Politik

Ein Stück Verlässlichkeit? Merkel ohne Kompass

Das Ziel ist klar: "Diese Koalition muss halten", sagt der Chef des CDU-Wirtschaftsrates. Ansonsten herrscht Verwirrung: CDU-Vize Koch kündigt "weniger Netto vom Brutto" an, Kanzlerin Merkel will "wachstumsfördernd sparen". Und Finanzminister Schäuble hält das Sparpaket für "in einem begrenzten Ausmaß sozial ausgewogen".

"Wie soll Vertrauen entstehen?" Merkel vor dem CDU-Wirtschaftsrat.

"Wie soll Vertrauen entstehen?" Merkel vor dem CDU-Wirtschaftsrat.

(Foto: dpa)

Bundeskanzlerin Angela Merkel hält trotz scharfer Kritik aus ihrer eigenen Partei an den schwarz-gelben Sparplänen fest. Die Koalition rief sie auf, das umstrittene Maßnahmenbündel umzusetzen. "Wie soll Vertrauen entstehen, wenn wir nicht ein Stück Verlässlichkeit bieten?", fragte Merkel auf einer Wirtschaftskonferenz der CDU in Berlin.

"Aus meiner Sicht geht es jetzt darum, Realität werden zu lassen, was wir nach vielstündigem Ringen beschlossen haben", betonte Merkel. "Ich rate, das Paket erst einmal so zu nehmen wie es ist und in die Realität umzusetzen." Ihre Rede trug den Titel "Soziale Marktwirtschaft - Kompass aus der Krise".

Das Sparprogramm sei in einer "absolut lösungsorientierten Atmosphäre" aufgestellt worden, sagte Merkel. Zuvor hatte allerdings die "Bild"-Zeitung gemeldet, Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) sei in der Runde "Rumpelstilzchen" genannt worden.

"In einem begrenzten Ausmaß sozial ausgewogen": Schäuble im Bundestag.

"In einem begrenzten Ausmaß sozial ausgewogen": Schäuble im Bundestag.

(Foto: dpa)

Im Bundestag verteidigte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) das Sparpaket. Es handele sich um "ein ehrgeiziges und ausgewogenes Programm". Der Sozialbereich habe einen Anteil am Bundeshaushalt von über 50 Prozent. Einschnitte bei den über 170 Milliarden Euro könnten aber nur "in einem begrenzten Ausmaß sozial ausgewogen sein", sagte der Minister.

Auf dem eigenem Irrweg

Merkel sagte, mit dem Euro-Rettungsschirm sei nur Zeit gekauft worden. Notwendig sei es, die notwendigen strukturellen Veränderungen und Sparbemühungen voranzubringen. Es gebe inzwischen bereits ermutigende Signale etwa aus Portugal und Italien. Allerdings würden noch mehr ermutigende Signale gebraucht. Wichtig sei, nicht einfach nur zu sparen, sondern "wachstumsfördernd zu sparen".

Noch Ende 2009 hatte Merkel dies kategorisch ausgeschlossen. Am 10 November 2009 sagte sie im Bundestag: "Um 86 Milliarden Euro auszugleichen - das ist der von der alten Bundesregierung geschätzte Defizitbetrag für 2010 -, müssten wir die größte Kürzungs- und Streichungsaktion in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland starten. Ich glaube, jede weitere Diskussion über diesen Weg erübrigt sich. Ein solcher Weg ist in der Krise offensichtlich keine Lösung."

Netto statt Brutto

"Weniger Netto vom Brutto": Koch verlässt die Politik.

"Weniger Netto vom Brutto": Koch verlässt die Politik.

(Foto: dpa)

Demonstrative Rückendeckung bekam die Kanzlerin von Hessens Ministerpräsident und CDU-Vize Roland Koch. Den Bürgern müsse man sagen, dass sie in den nächsten Jahren "weniger Netto vom Brutto" ihrer Einkommen hätten und nicht umgekehrt. Es war einer seiner letzten Auftritte in der Bundespolitik. Koch hatte vor zwei Wochen seinen baldigen Rückzug aus der Politik angekündigt. Merkel und FDP-Chef Guido Westerwelle hatten im Wahlkampf 2009 oft von "mehr Netto vom Brutto" gesprochen.

"Diese Koalition muss halten"

Angesichts der heftigen Meinungsverschiedenheiten in der schwarz-gelben Koalition ermahnte der Präsident des CDU-Wirtschaftsrates, Kurt Lauk, das Bündnis ausdrücklich zur Ruhe. "Wir möchten, dass diese Koalition bleibt. Sie muss halten", sagte er.

Allerdings kritisierte Lauk erneut das Sparpaket: "Wenn alle etwas geben müssen in dieser Gesellschaft, arm und reich, dann müssen alle dabei sein." Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz müsse bis auf Grundnahrungsmittel abgeschafft werden, was 12 Milliarden Euro bringe. Dies könne dazu benutzt werden, kleine und mittlere Einkommen zu entlasten. "Als Teil dieses Paketes haben wir uns bereiterklärt, nach oben den Spitzensteuersatz mit anzuheben."

FDP blockt Steuererhöhungen ab

Schäuble erteilte Steuererhöhungen eine Absage. Er zeigte sich verärgert über Saar-Ministerpräsident Peter Müller (CDU), der gefordert hatte, dass starke Schultern stärker belastet werden als schwache. Müller solle das im Saarland in seiner Jamaika-Koalition umsetzen. Auch mit Blick auf Auseinandersetzungen mit der FDP sagte er: "Man muss wissen, was man dem anderen zumuten kann." Lediglich "die ein oder andere Korrektur" könne vorgenommen werden.

Damit entsprach Schäuble einer Forderung der FDP. Für den Fall, dass die CDU an einer Anhebung des Spitzensteuersatzes festhält, warnte der hessische FDP-Chef Jörg-Uwe Hahn gar mit einem Nein der FDP zum schwarz-gelben Bundespräsidentschaftskandidaten Christian Wulff. Dem "Rheinischen Merkur" sagte Hahn, bei weiteren Steuererhöhungsvorschlägen aus der Union sei Wulffs Mehrheit im ersten Wahlgang stark gefährdet.

"Ihre Klientel kommt ungeschoren davon"

Im Bundestag warf Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin Union und FDP "Feigheiten und sozialen Zynismus" vor. "Ihre gesamte Klientel kommt ungeschoren davon." Stattdessen hielten sich Union und FDP an den sozial Schwachen schadlos. Weder seien eine Vermögensabgabe noch Einschnitte beim Ehegattensplitting vorgesehen. Untereinander verkehre die zerstrittene Koalition außerdem im "Türsteher-Jargon", was ihre Seriosität zusätzlich untergrabe.

Der SPD-Haushaltsexperte Carsten Schneider sagte, nicht die Arbeitslosen und jungen Eltern hätten spekuliert, sondern die Spekulanten. "Es gibt keine Antwort, wie die Reichen und Wohlhabenden zu diesem Paket beitragen." Stattdessen betreibe die Koalition ein "Kettensägenmassaker im Sozialbereich".

Linken-Chef Klaus Ernst sprach von einem "Schutzschirm für die Reichen". Die Koalition habe "ihre Finger bis zum Anschlag in den Geldbeutel der Leute, die schon nichts mehr haben".

Lammert fordert Beitrag der Reichen

Scharfe Kritik kommt auch aus den Reihen der Union. Mit Bundestagspräsident Norbert Lammert stellte sich der zweithöchste Repräsentant der Bundesrepublik gegen die Sparpläne. Der CDU-Politiker sprach sich für eine parlamentarische Initiative für ein ausgewogeneres Sparpaket aus. "Als Signal für die Notwendigkeit einer breiten, gemeinsamen Anstrengung in unserer Gesellschaft hätte ich mir gewünscht, dass auch die Spitzeneinkünfte einen besonderen Beitrag zu leisten haben", sagte er der "Rheinischen Post".

Merkel konterte am Abend beim CDU-Wirtschaftsrat, das Maßnahmenbündel sei sozial ausgewogen. Sie habe "entschieden", sagt Merkel, "unter Beachtung aller Umstände, dass dieses Programm, so wie wir es auf den Tisch gelegt haben, ein ausgewogenes, ein richtiges Programm ist".

Zur umstrittenen Streichung des Elterngeldes für Hartz-IV-Empfänger betonte sie, dass die Regierung gleichzeitig die Betreuungs- und Arbeitsmöglichkeiten für alleinstehende Mütter verbessern wolle. Zugleich stärkte sie FDP-Gesundheitsminister Philipp Rösler den Rücken gegen Kritik der CSU. "Es gibt keine Alternative zu dem Konzept, die Kosten für Gesundheit stärker von den Arbeitskosten zu entkoppeln." Mit mehr Transparenz und Wettbewerb alleine sei das Defizit nicht zu beseitigen. Beschimpfungen zwischen FDP und CSU hatten den Streit um die Gesundheitsreform zuletzt eskalieren lassen. Die Koalition hat die Reform mittlerweile verschoben.

Auf der Suche nach dem Ausgang

Merkel begründete das Sparpaket ausdrücklich auch mit der Notwendigkeit, als Vorbild in Europa voranzugehen. Die größte Volkswirtschaft habe eine besondere Verantwortung. "Deutschland kann nicht in der EU Prinzipien einfordern, wenn es sie zu Hause nicht umsetzt." Es sei gut, dass die deutschen Vorschläge in der EU eine heftige Debatte auslösten. Auch die Diskussion mit Frankreich sei wichtig. Sie sei optimistisch, dass es wie immer gelinge, am Ende eine gemeinsame deutsch-französische Linie zu finden.

Die Kanzlerin sagte, sie habe Sorge, dass der Start der Exitstrategien aus den konjunkturellen und fiskalen Unterstützungsmaßnahmen zu spät erfolgen könnte. Der richtige Zeitpunkt sei gekommen, um sich mit Ausstiegsstrategien zu befassen. Es sei wünschenswert, weltweit zu einer gemeinsamen Exitstrategie zu kommen.

Quelle: ntv.de, hvo/dpa/AFP/rts/DJ

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