Urteil des Verfassungsgerichts NS-Verharmlosung nicht zwingend strafbar
03.08.2018, 13:01 Uhr
Das Strafgesetzbuch stelle die Leugnung, Billigung oder Verharmlosung der NS-Verbrechen nur unter Strafe, wenn sie "geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören", so das Bundesverfassungsgericht.
(Foto: picture alliance/dpa)
Vor dem Bundesverfassungsgericht scheitert eine bekannte Holocaust-Leugnerin mit ihrer Beschwerde. Dagegen kassieren sie das Urteil gegen einen Blogbetreiber wegen Volksverhetzung. In solchen Fällen müsse gründlicher geprüft werden, hieß es.
Verharmlosung des Holocausts erfüllt im Gegensatz zur Leugnung des NS-Völkermordes nicht automatisch den Straftatbestand der Volksverhetzung. Vielmehr müsse die Verharmlosung darauf angelegt sein, Hemmschwellen herabzusetzen oder zu Rechtsbrüchen aufzufordern, entschied das Bundesverfassungsgericht in zwei veröffentlichten Beschlüssen. In einem Fall wurde die Freiheitsstrafe der Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck wegen Volksverhetzung bestätigt. Im zweiten Fall wurde die Verurteilung eines Mannes wegen Volksverhetzung aufgehoben, weil die Verharmlosung des NS-Völkermords nicht die Schwelle aggressiver Emotionalisierung erreicht habe.
Die bereits wegen volksverhetzender Äußerungen vorbestrafte 89-jährige Haverbeck hatte in der "Stimme des Reiches" die Ermordung von Juden in Auschwitz-Birkenau in mehreren Artikeln geleugnet. Es habe sich vielmehr um ein Arbeitslager gehandelt. Sie wurde deshalb in mehreren Instanzen zu zweieinhalb Jahren Freiheitsstrafe wegen Volksverhetzung verurteilt. Gegen die Gerichtsurteile legte sie Verfassungsbeschwerde ein. Eine Kammer des Ersten Senats nahm diese nicht zur Entscheidung an.
Geldstrafe aufgehoben
Erfolg hatte dagegen die Verfassungsbeschwerde eines Mannes, der auf einer von ihm betriebenen Internetseite und auf Youtube Äußerungen eines Dritten eingestellt hatte. Der Betreiber der Internetseite "Netzradio Germania" und eines gleichnamigen Youtube-Kanals hatte dort 2012 einen rückblickenden Gastbeitrag zur ersten vom Reemtsma-Institut initiierten und vom Hamburger Institut für Sozialforschung erarbeiteten Wehrmachtsausstellung veröffentlicht. Unter dem Titel "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" hatte die Wanderausstellung von 1995 bis 1999 rund 900.000 Besucher an 34 Orten in Deutschland und Österreich.
Auf "Netzradio Germania" warf der Gastmoderator der Ausstellung Fälschungen und Manipulationen vor. Die Ausstellungsmacher hatten hier auch selbst Fehler eingeräumt. Den alliierten Siegermächten warf der Moderator "Lügenpropaganda" vor. Angaben über die Zahl der in Auschwitz oder Buchenwald vergasten Juden seien "erbärmlich gelogen", gegenteilige "historische Wahrheiten" würden aber verfolgt. Das Landgericht Paderborn verurteilte den Betreiber von "Netzradio Germania" im Jahr 2015 zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 30 Euro.
"Gehört zum freiheitlichen Staat"
Das Bundesverfassungsgericht hob dieses Urteil nun auf. Das Landgericht habe damit die Meinungsfreiheit verletzt. Zwar müsse sich der "Netzradio Germania"-Betreiber die Äußerungen seines Moderators zurechnen lassen. Als "mit diffusen Tatsachenbehauptungen vermischte Werturteile" unterlägen diese aber dem Schutz der Meinungsfreiheit.
Das Strafgesetzbuch stelle die Leugnung, Billigung oder Verharmlosung der NS-Verbrechen nur unter Strafe, wenn sie "geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören". Gemeint sei damit die "Friedlichkeit" der Gesellschaft, etwa weil Äußerungen die Hemmschwelle für Gewalttaten senken. Äußerungen mit "rein geistig bleibender Wirkung" seien dagegen nicht strafbar.
Bei der Leugnung oder Billigung der NS-Verbrechen könnten Gerichte zwar davon ausgehen, dass sie in der Regel den öffentlichen Frieden stören. Bei Verharmlosungen der einseitigen Darstellungen wie hier sei dies dagegen ausdrücklich zu prüfen. Dies habe das Landgericht Paderborn aber nicht getan - und muss sich nun erneut mit dem Fall befassen.
Wörtlich heißt es in dem Beschluss: "Die mögliche Konfrontation mit beunruhigenden Meinungen, auch wenn sie in ihrer gedanklichen Konsequenz gefährlich und selbst wenn sie auf eine prinzipielle Umwälzung der geltenden Ordnung gerichtet sind, gehört zum freiheitlichen Staat. Eine Verharmlosung des Nationalsozialismus' als Ideologie oder eine anstößige Geschichtsinterpretation dieser Zeit allein begründen eine Strafbarkeit nicht."
Quelle: ntv.de, lri/jwu/rts/AFP