"Illusionen und Hirngespinste" Merkels Kriegserklärung
15.11.2010, 15:17 UhrDie Kanzlerin beerdigt alle schwarz-grünen Gedankenspiele. Auf dem Bundesparteitag der CDU in Karlsruhe erteilt Merkel Koalitionen mit SPD und Grünen eine Absage und attackiert deren "Doppelmoral". Sie gibt ganz die Wahlkämpferin und streichelt zugleich die Seele ihrer Partei.
Angela Merkels Absage an Schwarz-Grün erfolgt überraschend schnell und deutlich. Die Kanzlerin spricht kurz über die Startschwierigkeiten der schwarz-gelben Wunschkoalition und die Enttäuschung, die das erste Regierungsjahr in ihrer Partei hinterlassen hat. "Aber", ruft Merkel den rund 1000 Delegierten in der Karlsruher Messe zu, "die Alternative zur christlich-liberalen Bundesregierung ist keine schwarz-grüne Koalition. Oder Jamaika", fährt Merkel genüsslich fort. "Das sind Illusionen und Hirngespinste", ruft die CDU-Vorsitzende. Gleiches gelte auch für ein rot-grünes Bündnis, das keine Mehrheit mehr finden werde. Und dann spielt Merkel die Karte des Schreckens für die CDU. "Die einzige Alternative ist Rot-Rot-Grün." SPD und Grüne würden keine Sekunde zögern, um mit der Linken an die Macht zu kommen. Der Applaus in der Karlsruher Halle ist laut, die Delegierten jubeln. Mit dem dunkelroten Schreckgespenst lässt sich die CDU im Zweifel immer begeistern. In Wahlkampfzeiten aber ganz besonders.
Und der Parteitag der CDU steht ganz und gar im Zeichen des Kampfs für die Landtagswahlen im nächsten Jahr, allen voran Baden-Württemberg, das Stammland der CDU. Deshalb trifft sich die CDU in Karlsruhe, deshalb darf Ministerpräsident Stefan Mappus vor Merkel sprechen und deshalb zieht auch die Bundeskanzlerin in den Kampf. Mit Angriffen auf den Gegner will sie die Reihen der CDU schließen und zugleich mit wärmenden Worten die Seele der Partei beschwören.
Merkels Angriffe auf den politischen Gegner sind scharf und ohne Rücksicht. Die muss sie auch nicht nehmen, durch Stuttgart 21 und die verlängerten Atomlaufzeiten haben sich die Gräben zwischen Union auf der einen und SPD und Grünen auf der anderen Seite zumindest bis zu den Landtagswahlen Ende März unüberbrückbar vertieft. "Deutschland darf nicht zur Dagegen-Republik werden", hatte schon Mappus in seiner Rede gesagt und mit Blick vor allem auf die Grünen von "Blockierern und Verhinderern" gesprochen. Dafür erntet er in der Halle lauten Applaus, während draußen vor der Messe die Blockierer gegen Stuttgart 21 protestieren.
"Opposition macht Mist"
Auch Merkel knöpft sich die rot-grüne Opposition vor und läuft dabei zur Höchstform auf. "Mangelnde Verantwortung" wirft sie den beiden Parteien vor. Und dann zitiert Merkel Ex-SPD-Chef Franz Müntefering. "Opposition ist Mist", hat der einmal gesagt. Merkel grinst. Heute sei die SPD einen Schritt weiter. "Die Opposition macht Mist." Die Delegierten johlen und lachen, klatschen laut für diese Pointe. Doch Merkel ist noch nicht fertig mit SPD und Grünen.
Sie gibt ihnen die Schuld für den Rücktritt von Bundespräsident Horst Köhler, für Griechenlands Euro-Beitritt und damit für die Krise der gemeinsamen Währung. Außerdem schimpft sie auf die "Doppelmoral von SPD und Grünen", die zwischen guten und schlechten Castor-Transporten unterscheiden würden und mit ihren Subventionen für Solaranlagen Strom nur verteuerten und die Energiewende verzögerten. Da ist nichts mehr zu spüren von vergangenen Zeiten der Großen Koalition. "Die SPD ist auf der Flucht", sagt Merkel, "vor der Verantwortung und vor der Realität." Und die Grünen seien immer und ständig dagegen. "Aber dagegen zu sein ist das Gegenteil von bürgerlicher Politik", betont die CDU-Vorsitzende. Und widmet sich nun wieder der Seele ihrer "großartigen Partei".
Das macht Merkel mit bewährten Mitteln wie den Verdiensten um die deutsche Einheit und der Einführung der sozialen Marktwirtschaft. Das hat schließlich schon immer funktioniert in der CDU. Doch bei Merkel tritt sein einiger Zeit ein weiterer Faktor immer stärker zu Tage, wenn es um den Zusammenhalt ihrer Partei geht: das Christentum. "Uns trägt der Glaube. Er gibt uns Kraft", sagt Merkel. "Er gibt auch mir Kraft", fügt sie an. Merkel hat offenbar beschlossen, das "C" im Namen ihrer Partei zum größten gemeinsamen Nenner der CDU zu erklären. Damit begründet sie den Status als Volkspartei jenseits aller sozialen Unterschiede. Daraus leitet sie aber auch den allgemeinen Einsatz für Menschenrechte oder das konkrete Verbot von Gentests an Embryonen ab.
Erleichterung, kein Triumph
Ansonsten ist Merkels Rede ein auf Harmonie bedachter Rundumschlag im typischen Stil der Kanzlerin: Allen etwas versprechen, aber sich nicht konkret festlegen, um später nicht angreifbar zu sein. Sie reicht der Mittelstandsvereinigung der CDU im Steuerstreit die Hand und verspricht, nach der Haushaltskonsolidierung Steuervereinfachungen auf die Tagesordnung zu heben. Später könne man auch über Steuersenkungen reden. Dann dankt Merkel ausdrücklich Finanzminister Wolfgang Schäuble, der das Kompliment aber noch nicht hört, weil er noch in Brüssel weilt, um mit der EU über die WestLB zu verhandeln. Merkel erteilt Einheitsschulen eine Absage und kündigt an, Bildung beim nächsten Parteitag in Leipzig auf die Tagesordnung zu setzen. Sie schimpft auf Verdi-Chef Bisrske, der Generalstreiks legalisieren will, wettert gegen rechtsfreie Räume am 1. Mai oder im Internet und kündigt an, die Vorratsdatenspeicherung wieder einzuführen.

Die Delegierten spenden am Ende euphorisch Applaus.
(Foto: dpa)
Zum Schluss kommt Merkel wieder auf den Anfang ihrer Rede zurück, auf die schlechten Umfragewerte und die protestierende Opposition. "Werft die Prognosen in den Papierkorb, geht raus und kämpft", ruft sie den CDU-Anhängern zu. Sie sollten sich nicht irre machen lassen. "Wir sind wir - die Christlich Demokratische Union. Wir können das", appelliert sie an das Selbstbewusstsein ihrer Partei und schimpft noch einmal auf die "Zauderer und Kleinmütigen" von SPD und Grünen.
Als Merkel fertig ist, setzt der Applaus an. Laut, anhaltend, die Delegierten erheben sich. Rhythmisches Klatschen. Merkel hat offenbar die richtigen Worte gefunden, die Partei ist begeistert. Fast zehn Minuten lang hört der Beifall nicht mehr auf. Merkel muss immer wieder auf die Bühne, reckt einen Arm in die Luft. Es ist aber mehr eine Pose der Erleichterung denn des Triumphs. Denn auch Merkel weiß, dass Wahlkampf ist und die Partei deshalb geschlossen hinter ihr steht. Ende März wird sich zeigen, ob Merkels Worte überzeugen können.
Quelle: ntv.de