Kann sie Berater stürzen? Michelle und die Macht
12.01.2012, 11:24 Uhr
Barack und Michelle Obama: Sein Sieg war auch ihrer.
(Foto: picture alliance / dpa)
Barack und Michelle Obama: Das "First Ehepaar" begeistert bei öffentlichen Auftritten durch Lockerheit, Liebesbeweise und starke Vertrautheit. Doch hinter den Kulissen brodelt es offenbar hin und wieder. Angestoßen durch ein neues Buch fragen sich die USA: Wie sehr mischt die Präsidentengattin eigentlich mit?
Immer, wenn ein von US-Präsident Barack Obama die Kommandobrücke im Weißen Haus verlässt, geht ein Raunen um, überziehen Fragezeichen das politische Washington. Warum verlassen Spitzen-Berater den Friedensnobelpreis- und Hoffnungsträger, den ? Wohl nicht nur, weil der ergraute, abnehmend smarte Obama in einer Art Menschwerdung längst zum Symbol geworden ist für das zähe und lästige Ringen zwischen Demokraten und Republikanern, für eine Art Stillstand, der vom "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" eigentlich nicht zu erwarten ist. Möglicherweise gibt es auch einen viel näher liegenden Grund: , Präsidenten-Gattin. Aber eben nicht nur schmückende First Lady, sondern wohl sehr viel einflussreicher, als es einigen von Obamas Parteifreunden lieb ist.
Ein neues Buch über das Präsidenten-Paar legt diesen Schluss jedenfalls nahe. Jodi Kantor hat es geschrieben. Die Journalistin der "New York Times" nannte ihr Werk "Die Obamas" – und macht mit dem Titel gleich klar: Regiert wird hier im Doppelpack. Dutzende Gespräche hat Kantor geführt. Mit den Obamas selbst, mit Beratern und Freunden. Sie ist also nah herangekommen an das mächtigste Ehepaar der Welt.
Kantor belegt: Die First Lady nutzt ihren Einfluss ganz konkret aus. Und scheut nicht den Nahkampf mit den aus ihrer Sicht "engstirnigen, kurzsichtigen und schlecht organisierten Beratern" ihres Mannes. Vor Fernsehkameras drückt Michelle Obama ihren Willen zur Einflussnahme so aus: "Ich sage meinem Mann sehr ehrlich die Meinung." Der Präsident habe "ein Dutzend sehr intelligente Leute" um sich herum. Sie selbst sei keine Expertin für die meisten Dossiers, die ihr Mann täglich in Arbeit habe. "Aber das heißt nicht, dass mein Mann nicht meine Gefühle kennt."
"Change" soll keine Floskel sein
Ihre Gefühle gerieten laut Autorin Kantor etwa in Wallungen, als der Senatssitz des verstorbenen Edward Kennedy Mitte Januar 2010 an die Republikaner ging. Eine schmerzhafte Schlappe für die Demokraten – und natürlich ihren Präsidenten. Mit dem Desaster geriet gleich ein Kern-Projekt Obamas ins Wanken: die Gesundheitsreform. Millionen US-Amerikaner, die medizinisch nur notdürftig von Staat oder privater Fürsorge versorgt wurden, sollten endlich eine Versicherung bekommen. Für die First Lady mehr als eine Herzensangelegenheit. Eher ein Muss. Der Begriff "Change" sollte endlich mit Leben gefüllt sein. Und nun das Senatsdebakel.

Protest gegen die Gesundheitsreform in Michigan. Manche sehen die Freiheit verkauft.
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Michelle Obama, so transportiert Kantor es in ihrem Buch, reagiert extrem wütend. Sie habe nun dringend "ihre Vision des Präsidenten" retten wollen. Die Vision von einem Mann, der so viele Siege errungen hatte. Der aus ihrer Sicht eben kein gewöhnlicher Politiker ist, keiner, der – kaum im Amt – alle Programmatik auf dem Schlachtfeld der Schacherei sterben lässt. Es bleibt offen, wie sehr sie ihren Mann in den Privaträumen des Weißen Hauses ins Gebet nimmt. Klar ist nur: Der ganze Stab ist geschockt darüber, wie niedergeschlagen der Präsident nach der Schelte seiner Frau ist. Inzwischen ist hinsichtlich des Falls relativierend von "Spannungen" die Rede. In Wahrheit aber dürfte Michelle ihren Barack im Schlafzimmer ordentlich zusammengefaltet haben. Er gibt, ungewohnt geknickt, wohl lediglich verharmlosend gegenüber seinem Stab zu Protokoll: "Sie hat das Gefühl, dass wir die Segel nicht richtig gesetzt haben."
Die Folge des ehelichen Rüffels: Der Präsident macht auf dem Absatz kehrt. Er wendet sich gegen den Kurs seiner Berater, unter anderem wegen der schlechter werdenden Umfrageergebnisse die Anstrengungen in Sachen Gesundheitsreform herunterzufahren. Zur Überraschung seines Kern-Teams erklärt er während einer Rede in Ohio, er werde an der Reform festhalten. "Keine der großen Aufgaben, die wir in diesem Land vor uns haben, ist einfach." Die USA dürften sich aber vor allem vor der Gesundheitsreform nicht drücken. Da war er wieder, der "Wandel". Zumindest ein bisschen. Michelle hatte gesiegt.
Allerdings auch gleichzeitig jemanden schwer düpiert: Rahm Emanuel. Stabschef im Weißen Haus – und inhaltlich der Gegenspieler der First Lady. Eine Einmischung auf die Politik ihres Mannes hatte er sich zu Beginn seiner Tätigkeit eigentlich verbeten. Und er will mehr auf die Demoskopen hören, Abstand nehmen von der Gesundheitsreform und damit das Knirschen auch in der eigenen Partei beenden. Obama wird inzwischen nämlich als "Sozialist" oder gar "Kommunist" gebrandmarkt. Einer, der Freiheit wegnehmen will. Einer, der Liberalität verhökert. Buch-Autorin Kantor ist sich sicher, dass die verlorene interne Schlacht um die amerikanische Gesundheit der "Anfang vom Ende" der Karriere Emanuels im Weißen Haus ist. Im Oktober 2010 gibt er seinen Job an der Seite des Präsidenten auf – und ist inzwischen Bürgermeister der wirtschaftlich schwer gebeutelten Stadt Chicago.
Auch Emanuel wird das Raunen vernehmen, das in diesen Tagen durch die Hauptstadt zieht. Denn: Sein Nachfolger, , schmeißt nun auch hin. Nur noch bis Ende des Monats wird er der offiziell engste Vertraute des Präsidenten sein. Danach rutscht Jack Lew ins Amt, einst Haushaltsdirektor unter Präsident Bill Clinton und zeitweise Stellvertreter von Außenministerin Hillary Clinton. Der Unterschied zwischen Daley und Lew? Vor allem der Umgang mit den Republikanern. Daley galt vielen Demokraten als zu weich. Manchen sei es in den letzten Monaten gar so vorgekommen, als wolle er lieber mit dem Gegner zusammenarbeiten als demokratische Interessen durchsetzen, murmeln die Entscheider in Washington. Lew soll wieder den Angriff reiten, eine härtere Tonart anstimmen, die Konfrontation suchen.
Verbündet und vertraut
Darüber, ob Michelle Obama die Auswechslung mit betrieben hat, kann zurzeit nur spekuliert werden. Das Porträt, das Journalistin Kantor von den Machtverhältnissen zeichnet, lässt diesen Schluss jedenfalls als wahrscheinlich zu. Lew, der als sehr gut vernetzt gilt, dürfte demnach sehr viel mehr nach dem Geschmack der First Lady sein als der gescholtene Daley. Michelle Obama beeilt sich aber, dem Eindruck einer Einmischung entgegenzutreten: Natürlich sei es "interessanter, sich eine konfliktreiche Situation" vorzustellen, sagt die Präsidentengattin parallel zur Buchveröffentlichung dazu. Es handele sich dabei aber nur um ein bestimmtes Image, das einige Leute von ihr als "eine aufgebrachte schwarze Frau" zeichnen wollten. Schon seit der Ankündigung der Kandidatur ihres Mannes im Februar 2007 sei das so. "Dabei versuche ich nur, ich selbst zu sein." Allerdings sei sie die "größte Verbündete des Präsidenten" und "eine seiner größten Vertrauten".

Glücklich den Präsidenten umarmen: ein bisschen "Change" schwingt noch mit.
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Die schnelle Relativierung zeigt, dass Demokraten und Präsidenten-Paar nicht daran gelegen ist, aus der Neubesetzung zu viel Unruhe entstehen zu lassen. Nicht umsonst wird die Personalie zu einer Zeit vollzogen, in der eher die Vorwahlen der Republikaner das Geschehen bestimmen. Und damit ist wohl auch klar, dass in der Sache diesmal nichts weiter aus den privaten Gemächern der Obamas nach außen dringt.
Quelle: ntv.de