Interview zum CDU-Parteitag "Merkel ist angeschlagen wie nie"
26.02.2018, 06:55 Uhr
Angela Merkel hat die Balance zwischen dem konservativen und dem liberalen Flügel der CDU aufgegeben.
(Foto: imago/Emmanuele Contini)
In ihrer jetzigen Verfassung ist die CDU ein Scheinriese, sagt der Politologe Timo Lochocki. Sie müsse schnellstmöglich wieder konservative und liberale Positionen besetzen. Dass Kanzlerin Merkel die volle Legislaturperiode durchhält, glaubt Lochocki nicht.
n-tv.de: Bundeskanzlerin Merkel nimmt Jens Spahn als Minister in ihr nächstes Kabinett auf. Eine kluge Entscheidung?

Timo Lochocki ist Experte für rechtspopulistische Parteien in Europa und arbeitet für die Denkfabrik German Marshall Fund.
Timo Lochocki: Vor allem eine strategisch notwendige Entscheidung. Die Kanzlerin ist in ihrer Partei mittlerweile in einer Weise angeschlagen, wie es in ihrer Amtszeit bisher noch nicht der Fall war. Sie geht offenbar davon aus, dass sie dem konservativen Flügel entgegenkommen muss, um handlungsfähig zu bleiben.
Und, bleibt sie handlungsfähig?
Indem sie Spahn ins Kabinett holt und Annegret Kramp-Karrenbauer zur Generalsekretärin macht, hat sie zwei Zeichen gesetzt, dass sie bereit ist, auf ihre Kritiker zuzugehen. Vermutlich glaubt Angela Merkel, sie werde mit diesen Personalentscheidungen genug Kredit bei ihrer Partei und bei den Wählern zurückgewinnen, um die vollen vier Jahre durchzuhalten. Ich glaube das nicht.
Womit hat Merkel Vertrauen verspielt?
Zum einen werfen ihre konservativen Kritiker ihr vor, falsche Entscheidungen getroffen zu haben, vor allem in der Flüchtlingskrise. Zum zweiten, dass Merkel überhaupt nicht auf diese Kritik eingegangen ist. Der zweite Punkt ist viel dramatischer als der erste. Als Merkel nach der Wahl sagte, sie sehe nicht, was man vor der Wahl hätte anders machen können, war das eine Katastrophe in der parteiinternen Kommunikation.
Wäre es aus Sicht der CDU sinnvoll, noch während der Legislaturperiode einen neuen Parteichef oder eine neue Parteichefin zu installieren?
Es wird ganz stark davon abhängen, wie gut Annegret Kramp-Karrenbauer mit Jens Spahn zurechtkommt. Dennoch ist die Frage wohl nicht, ob Merkel eines ihrer beiden Ämter, die Kanzlerschaft oder den Parteivorsitz, zur Verfügung stellt, sondern wann.
Wer hat die besseren Chancen, ihr Nachfolger zu werden, Spahn oder Kramp-Karrenbauer?
Kramp-Karrenbauer ist derzeit wahrscheinlich in der Pole Position. Um Bundeskanzlerin oder Parteivorsitzende zu werden, muss sie die verschiedenen Flügel der CDU neu ausbalancieren. Dazu braucht sie den konservativen Flügel. Am Verhältnis von Kramp-Karrenbauer zu Spahn könnte sich daher die Zukunft der CDU als Volkspartei entscheiden. Nur wenn die beiden gut zusammenarbeiten, kann der Schwelbrand in der CDU aufgehalten werden.
Hat Spahn zu sehr das Image, konservativ zu sein, um selbst Parteichef zu werden?
Aktuell ist das wohl so, aber das bedeutet nicht, dass er das nicht ändern kann. Allerdings verliert durch seine Einbindung ins Kabinett auch das Momentum, auf dem er bisher gesegelt ist, ein bisschen an Fahrt.
Dann wäre es für die CDU am schlauesten, jemand wie Kramp-Karrenbauer stünde an der Spitze und jemand wie Spahn hätte eine hervorgehobene Position.
Zumindest in den nächsten Jahren wäre das eine sehr erfolgversprechende Kombination, ja. Das Wählermilieu einer Volkspartei wie der CDU ist viel zu divers, als dass es durch eine Person dargestellt werden könnte. Das gilt für Annegret Kramp-Karrenbauer und Jens Spahn genauso wie für Julia Klöckner und den schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Daniel Günther. Wichtig ist, dass die CDU ihre Themenpalette wieder breiter auffächert. Das Schlimmste, was der CDU passieren kann, wäre ein klarer Sieg des konservativen Lagers - oder ein klarer Sieg des liberalen Lagers. Sollte Jens Spahn die Partei übernehmen wollen, müsste er deutlich moderatere Töne anschlagen. Oder er müsste den Übergang gemeinsam mit den Liberalen machen. Es dürfte nicht nach Revolution aussehen.
Also keine konservative Revolution, wie CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sie gefordert hat?
Eine konservative Revolution ist ein Widerspruch in sich, das gibt es nicht. Konservative sind gegen Revolutionen und für moderaten Wandel.
Annegret Kramp-Karrenbauer hat bei ihrer Vorstellung als designierte Generalsekretärin deutlich gemacht, dass es ihr nicht nur um die CDU geht, sondern um den Erhalt des Konzepts der Volksparteien insgesamt. Bei der SPD sieht es derzeit ja wirklich übel aus, aber ist auch die Union als Volkspartei gefährdet?
Mit Sicherheit ist sie das. Paradoxerweise ist die CDU noch stärker gefährdet als die SPD, weil sie mittlerweile vor allem durch Köpfe zusammengehalten wird. Der Absturz von den legendären 41,5 Prozent bei der Wahl 2013 auf 32,9 Prozent im vergangenen Jahr spiegelt den Verlust des konservativen Wählerpotenzials durch die Flüchtlingspolitik und durch den offenen Streit mit der CSU wider. In ihrer jetzigen Verfassung ist die CDU ein Scheinriese. Sie muss schnellstmöglich ein Grundsatzprogramm entwickeln, das konservative und liberale Positionen verbindet. Und sie muss Personen an die Spitze bringen, die das glaubwürdig vertreten - analog zum früheren Duo Schäuble/Merkel. Das könnten Spahn für die Konservativen und Kramp-Karrenbauer, Klöckner oder Günther für den liberaleren Pol sein.
Was bedeutet das alles für die Zukunft der AfD?
Die AfD ist groß geworden, weil die CDU ihr das Migrationsthema überlassen hat. Die Kommunikationsstrategie des Kanzleramts lief darauf hinaus, dass jeder ein Trottel ist, der etwas gegen Flüchtlinge hat. Das war das Beste, das der AfD passieren konnte. Das heißt aber auch: Mit der stärkeren Positionierung von Jens Spahn und der Ankündigung von Annegret Kramp-Karrenbauer, den konservativen Flügel wieder einzubinden, ist diese Zeit möglicherweise vorbei. Wenn die CDU konservativen Wählern ein gutes Angebot macht und wenn sie den Leuten um Spahn öffentlichkeitswirksame Erfolge ermöglicht, dann könnte es sein, dass sie die AfD klein hält.
Wie klein?
Unter zehn Prozent. Um sie unter fünf Prozent zu drücken, ist es wahrscheinlich zu spät.
Mit Timo Lochocki sprach Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de