Zahl der Abtrünnigen wächst Merkel muss Schlappe fürchten
28.08.2011, 10:55 Uhr
Merkel: erst in der Mitte der Legislaturperiode.
(Foto: dapd)
Kanzlerin und CDU-Chefin Merkel sucht den Befreiungsschlag, den sie dringend braucht. Sie wolle für den Euro-Rettungsschirm im Bundestag eine eigene Mehrheit bekommen, sagt sie. Doch genau diese wackelt kräftig. Angeblich ist die Liste der Nein-Sager in der Unionsfraktion schon außerordentlich lang.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) rechnet mit einer eigenen Mehrheit ihrer Regierungskoalition für die geplante Aufstockung des Euro-Rettungsschirms im Bundestag. Der "Bild am Sonntag" sagte Merkel: "Ich bin zuversichtlich, die Fraktionen von Union und FDP von der Notwendigkeit unseres Gesetzgebungsvorhabens zu überzeugen, um gemeinsam die Stabilität des Euro zu stärken." Doch: Die Vorzeichen stehen ungünstig für Merkel. Vier Wochen vor der Abstimmung muss sie um die eigene Mehrheit bangen. Dem "Focus" zufolge kursieren in den Regierungsfraktionen die Namen von 23 Abgeordneten, die bereits ein Nein angekündigt haben. Damit kämen Union und FDP bei der Abstimmung nicht mehr auf 311 Stimmen, die für eine Wahl des Kanzlers notwendig wären.
Der Vorsitzende des Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), bekräftigte seine ablehnende Haltung: "Ich weiß, dass es problematisch ist, wenn die Regierung in diesem Punkt keine eigene Mehrheit hat, aber deshalb kann ich doch nicht gegen meine Überzeugung abstimmen", sagte er. Gegen die bisherigen Pläne will auch der CDU-Arbeitsmarktexperte Carsten Linnemann stimmen: "Für jeden Ökonomen ist leicht zu erkennen, dass wir bei Griechenland immer wieder nachschießen müssen. Das Geld geht dann eins zu eins in die Zinszahlungen an die Gläubiger."
Merkel trat Befürchtungen entgegen, die Euro-Krise könne zu einer erhöhten Inflation führen: "Ich verstehe die Sorgen der Bürger, aber ich kann sagen: Die Angst, dass die Preise zu sehr steigen, ist unbegründet. Es gibt keine Anzeichen für eine sich ausweitende Inflation. Der Euro muss eine stabile Währung bleiben. Die Europäische Zentralbank folgt dieser Linie und wird die Inflation auch weiterhin erfolgreich bekämpfen."
Merkel bekräftigte ihre klare Absage an die Einführung von gemeinsamen europäischen Schuldscheinen: "Eurobonds sind das völlig falsche Mittel, um die Krise zu bewältigen. Mit ihnen schaffen wir nicht, was wir jetzt schaffen müssen: das Grundübel der derzeitigen Krise - also die gewaltige Verschuldung - an der Wurzel zu packen. Eurobonds würden im Gegenteil das Schuldenmachen noch erleichtern."
Die Kanzlerin hält die internationale Wirtschafts- und Finanzkrise für die größte Zäsur in der Geschichte Deutschlands seit der Wiedervereinigung. "Ich habe mir das Ziel gesetzt, Deutschland stärker aus der Krise herauszuführen, als es in sie hineingegangen ist - und ich denke, es zeichnet sich ab, dass wir das schaffen. Jetzt wird immer klarer: Genau das müssen wir auch für Europa erreichen. Wir müssen alles tun, damit unsere EU stabiler und wettbewerbsfähiger wird, als sie es vor der Krise war. Ich sehe das als die anspruchsvollste Aufgabe seit Ende des Kalten Krieges und der Gestaltung der Deutschen Einheit."
Noch sieben dunkle Jahre?
Nach Ansicht von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble braucht die Weltwirtschaft noch einen langen Atem, um aus der Schuldenkrise herauszukommen. Angesichts der drastischen Sparmaßnahmen in einigen Ländern stünden uns noch sieben schwache Jahre bevor, sagte der CDU-Politiker im schweizerischen St. Gallen zum Abschluss eines Nobelpreisträgertreffens. Bis die Haushaltskonsolidierung in einer Reihe von Staaten erste Früchte trage, dürften Jahre vergehen. Zudem forderte er eine engere Kooperation in der Wirtschaftspolitik in Europa, um langfristiges Wachstum zu sichern. Entscheidend seien sofortige Strukturreformen sowie eine rasche Haushaltskonsolidierung in Italien, Spanien, Portugal und Griechenland, um dieses Ziel zu erreichen.
"40 Prozent"
Merkel glaubt zudem, auch nach der Bundestagswahl 2013 das Regierungsbündnis mit der FDP fortsetzen zu können. "Ja, doch jetzt sind wir erst in der Mitte dieser Legislaturperiode angelangt und haben noch nicht an die Bundestagswahl 2013 zu denken, sondern an unsere gegenwärtige Arbeit für unser Land." Merkel bekräftigte, dass die Koalition die gesamte Legislaturperiode überdauern werde.
Einen Koalitionswechsel innerhalb der Legislaturperiode schloss die Kanzlerin aus und warf den Oppositionsparteien eine unseriöse Finanzpolitik in der Eurokrise vor. "Von SPD und Grünen kann man keine solide Politik erwarten. Das sehen Sie schon an deren Forderung, jetzt sofort Eurobonds einzuführen. SPD und Grüne wollen damit den Schuldenweg weitergehen, den schon die rot-grüne Regierung von Kanzler Schröder eingeschlagen hat", so Merkel.
Für ihre eigene Partei gibt die CDU-Vorsitzende das Ziel von 40 Prozent bei Wahlen nicht auf. "CDU und CSU verlieren die 40 Prozent nicht aus den Augen", so Merkel. Dass die Union in Umfragen derzeit unter ihrem mageren 33-Prozent-Wahlergebnis von 2009 liegt, begründete Merkel mit den großen Veränderungen in der Politik: "Wir mussten und müssen schwierige Entscheidungen treffen vom Aussetzen der Wehrpflicht über die Energiewende bis zur Stabilisierung des Euro. Mitten in der Legislaturperiode schaue ich allerdings nicht auf die nächste Bundestagswahl und die Umfragen, sondern ich konzentriere mich darauf, jetzt zu tun, was nötig ist, damit wir in Deutschland unseren Wohlstand und unseren sozialen Zusammenhalt bewahren und stärken können."

Röttgen kontert Kohl.
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Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) wies unterdessen die Kritik von Altkanzler Helmut Kohl an Deutschlands derzeitiger Außen- und Europa-Politik zurück. "Ich teile diese Kritik nicht. Unsere Antwort auf die Verschuldungs- und Währungskrise muss und wird in einer weiteren Vertiefung der europäischen Zusammenarbeit liegen", sagte Röttgen der "Welt am Sonntag". Er fügte hinzu: "Die CDU muss und wird sich in dieser Situation erneut als die deutsche Europapartei bewähren" - allerdings müsse der Konstruktionsfehler korrigiert werden, dass es eine einheitliche Währung gebe, aber unterschiedliche Finanz-, Haushalts- und Wirtschaftspolitiken.
Ohne Kanzlerin Angela Merkel (CDU) direkt zu nennen, hatte Kohl in einem Interview der Zeitschrift "Internationale Politik" beklagt, der Regierung fehle der politische Kompass: "Deutschland ist schon seit einigen Jahren keine berechenbare Größe mehr - weder nach innen noch nach außen." Indirekt warf Kohl der Kanzlerin und CDU-Vorsitzenden auch vor, keinen Führungs- und Gestaltungswillen zu haben.
Quelle: ntv.de, jmü/dpa