Politik

Kriminelle in Flüchtlingstrecks? "Mir ist keine Sicherheitslücke bekannt"

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(Foto: REUTERS)

Terroristen und andere Verbrecher mischen sich angeblich unter Flüchtlinge, um nach Europa zu kommen. CDU-Politiker Binninger sagt dagegen: In der EU sei es für Kriminelle eher schwieriger geworden.

n-tv.de: Im Internet und an Stammtischen kursieren Geschichten über Terroristen, die getarnt unter Flüchtlingstrecks unbemerkt nach Europa kommen. Muss man sich Sorgen machen?

Clemens Binninger: Es ist, wie Sie es sagen: Es sind Geschichten, die sich verbreiten. Ich frage dann immer: Gibt es solche Fälle wirklich? Ist mal so jemand identifiziert worden? Tatsächlich manifestiert sich hier nur eine Sorge, für die es bislang keine belastbaren Tatsachen gibt. Die deutschen Sicherheitsbehörden haben keine konkreten Erkenntnisse zu solchen Fällen.

Auch der frühere Innenminister Hans-Peter Friedrich warnte, dass IS-Kämpfer und terroristische Schläfer unbemerkt und unregistriert unter Flüchtlingen einsickern könnten.

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Clemens Binninger ist stellvertretender Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr), der Aufsicht des Bundestags über die Geheimdienste in Deutschland.

(Foto: picture alliance / dpa)

Friedrichs Warnung ist ja durchaus nachvollziehbar. Sie ist getrieben von der Sorge, angesichts der großen Zahl von Flüchtlingen diese Aufgabe nicht bewältigen zu können. Aber die entscheidende Frage ist trotzdem: Reden wir hier über Geschichten und Mutmaßungen oder sprechen wir über belegbare Fälle in nennenswerter Zahl? Friedrich weist auf einen möglichen Schwachpunkt hin, der bei der Bewältigung großer Flüchtlingsströme entstehen könnte. Eine personengenaue Registrierung, Befragung und Abnahme von Fingerabdrücken ist irgendwann kaum noch möglich. Aber ich bin überzeugt davon, dass die Bundespolizei vor Ort bisher einen bemerkenswerten Job gemacht hat. Mir ist keine eklatante Sicherheitslücke bekannt. Deshalb darf man den Menschen auch keine Angst einjagen.

Hätten Terroristen denn überhaupt einen Grund, die Flüchtlingsrouten zu missbrauchen?

Warum sollten sie das Risiko, die Belastungen und die große Ungewissheit einer solchen Reise auf sich nehmen? Das amtsbekannte Islamisten diesen Weg suchen, halte ich für denkbar gering. Die haben andere Möglichkeiten zu reisen.

Sie sprechen von "amtsbekannten" Islamisten.

Ich meine Leute, die aus Europa stammen, in die Krisengebiete gereist sind und dann zurückkommen. Oder aber Leute, die von dort kommen, aber den Behörden bereits aufgefallen sind.

Wie reisen diese Leute?

Sie reisen mit Flugzeugen in angrenzende Staaten und die letzte Strecke mit dem Auto oder öffentlichen Verkehrsmitteln. Das stellen wir immer wieder fest, wenn uns jemand ins Netz geht, wie zuletzt ja auch der Attentäter auf dem Thalys-Schnellzug. Solange sie nicht zur Festnahme ausgeschrieben sind, reisen sie mit normalen Verkehrsmitteln. Denn die Sicherheitsbehörden haben bei ihnen zunächst ja keine Handhabe, sie können nur beobachten. Wenn ein Islamist zur Festnahme ausgeschrieben ist, müssen sie Kontrollen natürlich ausweichen. Aber auch dann werden sie sich kaum einem Flüchtlingstreck anschließen, an dessen Ende normalerweise ja eine Registrierung  und die Abgabe von Fingerabdrücken stehen.

Was ist mit Flüchtlingen, die nicht amtsbekannt sind?

Bei einer so großen Zahl an Flüchtlingen, wie sie jetzt nach Europa strömt, kann man seriöserweise nie ausschließen, dass Menschen mitreisen, die vorher in Syrien in einer der verschiedenen Bürgerkriegsparteien gekämpft haben und entsprechend fanatisiert sind. Aber wenn es Anhaltspunkte geben sollte, haben wir Möglichkeiten darauf zu reagieren. Es ist ja möglich, dass das Bundesamt für Migration (Bamf) und der Verfassungsschutz Informationen austauschen. Wir haben Frühwarninstrumente. Da gibt es keine Sicherheitslücke.

Wie läuft der Austausch mit Drittstaaten ab? Mit einem Staat wie Syrien dürfte der ja kaum möglich sein.

Mit Syrien kann es derzeit keinen Austausch geben. Den Staat als solches gibt es ja kaum noch. Und das Assad-Regime ist kein geeigneter Gesprächspartner für die deutschen Sicherheitsbehörden. Grundsätzlich haben wir bei bestimmten Kriminalitätsformen aber die Möglichkeit, uns mit Drittstaaten auszutauschen und Kooperationen einzugehen. Mit der Türkei funktioniert das zum Beispiel sehr gut. 

Sie haben in der vergangenen Woche, zusammen mit einigen Fraktionskollegen, ein Positionspapier veröffentlicht mit dem Titel: "Europa - kein Raum für Schlepper und organisierte Kriminalität". Darin fordern Sie, dass die Sicherheitsbehörden im Schengen-Raum ihre Zusammenarbeit "dringend" verbessern müssen.

Wir haben damit darauf hingewiesen, dass schon in der Vergangenheit, losgelöst von der Flüchtlingskrise, in vielen EU-Staaten zu wenig Augenmerk auf die Schleierfahndung und lageabhängige Kontrollen gelegt wurde. Es gibt seit vier Jahren die Verpflichtung, dass alle Schengen-Partner ihre DNA- und Fingerabdruckdateien miteinander abgleichen. Das soll ermöglichen, dass ein Land, das bei Ermittlungen auf unbekannte DNA-Spuren stößt, nachschauen kann, ob sie in einem anderen Staat bereits mit einer Person verknüpft sind. Bis heute haben eine ganze Reihe von Ländern diese Regelung nicht oder ungenügend umgesetzt. Darunter sind Länder wie Italien, Großbritannien, Tschechien und Dänemark. Schengen war schon vor der Flüchtlingskrise brüchig. Straftäter und Kriminelle können sich innerhalb des Schengen-Raums unabhängig von Flüchtlingen völlig frei bewegen, ohne eine polizeiliche Kontrolle befürchten zu müssen.

Wegen der vielen Flüchtlinge gibt es jetzt verstärkte Polizeipräsenz und mehr Kontrollen. Ist es für Kriminelle dadurch nicht in Wirklichkeit schwieriger geworden?

Bei uns sicher, da ist der Kontroll- und Fahndungsdruck gestiegen, wie ja auch die Aufgriffszahlen zeigen. Die anderen Schengen-Länder ziehen richtigerweise nach und dadurch erschweren wir den Schleusern das Geschäft! Mehr Sorgen als Terroristen und andere Kriminelle, die Flüchtlingsströme missbrauchen, bereiten mir auch deshalb amtsbekannte Islamisten in Deutschland, die Flüchtlinge ansprechen und versuchen, ihre Not und Verzweiflung auszunutzen, um sie zu radikalisieren. Da sind uns tatsächlich einige Fälle bekannt. Aber wir reden auch hier nicht über große Zahlen, geschweige denn über ein Phänomen.

Mit Clemens Binninger sprach Issio Ehrich

Quelle: ntv.de

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