Auf ein Mittagessen mit Putin Merkel kränkt Russland nur ein bisschen
10.05.2015, 06:04 Uhr
(Foto: REUTERS)
Zur großen Parade am 9. Mai wollte die Kanzlerin nicht nach Moskau kommen, stattdessen trifft sie Präsident Putin einen Tag später. Merkel steht vor einer schwierigen Reise. Aber sie hat keine andere Wahl.
Fast alle waren da. Am 9. Mai 2005, zum 60. Jahrestag des Sieges über Hitler-Deutschland, kamen mehr als 50 Staatschefs nach Moskau. In diesem Jahr kam nur noch die Hälfte. Russische Zeitungen wie die "Moscow Times" veröffentlichen in diesen Tagen Übersichten mit den Zu- und Absagen der einzelnen Länder. Aufgrund der Verstimmungen im Ukraine-Konflikt blieben viele Staatsoberhäupter der Feier auf dem Roten Platz diesmal fern. Die großen Nationen fehlten sogar fast ausnahmslos. Auch die deutsche Bundeskanzlerin sagte ab. Ein Affront, könnte man meinen.
Merkel wies die Einladung von Russlands Präsident Wladimir Putin zwar zurück und boykottierte dessen extravagante Militärparade. Tatsächlich kommt sie aber nur einen Tag später nach Moskau Sie trifft den Kremlchef an diesem Sonntag. Eine sensibel austarierte Entscheidung aus naheliegendem Grund. Die Kanzlerin kann schlicht nicht so einfach absagen wie andere Staatschefs. Sie weiß um die schwere Last der deutschen Geschichte. Es sei ihr wichtig, "der Millionen Toten zu gedenken, die Deutschland aus dem Zweiten Weltkrieg heraus zu verantworten hat", sagte sie vor der Reise. Merkel umschifft damit das Risiko, Putin völlig zu brüskieren. Trotzdem ist der Besuch knifflig.
Merkels Treffen mit dem russischen Präsidenten dauert nur ein paar Stunden. Geplant ist eine gemeinsame Pressekonferenz am Nachmittag. Außerdem wollen beide am Grab des unbekannten Soldaten im direkt an den Kreml grenzenden Alexandergarten einen Kranz niederlegen. Das Kriegerdenkmal, an dem ein ewiges Feuer brennt, dient der Erinnerung der im Zweiten Weltkrieg gefallenen sowjetischen Soldaten. Für viele Russen hat es noch eine andere Bedeutung: In Moskau ist es üblich, dass frisch vermählte russische Paare hier Blumen niederlegen.
Bei Putin und Merkel mag diese Symbolik auf den ersten Blick nicht ins Bild passen. Zu groß sind die politischen Differenzen, vor allem vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise. Zuletzt hatte die Kanzlerin den Russen beim Friedensgipfel Anfang Februar in Minsk getroffen. In nächtlichen Verhandlungen einigten sich die Konfliktparteien unter Vermittlung der Kanzlerin auf ein Friedensabkommen. Doch drei Monate später sind die Hoffnungen auf eine Beilegung des Konfliktes heftig geschrumpft. Zu labil ist der Waffenstillstand, zu absehbar die Gefahr, dass der Krieg sich jederzeit wieder verschärften könnte. Das Thema Ukraine dürfte bei dem Vier-Augen-Gespräch der beiden, die auch gemeinsam zu Mittag essen werden, daher wieder eine wesentliche Rolle spielen.
Umfragen: Russen halten Merkel für führende Figur
So paradox es klingen mag: Trotz aller Meinungsverschiedenheiten sind Merkel und Putin in gewisser Weise verbunden. Die vergangenen 15 Monate haben gezeigt, dass beide ein spezielles Verhältnis haben. Die Kanzlerin hat einen weit besseren Zugang zu Putin als etwa US-Präsident Barack Obama oder Frankreichs Staatschef Francois Hollande. Kein westlicher Staatschef hatte während der Ukraine-Krise häufiger Kontakt mit dem russischen Präsidenten als Merkel.
So kritisch die Kanzlerin die russische Außenpolitik auch sieht, sie will den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen. Das wird auf der anderen Seite geschätzt. "Trotz der Krise werden die Deutschen weiterhin als wichtiger Partner gesehen. Die Russen sehen in Angela Merkel die führende politische Figur und in Deutschland das einflussreichste Land in der EU", sagte Denis Volkov, Experte beim russischen Meinungsforschungsinstitut Levada, n-tv.de.
In Russland gab es nicht nur Kritik an Merkels Absage für den 9. Mai. Wladimir Grinin, russischer Botschafter in Berlin, hält ihren verspäteten Moskau-Besuch für eine Versöhnungsgeste. "Das ist die Bestätigung der Absicht, die Zusammenarbeit zwischen Russland und Deutschland nicht abzubrechen, sondern nach Lösungen für die Situation zu suchen", sagte er dem Deutschlandfunk. Trotz der zwei Kriege gebe es ein hohes Maß an Verbundenheit zwischen Russen und Deutschen.
Merkel wird sich bei ihrer Begegnung mit Putin also in einem Spagat versuchen müssen. Sie will sich zwar nicht zu ihm bekennen, sondern Distanz zeigen. Dennoch kann sie die deutsche Vergangenheit nicht unbeachtet lassen. "Wir Deutschen haben hier eine besondere Verantwortung, aufmerksam sensibel und auch kundig mit dem umzugehen, was wir in der Zeit des Nationalsozialismus angerichtet haben."
Quelle: ntv.de