Staat zahlt an Sicherungsverwahrte Menschenrechte für Verbrecher
24.04.2012, 16:17 Uhr
Der Staat darf die Bevölkerung vor gefährlichen Verbrechern schützen. Aber er muss sich dabei selbst an die Menschenrechte halten.
(Foto: dpa)
Immer wieder wurden in den vergangenen Jahren die Bedingungen der Sicherungsverwahrung verschärft. Auf die Menschenrechte wurde dabei nicht so genau geachtet. Wegen seiner schlecht durchdachten Gesetze muss der übereifrige Staat nun sogar Entschädigungen an Schwerverbrecher zahlen.
Es ist eine absolute Ausnahme innerhalb des deutschen Strafrechts: Jemand wird zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, sitzt seine Strafe ab und bleibt danach trotzdem eingesperrt. Einen Menschen wegzusperren greift in seine Menschenrechte ein. Trotzdem gibt es in Deutschland die Möglichkeit, einen Täter in Sicherungsverwahrung zu nehmen, wenn von ihm auch nach der Strafe noch eine Gefahr ausgeht.
Wenn Richter einen Verbrecher verurteilen, hängt das Strafmaß allein von der Tat ab. Ob der Richter erwartet, dass der Täter nochmals straffällig wird, ist also nicht entscheidend. Um die Bevölkerung trotzdem vor gefährlichen Verbrechern zu schützen, können Richter eine Sicherungsverwahrung anordnen. Die führt dazu, dass der Täter weiter eingesperrt bleibt, nachdem er seine Strafe bereits abgesessen hat. Alle zwei Jahre muss dann überprüft werden, ob von dem Verwahrten immer noch eine Gefahr ausgeht.
Das Gesetz zur Sicherungsverwahrung war in Deutschland jahrelang ein beliebtes Thema für Politiker im Umfragetief. Wer gemordet oder vergewaltigt hat, kann von den Wählern wenig Mitleid erwarten und so versuchten immer wieder Politiker, mit Forderungen nach strengerer, längerer und häufigerer Sicherungsverwahrung zu profilieren.
"Wegsperren - und zwar für immer!"
Im Jahr 1998 kam der Stein ins Rollen: Bis dahin durfte die Sicherungsverwahrung, wenn sie zum ersten Mal verhängt wurde, nur zehn Jahre dauern, danach musste der Verwahrte entlassen werden. Nun fiel die Befristung weg und das Leben hinter Gittern kann seitdem schon nach nur einem Urteil lebenslänglich andauern. Gerhard Schröder prägte damals als Bundeskanzler die markige Forderung "wegsperren – und zwar für immer".
Immer wieder fanden Politiker Ansätze, eine Verschärfung zu fordern. So etwa der damalige bayerische Innenminister Günther Beckstein, der sich dafür einsetzte, das Instrument auch bei Jugendlichen leichter anwenden zu können. Seit 2008 ist das nun möglich.
Einige weitere Änderungen verschärften das Gesetz, wobei die Menschenrechte häufig außer Acht gelassen wurden. Eine wichtige Frage ist etwa, wann die Verwahrung angeordnet werden konnte: Früher musste das schon bei der Verurteilung des Täters geschehen, dann konnte der Richter sie sich im Urteil vorbehalten und später wurde sogar ermöglicht, sie nach der Haft anzuordnen, obwohl im Urteil davon nicht die Rede war. Ein Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung? Eigentlich darf niemand für ein Verbrechen zweimal bestraft werden – so legt es das siebte Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention fest. In Deutschland galt damals aber die Auffassung, die Sicherungsverwahrung sei – darum könne sie auch nachträglich angeordnet werden.
Auch die Neuregelung "aus einem Guss" verstößt gegen die Menschenrechte
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) widersprach dieser Auffassung und bezeichnete die Verwahrung eben doch als Strafe. Die Bundesregierung sah sich dadurch zu einem gezwungen, das Anfang 2011 in Kraft trat und von der schwarz-gelben Koalition als der "große Wurf" und "aus einem Guss" gefeiert wurde. Auch die SPD hatte es unterstützt.
Doch schon fünf Monate später erklärte es das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) für grundgesetzwidrig. Die Richter bemängelten unter anderem, dass gar nicht festgelegt wird, wie die Verwahrten untergebracht werden. In der Praxis sieht das so aus, dass diese zusammen mit normalen Häftlingen in Gefängnissen wohnen und nur wenig mehr Rechte haben. Je nach Gefängnis nutzen sie gleiche Zellen, bekommen das gleiche Essen und sind in ihrem Alltag genauso eingeschränkt wie andere. Zudem gibt es selten Therapiemöglichkeiten, die eine Rückkehr in die Freiheit ermöglichen könnten. Das sei nicht hinnehmbar, wenn man gleichzeitig behauptet, die Täter nicht weiter zu bestrafen, sondern nur die Gesellschaft vor ihnen schützen zu wollen. Insgesamt trug das Gericht dem Bundestag eine vollständige Neufassung des Gesetzes bis Mai 2013 auf.
Besonders viel Ärger gibt es durch sogenannte : So wurden Straftäter nach ihrer Haft in Sicherungsverwahrung genommen, obwohl diese nachträgliche Maßnahme zum Zeitpunkt ihrer Verurteilung noch gar nicht möglich war. Erst während ihrer Haftzeit wurde das Gesetz geändert und die Häftlinge auf Basis dieses Gesetzes weiter festgehalten. Der EGMR erklärte diese Praxis für menschenrechtswidrig, was zur Folge hatte, dass Anfang des Jahres 70 Menschen entlassen werden mussten. Für die zu Unrecht in Gefangenschaft verbrachte Zeit steht ihnen sogar eine zu, befand nun das Landgericht Karlsruhe und verurteilte das Land Baden-Württemberg zu Zahlungen in Höhe von insgesamt 240.000 Euro an vier Straftäter. Weitere Zahlungen werden folgen.
Ähnlich verhält es sich mit dem Wegfall der Zehn-Jahres-Frist: Einige Täter befanden sich bereits in Sicherungsverwahrung, als beschlossen wurde, dass diese auch länger als zehn Jahre dauern darf. Aufgrund der neuen Regelung wurden ihre Verwahrungszeiten verlängert und die Täter auch nach dem Absitzen der zehn Jahre nicht entlassen. Auch dieses Vorgehen verbot der EGMR mit Berufung auf die Menschenrechtskonvention.
Deutliche Vorgaben
Nun steht also wieder eine an. Der Rechtsanwalt Jan Oelbermann, der selbst in einem Verfahren um eine unrechtmäßige Sicherungsverwahrung vor den EGMR zog und für seinen Mandanten vor kurzem 20.000 Euro erstritt, hat konkrete Erwartungen, was im Gesetz stehen wird: "Die Vorgaben des Verfassungsgerichts sind sehr deutlich", sagt Oelbermann. Demnach muss die Sicherungsverwahrung schon im Urteil angekündigt werden, schon während der Haft muss es Therapieangebote geben, die Sicherungsverwahrte sollen deutlich besser und in anderen Gebäuden untergebracht werden als Strafhäftlinge. Oelbermann verbindet mit der Neuregelung die Hoffnung auf ein Gesetz, das die Menschenrechte tatsächlich ernsthaft berücksichtigt.
Quelle: ntv.de