des Landes nachhaltig zu ändern", betont sie vor den Delegierten. Ihre Partei werde immer im Interesse des Durchschnitts der Arbeiterklasse handeln. Gleichzeitig zeigt sich May optimistisch, was die wirtschaftliche Zukunft ihres Landes außerhalb der EU angeht. Großbritannien werde eine nach außen gewandte Handelsnation sein.
Brexit kaum ein Thema
Ansonsten spielt das Thema Brexit in ihrer knapp einstündigen Rede kaum eine Rolle. Anders als in ihrer Eröffnungsrede vom vergangenen Sonntag. Da hatte May in den Augen von Beobachtern das Ausscheiden Großbritanniens aus dem Europäischen Binnenmarkt skizziert. Zum Schrecken der Finanz- und Exportindustrie im Land. Nicht zuletzt, weil sie ankündigte, Großbritannien werde sich nicht mehr der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unterwerfen.
Sie werde eine Gesetzesinitiative einbringen, einen sogenannten "Great Repeal Bill", um die Geltung von EU-Recht im Königreich aufzuheben, hatte May gesagt. "Die Herrschaft des EU-Rechts in Großbritannien wird ein Ende haben." Auch in Sachen Einwanderung will May liefern. Der ungehinderte Zuzug von EU-Migranten soll eingeschränkt werden. "Wir verlassen die EU nicht, um noch einmal die Kontrolle über die Einwanderung abzugeben", hatte sie am Sonntag angekündigt.
Die Folgen waren deutlich sichtbar. Das britische Pfund geriet stark unter Druck. Es war am Dienstag noch schwächer als unmittelbar nach dem Brexit-Votum und erreichte den schwächsten Wert seit 1985. Doch es gab auch positive Nachrichten: An der Londoner Börse ging es kräftig bergauf.
Ein schwaches Pfund macht britische Aktien aus Sicht des Auslands erschwinglicher. Außerdem kann ein schwaches Pfund die britische Exportindustrie stärken, weil deren Produkte auf dem Weltmarkt billiger und damit wettbewerbsfähiger werden. Dies ist aus Sicht von Experten auch ein wichtiger Grund dafür, dass das Brexit-Votum die Stimmung in der britischen Industrie bislang nicht nachhaltig schwächen konnte. Positiv dürften an den Börsen zudem die Signale Mays und ihres Finanzministers Philip Hammond aufgenommen worden sein, die Staatsausgaben zu erhöhen, um die Wirtschaft zu stützen.
Dennoch warnte der Branchenverband der Londoner Finanzindustrie TheCityUK noch einmal deutlich vor den Folgen eines Ausscheidens aus dem Binnenmarkt. Bis zu 75.000 Jobs und umgerechnet rund 43 Milliarden Euro Umsatz (38 Milliarden Pfund) seien allein in der Finanzbranche in Gefahr, sollten die Finanzdienstleister den Zugang zum Binnenmarkt verlieren. Das geht aus einer Studie der Unternehmensberatung Oliver Wyman hervor. Theresa May schien das nicht zu beeindrucken.
Quelle: ntv.de, jwu/dpa