Wahlüberraschung in Israel Netanjahu deutlich geschwächt
22.01.2013, 21:00 Uhr
Vorschnell abgeblättert: Wahlplakat von Benjamin Netanjahu in Jerusalem.
(Foto: AP)
War Benjamin Netanjahu zu siegessicher? Bei den Parlamentswahlen in Israel schneidet sein rechtes Parteibündnis überraschend schlecht ab. Von der hohen Wahlbeteiligung profitiert ein anderer. "Das war eine Protestwahl gegen Netanjahu", heißt es.
Das in Israel regierende Bündnis Likud-Beitenu von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat bei der Parlamentswahl erhebliche Verluste erlitten. Übereinstimmenden Prognosen des israelischen Fernsehens zufolge kam der rechtsorientierte Block auf nur noch 31 Mandate, 11 weniger als bisher. Kommentatoren sprachen von einer "Protestwahl nach einem miesen Wahlkampf." Als Chef des stärksten Blocks dürfte Netanjahu aber trotz des schlechten Abschneidens erneut mit der Regierungsbildung beauftragt werden.
Auf Platz zwei kam überraschend stark mit 19 Mandaten die neue liberale Zukunftspartei (Jesch Atid) des früheren TV-Journalisten Jair Lapid. Drittstärkste Kraft wurde nach diesen inoffiziellen Berechnungen aufgrund von Wählerbefragungen die Arbeitspartei unter Shelly Jachimowich mit 17 Mandaten.
Der neue israelische Politstar Naftali Bennett kann mit seiner ultrarechten Partei Habait Hajehudi (Das Jüdische Haus) auf 12 Abgeordnete hoffen, etwas weniger als erwartet. Die frühere Außenministerin Zipi Livni mit ihrer Neugründung Hatnua (Bewegung) erhielt demnach 7 Mandate, genauso viele wie die linksliberale Merez-Partei.
Sowohl Lapid als auch Bennett haben einen unzufriedenen Mittelstand angesprochen, der nicht mehr an die traditionellen Politiker glaubt, sagte der Historiker Tom Segev der Nachrichtenagentur dpa. Lapids Wähler seien die, die im Sommer 2011 zu Hunderttausenden auf die Straßen gingen, um gegen horrende Mieten und allgemein zu hohe Lebenshaltungskosten zu protestieren, so Segev. Netanjahu könnte nach seiner Einschätzung mit beiden koalieren und eventuell noch Zipi Livni mit ihrer Hatnuna-Partei mit ins Boot holen.
Da keine der Parteien eine verbindliche Koalitionsaussage abgegeben hat und große Differenzen zwischen möglichen Koalitionspartnern bestehen, ist unklar, welche Ausrichtung die künftige israelische Regierung haben wird. Die Wähler hätten signalisiert, dass er eine breite Regierungskoalition aufstellen solle, schrieb Netanjahu in einer ersten Reaktion auf seiner Facebook-Seite und bedankte sich beim israelischen Volk für seine Wiederwahl. Zudem nahm er bereits Kontakt mit Jair Lapid auf.
In einem Kommentar des Armeefunks hieß es, Netanjahu werde als künftiger Regierungschef keine andere Wahl haben, als der Zentrumsliste von Lapid die Leitung eines von drei Ministerien vorzuschlagen: Verteidigung, Äußeres oder Finanzen. Lapids Partei spricht sich für eine Senkung der Steuern für die Mittelklasse, die Wiederaufnahme der Verhandlungen mit den Palästinensern sowie eine Wehrpflicht für alle in Israel aus - bisher sind streng orthodoxe Juden und arabischstämmige Israelis ausgenommen.
Wahlverlierer Netanjahu
Obwohl Benjamin Netanjahu wohl erneut Ministerpräsident werden wird, gilt er als "tragische Figur" dieser Wahlen. Bis zuletzt kämpfte der 63-Jährige um Stimmen. "Die Regierung des Likud ist in Gefahr, lasst bitte alles stehen und liegen und wählt uns", appellierte Netanjahu noch kurz vor der Schließung der Wahllokale über Facebook, nachdem sich abzeichnete, dass die hohe Wahlbeteiligung vor allem dem Mitte-Links-Block zugute kommt. In den klassischen Hochburgen des Likuds war die Wahlbeteiligung laut Netanjahu niedriger, als im Landesdurchschnitt. Das Bündnis Likud-Beitenu war als Favorit ins Rennen gegangen. Bislang verfügt der rechtsorientierte Block gemeinsam über 42 der insgesamt 120 Parlamentssitze.
Die Kehrtwende überraschte nicht nur die Likud-Anhänger: "Es fühlt sich an, wie während der Sozialproteste im vergangenen Jahr. Auf einmal kommen alle aus ihren Häusern. Vielleicht sehen wir eine Revolution hier", staunte Zipi Livni. Die Ex-Außenministerin kündigte an, Gespräche mit der Arbeiterpartei und "Jesh-Atid" aufnehmen zu wollen, um ihre Kräfte zu vereinigen. Während des Wahlkampfes hatten sich die drei Parteien sehr zum Missfallen der Mitte-Links-Wähler immer weiter voneinander entfernt, statt gemeinsam gegen das Rechtsbündnis von Netanjahu zu kämpfen.

Sorgt für die Überraschung des Abends: Jair Lapid inmitten seiner Fans.
(Foto: dpa)
Der Gewinner des Abends hielt es schlicht: "Danke", schrieb Jair Lapid auf seiner Facebook-Seite. Bei der Abstimmung im Norden Tel Avivs hatte Lapid vorher gesagt: "Das ist das erste Mal, dass ich für mich selbst stimme. Es ist ein ganz besonderes Gefühl, von dem mir auch mein Vater erzählt hat." Der vor knapp fünf Jahren gestorbener Tommy Lapid war Vorsitzender der liberalen Schinui-Partei und bis 2004 Justizminister.
Die Wahlen waren vorgezogen worden, weil sich die Rechts-Koalition Netanjahus im Herbst nicht auf einen Sparhaushalt hatte einigen können. Auf die neue Regierung warten große Herausforderungen. Zwar ist die Wirtschaft in vergleichsweise gutem Zustand, im vergangenen Jahr war jedoch das Haushaltsdefizit doppelt so hoch wie vorhergesagt, die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer. International wird sich Netanjahu dem Druck der Staatengemeinschaft ausgesetzt sehen, den Dialog mit den Palästinensern wieder aufzunehmen.
Quelle: ntv.de, mit dpa/rts